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«Im alpinen Zirkus muss mehr Farbe ins Spiel kommen»

Jürg Capol ist seit dem 1. Juli 2016 Marketing-Direktor des Internationalen Skiverbandes. In dieser Rolle betrachtet der Bündner viele Dinge gerne auch aus anderer Optik.

Agentur
sda
20.03.18 - 08:18 Uhr
Ski alpin
Der Schwede Mattias Hargin (vorne) beim Duell mit dem Schweizer Ramon Zenhäusern im Team-Wettkampf beim Weltcup-Finale in Are
Der Schwede Mattias Hargin (vorne) beim Duell mit dem Schweizer Ramon Zenhäusern im Team-Wettkampf beim Weltcup-Finale in Are
KEYSTONE/EPA TT NEWS AGENCY/PONTUS LUNDAHL

Er sehe sich bei der FIS nicht zuletzt auch in der Rolle des «Bad Boy, der unseren Leuten sagt, dass es nicht nur die sportliche Seite gibt», sagt Capol. Zuvor war der ehemalige Spitzenlangläufer während vier Jahren als Nordisch-Direktor der FIS Marketing AG und von 2003 bis 2012 als Langlauf-Renndirektor tätig.

Capol war von 1997 bis 2001 auch Verkehrsdirektor in Silvaplana. Danach war er als Chef Marketing bei der Austragung der alpinen Ski-WM 2003 in St. Moritz involviert. Er ist 52 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Sargans.

Jürg Capol, wenn Sie den Begriff FIS hören: Was assoziieren Sie damit?

«Zunächst einen Sportverband, der mit vielen verschiedenen Disziplinen weltumspannend sehr breit aufgestellt ist. Auf der einen Seite gibt es den Wettkampfsport, den man fördert und der unsere Promotions-Fläche ist, auf der anderen Seite liegt unseren Verbänden am Herzen, möglichst viele und neue Wintersportler zu bekommen.»

Und wie sehen Sie Ihre Rolle?

«Diese besteht primär darin, unsere besten Events, Serien und Sportarten zu entwickeln und weiterzubringen. Ich sehe mich zudem auch ein bisschen als 'Bad Boy', der unseren Leuten sagt, dass es nicht nur die sportliche Seite gibt.»

Wie meinen Sie das?

«Einer, der beispielsweise im Alpin-Komitee der FIS sitzt, der liebt seinen Sport. Dieser ist seine ganze Passion. Was auch richtig ist. Doch es braucht auch eine andere Optik, um zu erkennen, was man eben noch besser machen könnte. Ich bin im Marketing und will etwas verkaufen. Dazu musst du dein Schaufenster dekoriert haben, aber natürlich nicht fünfzig Jahre genau gleich. Auch im alpinen Zirkus müssen wir vermehrt eine Story haben, so dass mehr Farbe ins Spiel kommt.»

Und für die sind Sie nun alleine zuständig?

«Als ich Gian Franco (Kasper, den FIS-Präsidenten - Red.) gefragt habe, was eigentlich meine Rolle sei, sagte er, ich sei in übergeordneter Rolle und müsse schauen, dass das ganze Ding läuft. Aber ich sehe es realistisch. Nur eine One-Man-Show bringt nicht viel. Du brauchst ein paar Kollegen, die dir und deinen neuen Ideen folgen wollen.»

Ist es nicht einfacher? Sie müssen doch nur Ihren Chef überzeugen. In Interviews kokettiert Herr Kasper immer auch wieder damit, dass er im FIS-Vorstand noch jeden seiner Vorschläge durchgebracht habe.

«Genau. So wars auch bei mir in der weiteren Vergangenheit. Beim Kreieren der Tour de Ski ging ich direkt zu ihm. Wenn er gesagt hätte: 'Vergiss es', dann hätte ich es vergessen. Er aber sagte: 'Mach, das kann gut werden'. Also bin ich gerannt und habe ich die anderen Personen im Komitee überzeugt.»

Was haben Sie seit Ihrem Antritt im jetzigen Job bewirkt?

«Bis jetzt läuft noch nicht viel anders. Am Anfang kannst du nicht überall gleich als Besserwisser auftreten. Es braucht auch immer eine gewisse Zeit, um sagen zu können, was wir ändern wollen und wo wir in welcher Sportart und Disziplin ansetzen müssen. Im alpinen Bereich sind nun einige Anstösse in der Pipeline, so zum Beispiel die Parallelrennen. Beim FIS-Kongress im Mai wird entschieden, ob das auf 2021 ein WM-Event werden soll.»

Bei diesen sogenannten City Events gibt es noch einen Wildwuchs an Formaten.

«Das ganze Prozedere muss natürlich bei den Männern und Frauen vereinheitlicht werden. Es darf nur noch ein Format geben. Egal, ob das Rennen in der Stadt oder an einem Hügel stattfindet. Alle Rennen müssen auch für die gleiche Kristallkugel zählen.»

Was haben Sie sonst noch an Lager?

«Es müssen noch mehr Geschichten geschrieben und erzählt werden. An den Klassikern im Januar muss man nicht schrauben. Aber vielleicht könnte man auch da die drei grossen Abfahrten nehmen und als Kombination werten. Eine Geschichte wie die, dass Beat Feuz und Aksel Lund Svindal über die zehn Abfahrten dieses Winters zeitlich nur um einen Zehntel getrennt sind, haben wir zu wenig propagiert.»

Und sonst?

«Man muss sich bewusst sein, wie schnell man vergisst. Was im Oktober in Sölden war, dass weiss ja selbst ich als Nahestehender kaum mehr. Einfach nur an vier, fünf Wochenenden vor Weihnachten Skirennen zu fahren, damit ist es nicht getan. Vielleicht bräuchte es jeweils im Dezember ein Super-Wochenende, an welchem die Frauen und Männer am gleichen Ort auftreten und es eigene Wertungen und mehr Preisgeld und Weltcup-Punkte als normal gibt. Momentan gibt es ein solches Highlight vor Weihnachten nicht.»

Wird das schon im Alpin-Komitee diskutiert?

«Nein. Aber ich sage ja nicht, dass man ganz anders skifahren soll. Oder gar von unten nach oben. Aber gewisse Dinge sollte man schon anders anstellen.»

Andere Vorschläge von Ihnen sind eher kosmetischer Natur.

«Teils geht es nicht darum, das Format zu ändern, sondern nur den Namen. Für mich ist es klar, dass es keine zweiten Läufe mehr gibt. Diese heissen künftig Final. Und der erste Lauf wird zur Qualifikation oder Challenge Round. Aber auch diese sollte dann nicht 90 Starter umfassen. Da schaut doch niemand zu, auch vor Ort nicht.»

Wo beissen Sie mit Vorschlägen auf Granit?

«Gerade, wenn du die Anzahl Starter pro Weltcup-Rennen begrenzen willst. Fürs TV-Produkt wäre ich froh, dass im Weltcup auch in der Abfahrt und auch im Super-G nach 30 Fahrern fertig ist. Mit dem Schlussbild der Übertragung weisst du, wer gewonnen hat und auf dem Podest steht. Das ist meistens auch jetzt so, aber es gibt immer wieder Fahrer mit hohen Nummern, die nach vorne fahren. Das ist sportlich schön, aber eben auch doof, da ja niemand mehr überträgt.»

Weniger Fahrer am Start bedeutet in der Konsequenz, dass es eine Quote pro Nation braucht.

«Es muss mit der Quote ja nicht gerade so extrem sein wie bei Olympia, wo pro Nation nur vier starten dürfen. Oder man nimmt halt die besten zwanzig einer Disziplin. Diese sind bereits im Final, andere können sich aber noch qualifizieren. Ich hätte zudem auch gerne mehr Sprint-Abfahrten, bei welchen dann der Final möglichst immer um 13 oder 14 Uhr stattfindet. Dies unter der Voraussetzung, dass die Unfallgefahr auf einer Piste dann nicht höher ist.»

Wird das immer fair sein?

«Es gibt ja auch jetzt immer jemanden, der sagt, bei ihm habe es zwei Wolken oder sonst eben mehr Wind gehabt. Das hast du, ob du um zehn Uhr oder am Nachmittag im Schatten fährst.»

Bei der FIS und vielen nationalen Verbänden erfolgt eine Querfinanzierung von den Alpinen zu den anderen Sportarten.

«Der alpine Bereich ist meistens die 'Cashcow'. Wenn diese leidet, tun es auch die anderen. Wichtig ist deshalb, dass man bei den Alpinen die zweite Liga, also beispielsweise den Europacup, stützt, sofern oben im Weltcup reduziert wird. Es braucht Startgelegenheiten für die jungen Fahrer. Dieses aufgewertete Produkt überträgst du mittels Live Streaming. Davon werden vielleicht nicht die Massen begeistert sein, aber es heizt den Final vom Samstag an. Und es bieten sich Geschichten an über die Fahrer, die sich qualifiziert haben.»

Sie waren jetzt einige Tage bei Ihrer «Geldkuh», beim Weltcup-Finale in Are, wo nächstes Jahr auch die WM stattfinden wird. War es tatsächlich ein Premium-Produkt?

«In Are kamen definitiv zu wenige Fans. Das sieht für einen Final ganz schlecht aus. Zugleich war das Finale die Hauptprobe für die WM. Alles, was nicht geklappt hat, also die Mängel, können hoffentlich bis nächstes Jahr behoben werden. An der WM wird es insofern leichter für den Organisator, als dass nur ein Rennen pro Tag stattfindet. Aber wir müssen uns klar sein, dass wir auch 2019 hier nicht Verhältnisse wie in Schladming haben werden. In Are werden total im besten Fall 80'000 oder 90'000 Zuschauer kommen.»

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