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Ob auf der Bahn oder der Strasse - Flurina Rigling ist schnell

Flurina Rigling startet an der WM in Schottland als Titelverteidigerin und Weltrekordhalterin auf der Bahn. Doch auch auf der Strasse ist mit der Zürcher Para-Radsportlerin zu rechnen.

Agentur
sda
04.08.23 - 05:00 Uhr
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Flurina Rigling in der Einzelverfolgung auf der Bahn in Glasgow
Flurina Rigling in der Einzelverfolgung auf der Bahn in Glasgow
KEYSTONE/EPA/ADAM VAUGHAN

Flurina Rigling sitzt neben der Bahn im Velodrome von Grenchen. Sie hat eine weitere Trainingseinheit hinter sich gebracht, überhaupt hat die Zürcherin in den letzten Wochen intensiv trainiert. Schliesslich steht für die 26-Jährige die WM in Schottland an, wo sie zuerst auf der Bahn und ab 9. August auf der Strasse um Medaillen fahren wird.

Es ist ein anspruchsvoller Spagat, dieser Wechsel von der Bahn auf die Strasse, das ist sich die Athletin bewusst, aber Rigling versichert, sie habe sich im Training zusammen mit ihrem Trainerteam einige Kniffe überlegt, wie die Umstellung möglichst problemlos gelingen soll. Verraten würde sie diese freilich nicht. Die Konkurrentinnen sollen ihr nicht über Umwege in die Karten blicken können und dann ihr mögliches Erfolgsrezept 'abkupfern'. «Die grösste Herausforderung wird die Erholung zwischen den Wettkämpfen», sagt sie.

Erfolgsjahr 2022

Rigling und Weltmeisterschaften - im letzten Jahr war dies eine äusserst erfolgreiche Kombination. An der Bahn-WM in Montigny-le-Bretonneux in Frankreich heimste die Schweizerin insgesamt vier Medaillen ein. Neben Bronze im Sprint und Silber im Scratch und Omnium krönte sich Rigling in der Einzelverfolgung zur Weltmeisterin. Dabei stellte sie über die 3000 m zweimal einen Weltrekord auf und senkte die Bestmarke auf 4:00,228 Minuten.

Doch auch auf der Strasse wusste Rigling zu überzeugen und wurde an der WM in Baie-Comeau in Kanada Zweite im Zeitfahren und Dritte im Strassenrennen. In Österreich kamen an der EM eine Goldmedaille auf der Strasse und eine silberne Auszeichnung im Zeitfahren hinzu. Es sind Erfolge, die Rigling automatisch auch in Schottland in den Kreis der Favoritinnen hieven.

Die gebürtige Hedingerin ist jedoch bestrebt, vergangene Erfolge nicht an sich herankommen zu lassen. «Was mir letztes Jahr gelungen ist, macht mich mega stolz, aber es hilft mir jetzt nicht», sagt sie. «Meinen WM-Titel kann mir niemand nehmen, aber wenn ich ihn nicht gewonnen hätte, würde ich in Glasgow nun ebenso am Start stehen.» Es sind Sätze, die zeigen, dass Rigling nicht nur auf dem Velo oder im Kraftraum trainiert, sondern auch in den mentalen Bereich investiert.

Sie tauscht sich regelmässig mit einer Sportpsychologin aus, die ihr hilft, Erlebtes einzuordnen oder sich optimal auf einen Wettkampf vorzubereiten. «Es ist schon sehr viel passiert», sagt Rigling. «Ich versuche, alles aufzusaugen, weil es überhaupt nicht selbstverständlich ist.»

Polysportiv zum Radsport gefunden

Wer sich mit ihr austauscht, könnte den Eindruck erhalten, Rigling würde sich schon sehr lange als Spitzensportlerin im Rad-Zirkus bewegen. Die Zürcherin hat jedoch erst 2019 begonnen, in diesem Umfang zu trainieren, der ihr im Durchschnitt etwa 20 Stunden pro Woche abverlangt. Nationaltrainer Daniel Hirs stand einmal mit einem Velo vor ihrer Haustür, und nur wenig später war sie endgültig mit dem Rad-Virus infiziert.

Zuvor war Rigling, die eigentlich aus einer Ruder-Familie stammt, länger auf der Suche nach der für sie idealen Sportart. Da ihr an Händen und Füssen je vier Finger und Zehen fehlen und sie ihre Wadenmuskulatur nicht einsetzen kann, sind nicht alle Sportarten gleich gut geeignet für ihre Voraussetzungen.

Im Schulsport versuchte sie, wenn immer möglich mitzumachen, zudem schwamm sie regelmässig und versuchte sich als Läuferin. Dieser polysportive Hintergrund helfe ihr nun auch als Radfahrerin, sagt Rigling, die ihr Bahn- oder Strassen-Velo nicht mehr gegen etwas anderes eintauschen möchte. «Im Radsport kann ich meine Stärken ausspielen und muss nicht immer versuchen, meine Schwächen zu kompensieren», sagt sie, die mit ihrem Touren-Velo schon durch die ganze Schweiz gefahren ist und zahlreiche Pässe bezwungen hat.

Stetes Optimieren des Materials

Im Moment fehlt die Zeit zwar für solche «Touristenfahrten», wie Rigling sie nennt. Aber wenn die Wettkampfsaison vorbei ist, wird sie vielleicht wieder einmal in ihrer liebsten Gegend im Engadin unterwegs sein. Wobei auch neben Bahn und Strasse einige Projekte am Laufen sind, die ihre Zeit beanspruchen.

Für ihr Masterstudium in Politikwissenschaften schreibt sie ihre Abschlussarbeit, und immer wieder tüftelt sie am Material. Ein Student der ETH Zürich entwickelte mit ihr einen speziellen Lenker für ihr Strassen-Velo, der es ihr ermöglicht, ihre Hand optimal zu positionieren und mit genügend Halt auf dem Rad zu sitzen. Dieser soll im Herbst optimiert, leichter und aerodynamischer werden. Zudem wäre das Ziel, diesen angepassten Lenker irgendwann auch am Bahn-Velo verwenden zu können.

Es gebe immer Baustellen, die optimiert werden könnten, sagt Rigling, und sie versuche, sich jedes Jahr zu verbessern und neue Reize zu setzen. Für die Konkurrenz sind das keine guten Nachrichten - auch im Hinblick auf die Paralympics 2024 nicht, bei denen Rigling im Falle einer Selektion auf ihre Weltrekordbahn zurückkehren dürfte.

Doch Rigling würde ihre Gedanken nie in derlei Richtung schweifen lassen und mit Erwartungen zu sehr Druck aufsetzen. Sie sagt, was sie vor jedem Wettkampf sagt: «Ich will einfach meine Leistung abrufen. Alles andere liegt eh nicht in meiner Hand.»

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