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Xeno Müller lancierte den Schweizer Goldrausch

1996 krönt sich Xeno Müller dank fulminanten letzten 500 m zum Olympiasieger im Skiff. Diesen Triumph hat er vier Jahre zuvor angekündigt. Es ist die erste von vier Schweizer Goldmedaillen.

Agentur
sda
14.07.20 - 04:30 Uhr
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Atlanta, 27. Juli 1996. Der Startschuss zum Olympia-Final im Skiff steht unmittelbar bevor. Müller bewegt die Schultern hin und her, es ist ihm etwas schwindlig. «Es war komisch. Ich fühlte mich nicht so solid im Boot», erinnert sich der heute 47-Jährige im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Das war mir vorher noch nie passiert. Ich dachte: 'Reiss dich zusammen.'»

Müller führte dies auf den enormen Druck zurück. Vier Jahre zuvor in Barcelona hatte er nach dem Scheitern im Olympia-Halbfinal in einem Live-Interview verkündet, dass er 1996 gewinnen werde. In Atlanta sagte er am Tag vor dem Final zu Trainer Marty Aitken: «Warum geben sie mir die Goldmedaille nicht schon jetzt?» Schliesslich hatte er im Vorlauf und im Halbfinal den stärksten Eindruck hinterlassen. Aitken entgegnete, dass er nicht nur Gold im Kopf haben dürfe, jede Medaille an Olympischen Spielen eine gute sei.

Diese andere Perspektive half Müller, auch, dass Aitken wollte, dass bis nach dem Final kein Journalist mit dem Schweizer redet. Damit schützte er ihn vor Fragen, die «ich mir selber nie stellen würde. Je weniger 'was wäre wenn' du im Kopf hast, desto einfacher ist es, das Ziel zu sehen. Denn wenn mich einer etwas fragt, sage ich, was ich denke. Ich bin einer, der aus dem Herzen spricht. Es ist schwierig für mich, nicht die Wahrheit zu sagen.»

Trotz alledem sah es nach 1000 m nicht einem Triumph von Müller aus Er belegte bei Rennhälfte den 4. Platz mit einem Rückstand von 3,03 Sekunden auf Derek Porter. Den letzten Streckenviertel nahm er als Dritter in Angriff, wobei die Differenz zum Kanadier noch 1,28 Sekunden betrug. Was Müller dann auf den letzten 500 m zeigte, war einsame Klasse. Er liess der Konkurrenz keine Chance und siegte mit einem Vorsprung von 2,60 Sekunden auf Porter.

Wie war das möglich? Da er auf den ersten 1000 m den Körper nicht richtig fühlte und Mühe hatte, ins Rennen zu finden, «hatte ich auf den letzten 250 m noch etwas im Tank». Wichtig sei, mit dem Flow zu gehen, der Geist verhindere dies aber manchmal, erklärt Müller. Jedoch nicht in Atlanta, weshalb «ich fähig war zu sprinten». Ausserdem habe ihn sein Idol Thomas Lange auf solche Rennen vorbereitet. Der deutsche Olympiasieger von 1988 und 1992 griff gerne auf den letzten 750 m an. «Ich trainierte den Sprint wie ein Wahnsinniger», so Müller.

Im Ziel dachte er an seinen vier Jahre zuvor verstorbenen Vater und die Familie an Land. Als er an den Zuschauern vorbei ruderte, erkannte er Leute, die er zehn Jahre nicht gesehen hatte. «Ich lachte und weinte», erzählt Müller. Wo bewahrt er eigentlich die Medaillen auf - neben Gold in Atlanta gewann er noch Olympia-Silber 2000 in Sydney und wurde er dreimal WM-Zweiter? «Sie sind versteckt. Manchmal zeige ich sie Leuten als Motivation.»

Müller startete zwar für die Schweiz, er verbrachte aber nur die ersten drei Jahre hier. Danach lebte er in Spanien, Deutschland und lange in Frankreich, wo er mit 13 Jahren mit dem Rudern begann. Als er 16 wurde, kauften ihm die Eltern ein Skiff mit dem Namen «Follow Me». Im Herbst 1991 durfte er an die Brown University in Providence im Bundesstaat Rhode Island, die er dreieinhalb Jahre besuchte. Seit Ende 1995 wohnt er in Kalifornien, er ist verheiratet und hat vier Kinder - die einzige Tochter heisst Georgia, benannt nach dem Bundesstaat, in dem Atlanta liegt. Die Familie lebt in Costa Mesa, der Heimatstadt seiner Frau. Da er in verschiedenen Ländern aufwuchs, hatte er lange mit fehlender Zugehörigkeit zu kämpfen. Der Olympiasieg gab ihm eine Identität. «Ich war nun überall willkommen, das hat sich wirklich gut angefühlt.»

Müller, der 2004 die Karriere beendet hat, trainierte mehrheitlich alleine. Sein Ehrgeiz, es ganz nach oben zu schaffen, war riesig. «Mein Grossvater und Vater sagten immer: 'Du musst einen starken Körper haben.' Ich wollte Muskeln wie Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone besitzen.» Früher gab es für Müller nur Rudern, er dachte praktisch permanent daran. «Ich bin froh, das hinter mir zu haben.» Dem Sport ist er dennoch verbunden geblieben. Er begleitet mehrere Athleten auf der ganzen Welt als Trainer, und zwar alle per Internet. Dabei profitiert er von seinen Erfolgen. «Meine Karriere ist Teil des Marketings», sagt Müller.

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