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Black-Power-Aktivist Tommie Smith würde es wieder tun

Die Sportwelt bekundet ein Problem mit politisch aktiven Sportlern. Nur selten stellen sich Athleten dem entgegen. Die Ikone des politischen Protests im Sport entstand 1968 mit Tommie Smith.

Agentur
sda
04.06.20 - 16:00 Uhr
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Die derzeitigen Protestaktionen der Sportwelt nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd überschneiden sich zufälligerweise mit dem Geburtstag von Tommie Smith. Jenem Black-Power-Aktivist, der mit der Goldmedaille um den Hals die Faust im schwarzen Handschuh zum Himmel reckte.

Smith, der am Samstag 76-jährig wird, zählt bis heute zu den bekanntesten Athleten der Sportgeschichte - über die Leichtathletik hinaus. Dass er am 16. Oktober 1968 den 200-m-Final der Olympischen Spiele in Mexiko City in der Weltrekordzeit von 19,83 Sekunden gewann, weiss kaum einer mehr. Berühmt wurde der gebürtige Texaner danach bei der Siegerehrung durch seinen Black-Power-Protest mit erhobener Faust. Diese eine Geste diente als Sujet für eines der berühmtesten Sport-Fotos. Auch knapp 52 Jahre später bleibt sein mutiger Protest unvergessen. Ein Protest gegen die Unterdrückung der Schwarzen, ein Appell für Gleichberechtigung.

Smith, der nach dem Sport eine akademische Karriere einschlug, im Fach Soziologie promovierte und seine Biographie unter dem Titel «Silent Gesture» (Stille Geste) veröffentlichte, ist längst im aktiven Ruhestand. Er reist viel herum, gibt zahlreiche Interviews und wird immer wieder gefragt: Würden Sie es wieder tun? Was haben Sie im Stadion gefühlt? Mussten Sie all ihrem Mut zusammennehmen? «Es war ein göttlicher Auftrag. Und ja: Ich bereue nichts! Der Staffelstab ist an die jüngere Generation übergeben worden. Und ja: Ich würde es wieder tun. Und ich würde es jeden Tag tun», sagte er vor einem Jahr gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Oder der «Weltwoche» erzählte er einst: «Alles raste mir in wenigen Sekunden durch den Schädel, die Jahre, Stunden und Minuten, die ich für das Menschenrechtsprojekt geopfert hatte, meine Arbeit auf den Feldern in Texas, die ständige Ausbeutung, die mein Vater erlebt hatte, nur um Geld für Brot zu verdienen. Es kam alles zusammen.»

Ein Trio hielt zusammen

Smith gilt als Symbol-Figur dieser Protest-Aktion – er stand ja auch zuoberst auf dem Podest. Aber er war nicht allein und die Aktion entstand nicht derart spontan, wie oft angenommen wird. Als Smith, sein Landsmann John Carlos (Bronze) und der Australier Peter Norman (Silber) zur Siegerehrung das Olympiastadion betraten, war allen klar: Das wird keine gewöhnliche Siegerehrung.

Smith und Carlos trugen je einen schwarzen Handschuh und liefen mit den Schuhen in der Hand ein. Smith hatten einen schwarzen Schal umgehängt, Carlos liess die Jacke weit offen - ein Verstoss gegen die olympischen Regeln. Und alle drei, also auch der weisse Norman, hatten sich einen Pin des «Olympischen Projekts für Menschenrechte» (OPHR) an die Brust geheftet.

Während der US-Nationalhymne senkten Smith und Carlos ihren Kopf und streckten die Faust im Handschuh zum Black-Power-Gruss in die Luft. Sie machten damit auf die Ungerechtigkeit in den USA aufmerksam. Dass sie ohne Schuhe einliefen, symbolisierte ihre Armut in der Kindheit, die schwarzen Socken, Handschuhe und Smiths Schal stehen für den schwarzen Stolz, die offene Jacke Carlos' war als ein Zeichen der Solidarität für die Arbeitnehmer in der Heimat zu verstehen.

Die Aktion hatte weitreichende Konsequenzen. Der IOC-Präsident Avery Brundage - ebenfalls ein Amerikaner und schon vor den Spielen grosser Gegner des OPHR - forderte den sofortigen Team-Ausschluss. Die beiden Athleten mussten das olympische Dorf verlassen. Immerhin durften sie die Medaillen behalten. Zurück in der Heimat wurden Smith und Carlos von der schwarzen Bevölkerung bejubelt. Die Opposition allerdings kritisierte heftig, dass der Sport als politische Bühne missbraucht wurde.

Happige Strafen

Die beiden Leichtathleten wurden vom US-Verband aus dem Olympischen Dorf verwiesen, aus dem Nationalkader ausgeschlossen und mussten auf Fördergelder verzichten. Erst Jahrzehnte später wurden sie rehabilitiert und ihr Protest als Beitrag zur Gleichberechtigung anerkannt.

Die Konsequenzen musste auch Peter Norman tragen. Der Gegner der «White Australia Policy» wurde in seiner Heimat dafür gerügt, dass er mit Smith und Carlos sympathisiert hatte. Vier Jahre später durfte Norman trotz erreichter Limite nicht an den Olympischen Spielen in München teilnehmen - Australien nominierte keine Sprinter, was als Racheakt gegen den 2006 verstorbenen Norman auszulegen ist. Smith und Carlos waren zwei der Sargträger. Im Jahre 2012 kam es in Australien zu einer parlamentarischen Entschuldigung gegenüber Norman für diverse Fehlverhalten der Funktionäre.

Dass es in Mexiko zur Protestaktion kommen würde, war absehbar gewesen. Smith und Carlos zählten zu den Initianten des olympischen Projekts für Menschenrechte. Zunächst wollte das OPHR einen Boykott der Olympischen Spiele erzwingen. Dies war aber nicht durchsetzbar. So wurden die Athleten aufgefordert, sich irgendwie bemerkbar zu machen und auf die Probleme hinzuweisen, was denn auch oft geschah. Der Protest bei der Siegerehrung nach dem 200-m-Lauf war der symbolträchtigste - wohl bis heute.

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