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«Wenn ich das Strahlen in den Augen der Kinder sehe ...»

Wendy Holdener eroberte sich an den Ski-Weltmeistschaften in St. Moritz nach Gold in der Kombination auch noch Silber im Slalom. Heute wird die 23-Jährige in Unteriberg empfangen und gefeiert.

Südostschweiz
21.02.17 - 10:05 Uhr
Asylpolitik
Die erfolgreichste Schweizer Athletin in St. Moritz: Wendy Holdener. Bild Keystone
Die erfolgreichste Schweizer Athletin in St. Moritz: Wendy Holdener. Bild Keystone

mit Wendy Holdener sprachen Sébastian Lavoyer und Martin Probst

Erstmals seit 20 Jahren gewann mit Wendy Holdener am Samstag in St. Moritz wieder eine Schweizerin eine WM-Medaille im Slalom. Vor ihrem heut igen Empfang in ihrer Wohngemeinde Unteriberg sprach die «Südostschweiz» mit der Schwyzerin.

Wendy Holdner, Ihr Vater ist bei Ihren Fahrten immer brutal nervös. Wissen Sie, was Sie ihm da jeweils antun?

Wendy Holdener: Ich denke zum Glück am Start nicht daran. Aber ja, ich weiss, dass er, wenn er nicht im Stadion ist, nervös auf dem Sofa liegt.

Er stand am Samstag bei Ihrer Silberfahrt in St. Moritz im Ziel und kurz vor dem Nervenzusammenbruch.

Die Mutter von Denise Feierabend nimmt Beruhigungstabletten vor den Rennen. Sie hat meinem Vater geraten, das auch mal zu versuchen (lacht).

Sie haben zwei WM-Medaillen gewonnen. Haben Sie begriffen, was diese Erfolge bedeuten?

Ich glaube, die Menschen um mich herum sehen das mehr als ich. Aber doch, ich realisiere es immer mehr. Ich selbst bin ja noch die gleiche Person wie vorher. Aber es sind schon Meilensteine, die ich erreicht habe, die mir niemand mehr wegnehmen kann. Für die Zukunft wird mir das helfen in meiner Karriere.

Das tönt recht nüchtern.

Das stimmt. Aber wir haben lange auf das hingearbeitet. Die Erfolge kamen ja nicht aus dem Nichts.

Dann haben Sie erwartet, dass die WM so erfolgreich wird für Sie?

Nein, das nicht. Ich hoffte, dass es gut laufen würde. Bis Mitte Januar hatte ich den Fokus aber noch nicht auf die WM gerichtet. Ich wollte das so, weil ich Respekt vor den Heim-WM hatte.

Wieso?

Ich hatte das Gefühl, der Rummel werde zu gross. Ich hatte Angst, dass zu viele Leute etwas von mir möchten und ich allem gerecht werden müsse, es aber nicht kann. Dann hat es aber extrem gut funktioniert. Wir wurden gut abgeschirmt. Das war für mich sehr wichtig. Ich bin keine Person, die den grossen Rummel sucht, wenn ich Rennen fahren muss.

Sie sagten vor zwei Wochen, dass Sie zuerst lernen mussten, sich auf diese Heim-WM zu freuen.

Nach der Enttäuschung von Stockholm, wo ich im City-Event in der ersten Runde ausgeschieden bin, war ich ziemlich zerstört. Da ist es mir richtig schlecht gegangen. Mein Bruder Kevin, der mich als Manager begleitet, hat mir dann einen Brief geschrieben. Es waren Kleinigkeiten, die mir wieder bewusst machten, was ein solcher Anlass bedeutet. Eine Heim-WM darf nicht jede Athletin erleben. Ich versuchte, mich zu freuen, dass die Menschen kommen, um mich zu sehen.

Sie stehen nicht gerne im Mittelpunkt.

Teilweise wird es mir schon zu viel. Darum bin ich froh, wenn es vorbei ist.

Das dürfte als Weltmeisterin und Silbermedaillengewinnerin künftig etwas schwieriger werden.

Ich habe recht schnell im Internet entdeckt, dass es in Unteriberg einen Empfang für mich gibt. Und ich dachte: Nein, jetzt schon? Nicht erst wenn die Saison vorbei ist? Aber es gehört halt dazu, das ist mir bewusst. Die Menschen wollen mich sehen.

Genau.

Besonders für die Kinder ist es schön, so einen Anlass zu erleben. Bei mir zu Hause bin ich ein Vorbild für sie. Ich habe das ja selbst als Kind erlebt mit Andrea Dettling, die bei uns in der Gegend lebt. Weil wir schon am Freitag in Crans-Montana das nächste Rennen fahren, wird das jetzt etwas stressig. Aber es ist auch gut, wenn es gerade gemacht wird, weil es eben noch frisch ist.

Man könnte also sagen: Alle haben Freude an Ihnen, aber Sie haben nicht sonderlich Freude an so viel Aufmerksamkeit.

Es gibt ja auch andere Athleten, die das nicht gerne machen und es trotzdem tun. Es ist manchmal unangenehm. Alle schauen auf dich und du kannst nichts machen. Aber ich möchte nicht, dass diese Aussage negativ rüberkommt, es ist einfach so.

Kann man sich daran gewöhnen?

Ich glaube, ein bisschen schon, man wird lockerer. Es ist normal geworden, dass ich zu TV-Stationen muss. Es ist nicht mehr so: «Oh, ich komme im Fernsehen». In solchen Momenten wird mir auch bewusst, was ich geleistet habe. Auch wenn ich vielleicht nüchtern spreche, sind es schon schöne Momente für mich. Oder wenn ich das Strahlen in den Augen der Kinder sehe, berührt mich das.

Wie haben Sie den Rummel bisher erlebt?

Viel wird erst noch auf mich zukommen. Medaillen im eigenen Land zu gewinnen, ist schon sehr speziell. Ich weiss nicht, wie ich mit allem, was jetzt kommt, umgehen werde. Aber ich werde das schon meistern, da habe ich keine Angst. Ich muss einfach alles sehr gut planen und mich darauf einstellen.

Nachdem Sie Kombi-Gold gewannen, verbrachten Sie zwei Tage zu Hause. Warum?

Ich hätte dem Rummel in St. Moritz entfliehen können. Im Hotel hatten wir es recht ruhig, das war wirklich gut geregelt. Ich konnte auch hier spazieren gehen mit einer privaten Jacke und die Menschen haben mich nicht sofort erkannt. Aber zu Hause war ich wirklich weg von allem. In St. Moritz ging es immer nur um die Rennen und die Athleten. Der Tapetenwechsel war wichtig für mich. Ich konnte zu Hause alles in eine Ecke stellen und etwas ganz anderes tun.

Was?

Ich ging oft mit meinem Vater spazieren. Wir haben unsere Runde, die wir gerne machen.

Konnten Sie dabei abschalten?

Mein Kopf ist selten abgestellt, irgendetwas überlege ich immer. Wenn es immer nur heisst: WM, WM, WM, dann ist das schon eine lange Zeit.

Spüren Sie die Entspannung körperlich oder mental?

Vor allem psychisch. Der Druck macht müde oder man fühlt sich müde. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich müde Beine habe. Doch die Messungen zeigten, dass ich topfit bin.

Sie messen Ihre körperliche Fitness?

Wir haben seit diesem Jahr ein Gerät, mit dem wir am Morgen nach dem Aufstehen Messungen machen. Es zeigt an, wie fit man ist, wie das Nervensystem funktioniert, wie der Puls ist. Aufgrund dieser Daten wissen wir, in welchem Bereich wir an diesem Tag trainieren.

Sie brauchen die Bestätigung einer Maschine, damit Sie sehen, dass alles gut ist?

Es ist sicher nicht schlecht, vor allem in diesen Situationen, in denen ich nicht einschätzen kann, ob nun meine Beine müde sind oder mir einfach alles zu viel ist. Am Renntag messen wir auch, aber dann werden die Zahlen ausgeblendet. Wenn ich eine 5 hätte, würde ich denken: Heute kann ich nicht Ski fahren. Nach dem Rennen schaue ich die Zahlen am Abend manchmal an. Ich hatte schon eine 3 und fuhr auf das Podest.

Was hat bei Ihnen die Leidenschaft für das Skifahren geweckt?

Wir sind von klein auf Ski gefahren, die ganze Familie liebt diesen Sport.

Um so gut zu werden, wie Sie es heute sind, braucht es aber mehr. Was treibt Sie an?

Das Ziel im Leben ist, dass man glücklich ist, und das bin ich am meisten beim Skifahren. Das ist meine Leidenschaft, mein Hobby, das mein Leben ausfüllt. Ich habe zum Beispiel nie gewusst, was ich für einen Beruf lernen will. Ich weiss noch heute nicht, was ich sonst in meinem Leben gemacht hätte. Deshalb erachte ich es als extremes Privileg, dass ich das tun kann, was ich gerne mache.

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