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Pablo Brägger nimmt seine letzten 14 Monate in Angriff

Keine Weltcup-Serie, keine EM, keine Olympischen Spiele. Die Corona-Pandemie warf das Kalenderjahr der Kunstturner über den Haufen - und die Pläne von Pablo Brägger, dem Reck-Europameister von 2017.

Agentur
sda
24.05.20 - 16:00 Uhr
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Etwas merkwürdig sei es schon gewesen, als die Kunstturner am 11. Mai nach knapp zwei Monaten Pause wieder nach Magglingen eingerückt waren. «Und noch immer ist es hier extrem ruhig», sagt Pablo Brägger. «Es hat viel weniger Leute als sonst.» Keine BASPO-Mitarbeiter, keine Trainerkurse, keine Trainingslager. Magglingen ist nahezu ausgestorben. «Man hat dafür seine Ruhe und seine Freiheit, was auch einmal schön ist.»

Brägger ist froh, zurück in seiner gewohnten Umgebung zu sein; bei seinen Teamkollegen, in der Trainingshalle, «um sich endlich wieder einmal bewegen zu können». Die Pause war für den 27-Jährigen aus Oberbüren ungewohnt lang - so lang wie noch nie, seit er als kleiner Knirps die Freude am Kunstturnen entdeckt hat. Als Profi lagen selten mehr als zwei Wochen Ferien am Stück drin.

Da die Übungen komplex, die Belastungen auf den Körper hoch sind, warf die Zwangspause die Athleten trotz Heimtraining zurück. Die Orientierung und die Koordination seien schnell wieder da gewesen, so Brägger. «Das Problem ist, dass der Körper nicht mehr an die Belastung gewöhnt ist.» Die Gelenke schmerzen, kleine Entzündungen sind die Folge. Deswegen ist bis auf Weiteres Basisarbeit gefragt. «Danach werden wir uns Schritt für Schritt wieder an die schwierigeren Elemente wagen.»

Fokus auf 2021

Für Brägger kam der Unterbruch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Er fühlte sich fit und stellte seine gute Form Anfang März am Weltcup in Milwaukee (USA) unter Beweis. «Schade, dass die Serie abgebrochen wurde», so Brägger. Die Stimmung unter den Athleten sei sehr gut gewesen, lockerer als an Welt- oder Europameisterschaften. «Man führte auch einmal Gespräche über andere Themen.» Und auch für einen Besuch des Harley-Davidson Museums blieb Zeit.

Doch anstatt weiter nach Stuttgart, Birmingham und Tokio zu reisen, galt ab Mitte März auch für Brägger: Bleib zu Hause! Zu Beginn des Lockdowns half er beim Bruder seiner Freundin im Gartenbau mit: «Die Arbeit war spannend - aber auch sehr streng.» Am 24. März kam die Nachricht der Verschiebung der Olympischen Spiele. «Das Warten auf den Entscheid und nicht zu wissen, wann der nächste Wettkampf stattfindet, war mühsam», sagt Brägger im Rückblick.

Inzwischen sieht er wieder «Licht im Dunkel». Die Verschiebung der Spiele um ein Jahr sei eine gute Lösung. Seine Konzentration gilt nun dem nächsten Jahr mit den Europameisterschaften Ende April in Basel und den Olympischen Spielen im Juli in Tokio. «Nun kann ich mich wieder voll fokussieren und weiss, wofür ich trainiere.» Eine allfällige neu angesetzte EM gegen Ende dieses Jahrs in Baku wäre für den St. Galler keine Option, der Formaufbau und die berufliche Ausbildung haben Vorrang.

Spezielle Lösung für spezielle Athleten

Mit der Rückkehr nach Magglingen hat für Brägger das letzte Kapitel im Nationalen Leistungszentrum begonnen. Ein Jahrzehnt lang war das NLZ seine temporäre Heimat. So bald wie möglich wird er ein zweimonatiges Praktikum im Gesundheitsbereich absolvieren, damit er im nächsten Frühjahr die Aufnahmeprüfung für die Ausbildung zum Physiotherapeuten an der ZHAW in Winterthur machen kann. Der Berufswunsch steht schon lange fest, «der menschliche Körper hat mich immer interessiert». Als Spitzensportler kam Brägger immer wieder mit Physiotherapeuten in Kontakt.

Für sein Praktikum wird er in die Ostschweiz zurückkehren. Auch danach wird Brägger die Mehrheit seiner Trainings im regionalen Leistungszentrum in Wil absolvieren und nur eine Woche pro Monat in Magglingen sein. Einen ähnlichen Weg geht Oliver Hegi. Der Reck-Europameister von 2018 und damit Nachfolger von Brägger beginnt im Herbst ein Physikstudium an der ETH Zürich und wird seinen Trainingsmittelpunkt nach Lenzburg verlegen.

Die beiden Aushängeschilder des STV stiessen mit ihren Anliegen beim Verband auf offene Ohren, «auch wenn diese Lösung nicht unserer Wunschvorstellung entspricht», wie Felix Stingelin, Chef Spitzensport des STV, zugibt. «Es ist eine spezielle Lösung für spezielle Athleten in einer speziellen Situation.» Von seiner Philosophie der Zentralisierung rückt der STV nicht ab. «Aber wir wollen dem Projekt eine Chance geben», so Stingelin.

Für Verband und Athleten sind die EM in Basel und die Olympischen Spiele zwei absolute Highlights, für Brägger war deswegen ein sofortiger Rücktritt kein Thema, «schliesslich haben wir bereits vier Jahre in die Olympia-Vorbereitung investiert». Auch die Erinnerungen an 2016, als die Schweizer in Bern eine historische EM-Medaille mit dem Team gewannen, sind noch präsent. «Eine Heim-EM ist eine sehr spezielle Erfahrung», so Brägger. «Und in Tokio auf dem Höhepunkt aufzuhören wäre ein cooler Abschluss.» Eine WM- oder Olympia-Medaille fehlt dem Ostschweizer noch.

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