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Djokovic scheitert am Druck und spielt sich in die Herzen der Fans

Novak Djokovic hält am US Open in New York dem Druck nicht stand und verpasst den angestrebten Grand Slam. Auch deswegen erobert die Nummer 1 der Welt die Herzen des New Yorker Publikums.

Agentur
sda
13.09.21 - 09:44 Uhr
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Finalverlierer Novak Djokovic mit feuchten Augen bei der Siegerehrung in New York
Finalverlierer Novak Djokovic mit feuchten Augen bei der Siegerehrung in New York
KEYSTONE/AP/John Minchillo

Es war die Szene des Turniers. Als die knapp 24'000 Zuschauer im Arthur Ashe Stadion beim letzten Seitenwechsel des überraschend einseitigen Finals «Nole, Nole» schrien, konnte Novak Djokovic seine Emotionen nicht mehr kontrollieren. Er verbarg seinen Kopf unter dem Handtuch und weinte hemmungslos.

Als ihm der Grand Slam, die grösstmögliche Errungenschaft im Tennis-Sport, durch die Finger zu gleiten drohte, erfuhr Djokovic eine so starke Zuneigung des Publikums wie womöglich noch nie ausserhalb seiner Heimat. An der Siegerehrung sagte er mit noch immer feuchten Augen: «Dies habe ich so in New York noch nie erlebt. Ihr habt meine Seele berührt.»

Gerade im Big Apple war Djokovic das Publikum nie besonders wohl gesinnt; weder bei seinem letzten von drei Siegen 2018 im Final gegen Juan Martin Del Porto, und schon gar nicht 2015, als die Sympathien der bis auf den letzten Platz gefüllten Arena ausschliesslich Roger Federer galten. Gerade in den Duellen mit dem Schweizer war Djokovic immer die Rolle des Bösewichts zugedacht - und das weltweit.

Am Druck gescheitert

Auch in diesem Jahr musste Djokovic um die Gunst des Publikums kämpfen. Nach seinem Startsieg gegen den Dänen Holger Rune hatte sich die Weltnummer 1 irritiert gezeigt, dass sich die Fans auf die Seite des unbekümmerten Newcomers geschlagen hatten. Später löste er mit provokanten Gesten und Jubelschreien auf den Rängen nicht nur Begeisterung aus. Erst im Moment seiner grössten Niederlage erhielt er jenen Zuspruch, den er sich schon immer gewünscht und den er auch verdient hat.

Sympathien gewann Djokovic auch, weil er ungewohnte Schwächen zeigte. Der 2021 scheinbar Unbesiegbare war plötzlich nicht mehr perfekt, wie er das über all die Jahre so oft gewesen war. Und für einmal fand er auch keinen Weg, sich aus der Umklammerung zu lösen. Am French Open in Paris hatte er das gegen Rafael Nadal und Stefanos Tsitsipas noch geschafft.

Der Gefühlsausbruch von Djokovic legte aber auch offen, wie immens der Druck war, der auf dem Weltranglisten-Ersten lastete. «Druck und Müdigkeit sind eine fatale Mischung», sagte ESPN-Kommentator John McEnroe, als sich die Niederlage abzeichnete. Djokovic wäre nach Rod Laver 1969, Margaret Court 1970 und Steffi Graf 1988 erst der Vierte gewesen, der in der Profi-Ära den Kalender-Grand-Slam vollendet hätte. «Ich bin froh, dass es nun vorbei ist», so der Serbe.

Medwedew mit klarem Plan

Im Gegensatz zu Serena Williams 2015 scheiterte Djokovic aber nicht nur am Druck und dem eigenen Unvermögen, sondern auch an einem Gegner, der im Final eine nahezu perfekte Leistung ablieferte. Am Australian Open war Medwedew gegen Djokovic noch chancenlos geblieben, aus dem verlorenen Final lernte der Russe seine Lektion. «Im Unterschied zu Melbourne hatte ich nun einen klaren Plan.»

Von der Grundlinie hielt Medwedew dank guter Beinarbeit und der richtigen Mischung zwischen Geduld und Aggressivität mit. Und mit dem Aufschlag brachte er den herausragenden Return-Spieler Djokovic für einmal in arge Nöte. An seinem Paradeschlag hatte Medwedew nach der Enttäuschung an den Olympischen Spielen in Tokio ausdrücklich gefeilt. Er war das entscheide Puzzle-Stück auf dem Weg zum ersten Grand-Slam-Titel.

«Dass ich es geschafft habe, Novak nach 27:0 Siegen und auf seiner Jagd nach der Geschichte zu stoppen, macht den Erfolg noch süsser», sagte Medwedew, der 2019 auch seine Erfahrungen mit dem New Yorker Publikum gemacht hatte. Dies gebe ihm vor allem auf Hartplatz viel Vertrauen für die Zukunft. Wer den Russen am Sonntag erlebte, zweifelt nicht, dass dieser weitere grosse Titel gewinnen wird.

Medwedew verhinderte auch, dass Djokovic in der ewigen Bestenliste Federer und Nadal übertraf. Noch stehen die «Big 3» dieser aussergewöhnlichen Ära alle bei 20 Grand-Slam-Titeln. Aber während dem Baselbieter das Karriereende droht und auch Nadal aufgrund einer Fussverletzung länger pausiert, liess Djokovic keine Zweifel offen, dass er weiter angreifen und Grand-Slam-Turniere gewinnen will. «Es warten neue Herausforderungen. Solange ich motiviert bin und das Flair habe, werde ich weitermachen.»

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