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«Im schlechtesten Fall verlieren wir eine bis zwei Millionen»

Der organisierte Sport ist derzeit wegen der Coronavirus-Pandemie komplett lahm gelegt. Das bringt auch für Swiss-Tennis-Präsident René Stammbach einige Herausforderungen.

Agentur
sda
21.04.20 - 13:28 Uhr
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Derzeit an vielen Fronten gefordert: Swiss-Tennis-Präsident und ITF-Vize René Stammbach
Derzeit an vielen Fronten gefordert: Swiss-Tennis-Präsident und ITF-Vize René Stammbach
KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Die Enttäuschung bei vielen Verbänden war in der letzten Woche gross, als der Bundesrat keinerlei Angaben zu möglichen Lockerungen machte. René Stammbach, Präsident von Swiss Tennis und Vizepräsident des Internationalen Tennisverbands (ITF) fand deutliche Worte und beklagte das fehlende Lobbying für den Sport. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA blickt der 64-jährige Aargauer nun aber in erster Linie nach vorne. Klar ist: Vor allem das Profitennis blickt harten Zeiten entgegen.

René Stammbach, der Bundesrat hat letzte Woche den Sport ziemlich stiefmütterlich behandelt. Darüber ärgern Sie sich?

«Klar, das habe ich in verschiedenen Interviews auch schon zum Ausdruck gebracht. Ich finde es einfach nicht verhältnismässig, wenn man Tattoo-Studios oder Massagesalons aufmacht, aber den Sport ohne einen ganzen Satz abhandelt. Ich möchte aber klar festhalten: Der Bundesrat hat so viel richtig gemacht, ich möchte keine Schuldzuweisungen vornehmen. Ich bin fast täglich in Kontakt mit dem Präsidenten des Golfverbandes, dem BASPO (Bundesamt für Sport) und Swiss Olympic. Wir versuchen jetzt, positiv darauf hinzuarbeiten, damit diese genug Material haben, um eine frühzeitige Lockerung der Einschränkungen zu bewirken.»

Hat es der Sport unterschätzt, dass man vor dem Bundesratsentscheid auch in der Öffentlichkeit mehr Druck hätte aufbauen sollen?

«Zweifellos. Wir haben aber daraus gelernt. Das BASPO und Swiss Olympic arbeiten zielorientiert und professionell täglich mit den Verbänden zusammen und wir werden spätestens am nächsten Freitag bereit sein, um die Strategie betreffend einer Lockerung, zumindest in denen Sportarten, die nicht im Team und ohne Körperkontakt stattfinden, vorzulegen, damit diese früher als erst in der dritten Phase (ab 8. Juni) passieren können.»

Können Sie die finanziellen Folgen für Swiss Tennis schon beziffern?

«Durch die Verschiebung des Interclubs haben sich von rund 4500 Mannschaften etwa 20 Prozent zurückgezogen, weil im Herbst viele Spieler wegen Studium, Ferien oder Beruf nicht zur Verfügung stehen. Das entspricht in etwa unseren Erwartungen. Da verlieren wir einerseits Nenngebühren, anderseits lösen Spieler für dieses Jahr keine Lizenz, weil sie sonst nur Interclub spielen. Im besten Fall verliert Swiss Tennis etwa eine halbe Million Franken, im schlechtesten zwischen einer und zwei Millionen. Wir sparen, wo wir können, haben schon ganz früh Kurzarbeit eingeführt. Auch haben wir von den 650'000 Franken im Jubiläumsfonds 500'000 aufgelöst, um diese Ausfälle zu kompensieren. Wir sind froh, wenn wir mit einem blauen Auge davonkommen.»

Glauben Sie, dass in diesem Jahr noch Profitennis gespielt werden kann?

«Aktuell gehen die Verbände davon aus, dass im besten Fall im August wieder gespielt werden könnte, aber man muss ehrlich sagen, dass da im Moment nicht viele daran glauben, wenn man die Situation in Amerika anschaut. Da wird es zweifelsohne weitere Einbussen geben. Die Profispieler können kein Preisgeld verdienen, und wenn du nicht spielst, gibt es keine öffentliche Auftritte und die Sponsorenverträge werden überprüft. Dann kommt dazu, dass Sponsoren selber unter Druck geraten. Das wird vor allem auch 2021 noch Spuren hinterlassen. Da rechnen wir mit gröberen Einbussen beim Sponsoring.»

Die Davis-Cup- und Fed-Cup-Finals sind die wichtigsten Einnahmequellen der ITF. Wie viel Geld würde bei einem Ausfall fehlen?

«Der Fall von höherer Gewalt ist in den Verträgen vorgesehen, aber das ist juristisch sehr kompliziert. Wir können natürlich von unseren Partnern nicht die volle Gegenleistung verlangen, wenn die Finals nicht ausgetragen werden oder sie für 2020 keine Einnahmen generieren können. Das werden auf jeden Fall schwierige Gespräche.»

Schwierige Diskussionen gibt es im Tennis schon länger zwischen den einzelnen Verbänden. Könnte die Krise dazu führen, dass die unterschiedlichen Parteien nun eher zusammenarbeiten?

«Im Moment ist das so. Unser Präsident ist mehrmals wöchentlich im Kontakt mit den Vertretern der ATP und der WTA, das hat es vorher so nicht gegeben. Da versucht man sich jetzt abzusprechen und eine gemeinsame Strategie für die Wiederaufnahme des Betriebs zu finden. Und im Moment ist man sich ja einig, dass bis am 8. Juli nichts geschieht. Das ist positiv, dass man das Gemeinsame vor das Individuelle stellt. (lacht) Aber vielleicht ist das ja auch Wunschdenken.»

Die Chance, dass das Swiss Open in Gstaad, an dem Swiss Tennis beteiligt ist, im Juli stattfinden kann, ist nur noch gering. Würde eine Absage die Zukunft des Turniers in Gefahr bringen?

«Das glaube ich kaum. Die grossen Ausgaben, also für die Infrastruktur, wurden noch nicht getätigt. Klar ist aber, dass wir uns die Entschädigung (ein sechsstelliger Betrag), die wir als Aktionär erhalten würden, für dieses Jahr wohl ans Bein streichen müssen.»

Sie kennen dieses Geschäft seit über 40 Jahren. Wie anders wird die Tennislandschaft in einem Jahr aussehen?

«Im Profisport wird es Härtefälle geben, Anlässe, die nicht mehr stattfinden werden. Vor allem die kleinen, die 250er-Turniere, von denen einige sowieso schon wenig Substanz haben. Die Hälfte muss schon in guten Zeiten schauen, dass sie knapp rauskommen. Der Breitensport ist aus meiner Sicht nicht gefährdet, im Gegenteil. Die Leute werden erst recht wieder Sport treiben wollen.»

Wie erleben Sie selber diese Zeit der Isolation zuhause?

«Ich dachte eigentlich, ich könnte mal anfangen, meine Ordner aufzuräumen. Aber ich komme neben dem Tagesgeschäft rund um dieses Covid-19 zu nichts. Lobbying, Koordination, vor allem auch die ITF, wo ich Finanzchef bin, beschäftigen mich sehr. Wir müssen immerhin ein Budget von 110 Millionen auf 60 Millionen kürzen. Es ist ziemlich anstrengend, aber es gibt auch die angenehmen Seiten. Ich koche ja gerne, probiere im Moment sehr viele neue Rezepte aus und habe sogar angefangen zu backen. Dann gehe ich jeden Tag eine Stunde spazieren, das ist auch eher neu.»

Wann sind Sie zum letzten Mal auf einem Tennis- oder Golfplatz gestanden?

«Tennis letztmals im März in Peru beim Davis Cup, aber natürlich nicht zum Spielen. Letztmals Golf gespielt habe ich im Januar in Bali. Die fehlende Bewegung muss man kompensieren, deshalb gehe ich jetzt laufen.»

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