«Es geht nicht nur um positive Resultate»
Andy Schmid bestreitet ab Mittwoch in seiner langjährigen Heimat Deutschland sein letztes grosses Turnier. Dementsprechend gross ist der Rummel um seine Person.
Andy Schmid bestreitet ab Mittwoch in seiner langjährigen Heimat Deutschland sein letztes grosses Turnier. Dementsprechend gross ist der Rummel um seine Person.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht der 40-jährige Schmid unter anderem über das Altern, seine erste grosse Verletzung, das Weltrekordspiel in Düsseldorf und was es braucht, um zufrieden von der EM nach Hause zu reisen.
Andy Schmid, Sie haben schon einiges erlebt in Ihrer Karriere. Welche Bedeutung hat für Sie die am Mittwoch beginnende EM in Ihrer langjährigen Heimat?
«Sie hat einen extremen Stellenwert. Es ist allerdings nicht mehr so speziell wie 2020, als wir uns erstmals seit langem wieder für eine EM qualifiziert haben. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich mir wünschen würde, dass mein Körper noch etwas jünger und ich auf dieser grossen Bühne in meiner Blütezeit wäre. Als Abschluss ist es dennoch schön.»
Ist die Anspannung grösser, weil es Ihr letztes Turnier als Spieler ist?
«Nein, bis jetzt nicht. Ich mache mir keine grossen Gedanken darüber, bin im Reinen mit mir bezüglich des Karriereendes. Ich spürte in den letzten paar Jahren, dass es ein Wettlauf mit der Zeit wird. Als ich im Sommer Probleme hatte mit der Achillessehne und mir ein Leistenbruch zu schaffen machte, hielt mir das die Realität vor Augen. Ich bin froh, es bis hierhin geschafft zu haben. Das war der Hauptgrund, noch in der Schweiz zu spielen.»
Brauchte es einen Sondereffort, um an der EM dabei zu sein?
«In den zwölf Jahren in der Bundesliga verpasste ich bloss ein Spiel. Ich war mit 39 Jahren das erste Mal in meiner Karriere mit einer Verletzung konfrontiert, die mich zu einer Pause zwang. Von daher brauchte es nicht nur trainingsmässig einen Sondereffort, sondern auch psychisch. Es war ungewohnt für mich, im Sommer nicht trainieren zu können, an der Seitenlinie zuschauen zu müssen. Ich musste mich das erste Mal in meinem Leben einer Operation unterziehen. All das hat mich schon beschäftigt. Es zeigte mir auf, noch mehr investieren zu müssen, um gegen das Alter anzukämpfen.»
Sie haben mit einem Privattrainer zusammengearbeitet, oder?
«Genau. Das gab mir nochmals einen neuen Input und einen Kick. Es ist immer einfacher, wenn dich jemand pusht. Denn es gibt immer Momente, in denen du keine Lust hast zu trainieren.»
Das erste Spiel bestreitet die Schweiz am Mittwoch gegen Gastgeber Deutschland vor der Weltrekordkulisse von 53'000 Zuschauern im Fussballstadion in Düsseldorf. Ist das in Ihrem Sinn oder würden Sie lieber in einer normalen Halle spielen?
«Für die Sportart ist es natürlich sensationell, dass so etwas gemacht wird. Das generiert eine extrem hohe Aufmerksamkeit. Andererseits gehört der Handballsport in die Halle. Ich wäre nicht böse gewesen, wenn wir nicht in Düsseldorf gespielt hätten, auch weil der Event mit Ungewissheit verbunden ist, was natürlich auch für die Deutschen gilt. Man kann nicht so richtig abschätzen, wie man sich dort fühlt, denn wir Mannschaftssportler sind schon etwas Gewohnheitstiere. Darum lohnt es sich nicht, zu viele Gedanken daran zu verschwenden. Es kommt sowieso anders, als man es erwartet. Die Krux ist zu akzeptieren, dass es kein normales Spiel ist, dann gibt es keine grossen Überraschungen.»
Mit Deutschland, Frankreich und Nordmazedonien wurden der Schweiz happige Gegner zugelost. Was wird das Wichtigste sein, um unter die ersten zwei zu kommen und damit das Ziel Hauptrunde zu schaffen?
«Es spielen so viele Faktoren eine Rolle. Zwei Gegner sind auf dem Papier besser als wir, das ist ein Fakt, da müssen wir nicht das Blaue vom Himmel herunterholen. Ich bin ein realistischer Optimist, weiss, dass wenn Deutschland sein Leistungsvermögen abruft, es für uns brutal schwierig wird. Gegen Frankreich ist es noch krasser. Ich überlege mir nicht, ob wir in die Hauptrunde kommen oder nicht. Aber klar wollen wir Spiele gewinnen, reisen wir nicht an die EM, um dreimal gut auszusehen und mit null Punkten nach Hause zu fahren.»
Wie würden Sie die Mannschaft beschreiben?
«Man sieht schon, dass wir mittlerweile einige Spieler haben, die Woche für Woche in der Bundesliga auf Topniveau agieren und dort wichtige Rollen einnehmen. Wir sind reifer geworden. Das braucht es auch, um auf diesem Level zu bestehen. Die Entwicklung in den letzten Jahren ist definitiv positiv.»
Apropos Entwicklung. Als Michael Suter 2016 das Amt als Nationaltrainer übernommen hat, war der Handball in der Schweiz am Boden. Hielten Sie eine dermassen gute Entwicklung für möglich?
«Es war immer das Thema, dass alles professioneller werden muss, die Spieler sich zum Handball bekennen müssen. Früher waren es meistens nur Lippenbekenntnisse, nun sieht man, dass immer mehr Spieler daran glauben, mit Handball etwas erreichen zu können. Dieser Stein musste ins Rollen gebracht werden.»
Was eng mit Ihrer Person verbunden ist.
«Ich konnte sicherlich die eine oder andere Türe öffnen, dafür sorgen, dass mehr in die Schweiz geschaut wurde. Und Michi schaffte es, die Spieler dazu zu bringen, sich zum Spitzensport zu bekennen. Es fängt ja schon bei den Junioren an. Schon mit 15, 16, 17 Jahren gilt es, die Extrameilen zu gehen. Das hat er super aufgegleist.»
Sie sind ein Star in Deutschland. Der Rummel um Sie wird an dieser EM immens sein. Haben Sie sich mental speziell darauf vorbereitet?
«Nicht wirklich. Ich lasse es auf mich zukommen. Ich bin nun 40 Jahre alt, von daher tangiert es mich nicht mehr so krass. Ich weiss, wie schnelllebig das Ganze ist, weiss, was auf mich zukommt. Deshalb verschwende ich auch diesbezüglich nicht zu viele Gedanken, das würde mich nur vom Fokus ablenken. Ich versuche, die nötige Lockerheit hinzubekommen und es zu geniessen. Aber natürlich muss ich mich etwas abgrenzen und hie und da Nein sagen. Das lernte ich in den letzten Jahren.»
Fällt es Ihnen einfach abzuschalten?
«Nein. Egal was man macht, abzuschalten ist die Königsdisziplin. Ich denke permanent an den Handball, aber das bringt mich nicht gross aus der Ruhe. Ich habe Vertrauen in mich, in meine Stärken und bin mir bewusst, dass es nicht gut herauskommen kann. Das ist, glaube ich, etwas ganz Entscheidendes. Im Sport gibt es Hochs und Tiefs, manchmal ist die Tagesform gut, manchmal nicht. Wenn das akzeptiert wird, ist die Zuversicht, etwas Gutes zu machen, grösser als die Angst vor etwas Negativem.»
Wie stufen Sie Ihre aktuelle Form ein?
«Ich bin sicher nicht mehr so gut wie vor vier, fünf Jahren. Damals war ich explosiver, spritziger, frischer. Aber ich weiss, dass ich an guten Tagen nach wie vor zu Topleistungen fähig bin. Der Unterschied ist die Konstanz. In meiner Blütezeit habe ich ein gewisses Grundniveau nie unterschritten. Das ist für mich ohnehin eines der grössten Qualitätsmerkmale eines Spielers.»
Sie stehen kurz davor, Marc Baumgartner als Schweizer Rekordtorschützen in Länderspielen abzulösen. Dessen Marke steht bei 1093 Treffern, sie stehen bei 1075 Toren. Ist das in Ihrem Hinterkopf?
«Es ist eher eine Mediengeschichte. Aber klar wäre es cool, wenn ich es schaffen würde. Wenn nicht, fällt mir kein Zacken aus der Krone. Da bin ich ehrlich.»
Sie lösen Michael Suter nach der Saison als Nationaltrainer ab. Wie stark denken Sie schon wie ein Trainer?
«In den letzten Jahren immer mehr. Das spürte ich schon, als ich noch bei den Löwen (dem Team aus Mannheim) war. Das hat auch mit meiner Position als Spielmacher zu tun. Während einer Partie ist es aber fast unmöglich, wie ein Trainer zu denken, da man sich auf so viele Sachen konzentrieren muss.»
In der Verteidigung nehmen Sie jeweils nur eine Nebenrolle ein. Wie gut können Sie diese instruieren?
«Das ist eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Was das betrifft, wird falsch gedacht. Als Regisseur beschäftige ich mich nicht nur mit der Offensive, sondern auch mit der gegnerischen Deckung. Ich überlege mir, was sie machen, um uns zu stoppen, was unserem Angriffsspiel weh tut, und das gilt es, in der Defensive umzusetzen.»
Was braucht es, damit Sie zufrieden von der EM nach Hause reisen?
«Dass wir in allen Spielen, ob es drei, sechs oder acht sind, das aufs Parkett bringen, was wir uns vornehmen. Wir wollen mit Mut, Selbstbewusstsein und einer gewissen Brise Lockerheit aufs Feld gehen. Wir wollen jeden Gegner zumindest fordern. Es ist ein subjektives Gefühl, ob man zufrieden ist oder nicht. Es kann sein, dass wir gegen Deutschland ein fantastisches Spiel zeigen und mit einem Tor verlieren. Sind wir dann zufrieden? Ich weiss es nicht, das ist von so vielen Faktoren abhängig. Ohnehin darf nicht zu weit vorausgedacht werden. Klar wollen wir positive Resultate liefern, es geht aber nicht nur darum. Wir vertreten unsere Sportart auf der grössten Bühne, und das wollen wir bestmöglich tun.»