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Einer der Königsmacher: Bündner hat Anteil an Feuz-Sieg in Wengen

Wichtigste Passage: Ohne Thomas Zurfluh und seine Männer wäre das «Kernen-S» beim Skirennen nicht befahrbar. Wir haben den 45-jährigen Elektrotechniker aus Arosa einen Tag am Nadelöhr begleitet.

Südostschweiz
14.01.18 - 12:28 Uhr
Ski alpin
Thomas Zurfluh ist der Strecken-Chef des «Kernen-S»
Thomas Zurfluh ist der Strecken-Chef des «Kernen-S»
Valentina Dirmaier

Die Kälte fährt einen durch Mark und Bein, kitzelt die Nase, lässt die Backen rot werden. Für Zaungäste ist die Bahnstation Kleine Scheidegg um sechs Uhr morgens kein schöner Ort. Wohl aber für Thomas Zurfluh. Der Bündner ist hier nahe dem ehemaligen «Brüggli-S», nunmehr «Kernen-S», in seinem Element. Die niedrigen Temperaturen und das frühe Aufstehen sind Nebenerscheinungen, die der gelernte Elektrotechniker für den längsten Abfahrtslauf Jahr für Jahr gerne in Kauf nimmt. 

Dann, wenn sich die Rennbesucher erst aus dem Schlafanzug schälen oder mit Sack, Pack und Fahnen zum Schauplatz im Berner Oberland ziehen, ist Thomas Zurfluh bereits auf Position. Seinen Abschnitt, wie er gerne sagt, hat er vor fünf Jahren von seinem Bruder Rene übernommen.  Rene, eigentlich Liftwart und inzwischen Lauberhorn-Organisationschef, hat Thomas nach Wengen gebracht. 

«Deli» mit Rennchef Hannes Trinkel, der wie Autorin Valentina Dirmaier aus Oberösterreich stammt.
«Deli» mit Rennchef Hannes Trinkel, der wie Autorin Valentina Dirmaier aus Oberösterreich stammt.

Sein einstiges Wohnzimmer hat nun Thomas, den alle nur als «Deli» oder «Ole» kennen, bezogen. Und das muss am Tag X glänzen. Wie Thomas zu seinen Rufnamen gekommen ist? Er weiß es nicht, überlegt eine Zeit. Sie müssen von Bjørn Daehlie oder Ole Einar Bjørndalen kommen. Aber warum? Er hat keine Ahnung. 

Es ist kurz vor sieben Uhr. Langsam wird es heller. Die wunderschöne Kulisse hinter der Piste mit Eiger, Mönch und Jungfrau ist langsam erkennbar. Zeit fürs Staunen hat Thomas nicht. Die Torstangen in dem nur drei Meter breiten Kanal - der engsten Stelle aller Skialpin-Rennen - bekommen ihren leuchtend orangefarbigen Überzug verpasst.

Streckenbesichtigung: Im Bild der Österreicher Max Franz (Mitte) und Mauro Caviezel (rechts).
Streckenbesichtigung: Im Bild der Österreicher Max Franz (Mitte) und Mauro Caviezel (rechts).

Danach beginnt die Inspektion der fein säuberlich präparierten Piste. Noch vor Tagen spuckte der Himmel Unmengen an Schnee. An ein Rennen war nicht zu denken. Pistenraupen mussten die weissen Massen aus der Lauberhorn-Autobahn schieben. Thomas und seine Mannen, die Armee auf Skier, schaufelte tagelang. 

Das lässt einen schon zur Verzweiflung bringen, möchte man meinen, Begonnen haben die Arbeiten bereits zu Jahresbeginn. Beinahe rund um die Uhr ist Thomas seither im Einsatz. Dafür hat er Arosa für zwei Wochen den Rücken gekehrt, seine Zelte in einer kleinen Hütte in Wengen aufgeschlagen und den kleinen Ort über Lauterbrunnen seither nicht mehr verlassen. 

Piste präparieren. Vor dem Rennen wird versucht, jedes Flöckchen aus der Piste zu schaufeln.
Piste präparieren. Vor dem Rennen wird versucht, jedes Flöckchen aus der Piste zu schaufeln.

Alles ordnet er in dieser Zeit dem Skirennen mit der Rekordlänge von 4,5 Kilometern unter. Dafür nimmt er sich Jahr für Jahr Urlaub. Der Dank? Die vielen glücklichen Gesichter, Umarmungen und gedrückten Hände von Athleten, Trainern und Rennverantwortlichen. Währen der Renninspektion kommt Rennleiter Hannes Trinkl - seit seinem Weltmeistertitel in der Abfahrt einer der Nationalhelden in Österreich - um kurz vor 8 Uhr bei «Deli» vorbei. Eine Umarmung, ein kurzer Zug vom Flachmann und einige Fragen zum Zustand der wohl interessantesten Passage des Rennens. 

Zwei Stunden später rutschen die ersten Athleten neben Thomas Zurfuh vorbei. Aksel Lund Svindal, Peter Fill, Hannes Reichelt, Beat Feuz. Vom späteren Sieger, den der «Brüggli-S»-Meister drei Stunden vor Rennbeginn prognostiziert hat, gibts eine Umarmung. Auf seine Arbeit sind sie alle angewiesen. Denn hier kann die Abfahrt gewonnen oder verloren werden. Thomas friert. Die Zehen und Finger sind kalt. Das Lachen verliert er trotzdem nicht. 

Punkt 12.30 Uhr. Beat Feuz stösst sich aus dem Starthaus, 35.000 Fans neben der Strecke und im Ziel jubeln. Thomas ist still und sehr nervös. Hoffentlich geht alles gut.  Mit mehr als 100 km/h rasen die Skifahrer nach «Hundschopf», «Minschkante» und «Canadian Corner» auf dem Alpweg in Richtung «Kernen-S». Horrend ist das Tempo auf diesem Streckenabschnitt, der früher nach der kleinen Brücke benannt war. 

Seit 2007 ist Thomas Zurfluhs Wohnzimmer, das nach der Streckenbesichtigung mit Schneeschaufeln und Eiskratzer von Thomas’ Armada penibel präpariert und von Schneeresten befreit wird, nach einem spektakulären Sturz des mittlerweile pensionierten Schweizer Rennfahrers Bruno Kernen umgetauft. 

Warum die Passage so spektakulär ist? Weil die Rennfahrer das «Kernen-S» auf direkter Linie meistern müssen und dabei soviel Tempo wie möglich auf das folgende Flachstück «Langentrejen» mitnehmen müssen. Immer wieder trägt die Schwerkraft die Fahrer in der zweiten Kurve der Rechts-Links-Kombination weit den Hang hinauf in die Nähe der Bäume. So manch einen wirft sie auch ab. Wie Christof Innerhofer am Samstag. 

Das sind Momente, in denen Thomas viele Nerven lässt. Der nicht arbeitsscheue Bündner kümmert sich nicht nur rührend um die Schneeauflage der Lauberhornabfahrt und des Slaloms, sondern auch um die Athleten. Stürze kosten ihm genauso viele Nerven wie den Trainern, die neben Zurfluh, positioniert sind. 

Kitschige Kulisse zu Rennbeginn: Die Fans feiern ihre eidgenössischen Athleten.
Kitschige Kulisse zu Rennbeginn: Die Fans feiern ihre eidgenössischen Athleten.

Adrenalin und die Sonne, der Feind der Piste, lassen einen auftauen. Mit jedem Läufer, der das «Kernen-S» passiert, wird Thomas lockerer. Jede Unterbrechung nützt er, um die Rillen auf dem Schnee wegzukratzen. Ob er sich für die Eidgenossen noch mehr ins Zeug legt? Thomas lacht. Nein, keiner wird bevorzugt. Und nicht nur für die Top-Fahrer will er beste Bedingungen. 

Während die bespassten und (grössten)teils auch angeheiterten Besucher nach und nach auf Skiern, auf einer Rodel oder - im schlimmsten Fall mit dem Rettungsdienst - ins Tal zurückkehren, hält der Bündner noch immer Stellung. Erst nachdem Läufer Nummer 62 die Ziellinie überfahren hat, atmet Thomas Zurfluh tief aus. Sein Renndienst ist getan. Jetzt muss er aufräumen. Und alles für den letzten Renntag vorbereiten.

Besprechung vor dem Renntag: Thomas Zurfluh mit Autorin Valentina Dirmaier.
Besprechung vor dem Renntag: Thomas Zurfluh mit Autorin Valentina Dirmaier.
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