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«Wird eine Riesen-Challenge»

Der Radsport-Kalender 2020 bekommt wegen der Corona-Pandemie ein völlig neues Gesicht. Stefan Küng gewinnt dem Vorhaben des Weltverbandes UCI nicht nur Positives ab.

Südostschweiz
20.04.20 - 04:30 Uhr
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Skeptisch: Der Radsport-Kalender 2020 soll wegen des Coronavirus noch dichter werden – ob das gut geht, weiss Stefan Küng nicht.
Skeptisch: Der Radsport-Kalender 2020 soll wegen des Coronavirus noch dichter werden – ob das gut geht, weiss Stefan Küng nicht.
Gian Ehrenzeller/Keystone

von Dominik Moser

Das Coronavirus hat den Alltag vieler Menschen verändert. Das gilt auch für Stefan Küng. Nach dem Gewinn von WM-Bronze im vergangenen Herbst hat sich der Thurgauer Radprofi auch für diese Saison viel vorgenommen. Die grossen Eintages-Klassiker wie Paris-Roubaix oder die Flandern-Rundfahrt hat er sich in seinem Kalender dick angestrichen. Sowie die Tour de Suisse, die Frankreich-Rundfahrt, die Heim-WM oder die Olympischen Spiele in Tokio.

Doch momentan steht auch die Radsport-Welt still. Gut fünf Wochen ist es her, seitdem Küng bei Paris-Nizza seinen letzten Ernstkampf bestritten hat. Die Fernfahrt in Frankreich fand unter grossen Sicherheitsvorkehrungen statt. Küng ahnte, dass es wohl sein letzter Renneinsatz für längere Zeit sein wird. «Als die Rennen reihenweise abgesagt oder verschoben wurden, war mir relativ schnell bewusst, dass es eine spezielle Saison werden wird», sagt der Schweizer Zeitfahr-Meister.

Ein verschobenes Heimspiel

Die zahlreichen Absagen bedauert er ausserordentlich, trotzdem bleibt er gelassen. Dies gilt auch was die Tour de Suisse angeht, die 2020 nicht stattfinden kann und zu deren Aushängeschild er in den vergangenen Jahren geworden ist. Das Auftakt-Zeitfahren in seiner Heimat Frauenfeld hätte ihm die Chance geboten, sich wie 2018 das gelbe Leadertrikot zu sichern. «Aufgeschoben ist nicht aufgehoben», sagt Küng zu diesem Vorhaben. «Anstatt 2020 habe ich nun halt erst in einem Jahr ein Heimspiel.»

«Wir können uns sehr glücklich schätzen. Unsere Löhne sind bis Ende Juni garantiert.»

Trotz Rennpause die Beine hochlagern – das liegt für den 26-jährigen Maturanden momentan nicht drin. «Ich habe in den vergangenen Wochen gut und hart trainiert, die Form ist da.» Er sei sehr froh, dass er in der Schweiz nicht wie viele seiner Teamkollegen in Frankreich von einer Ausgangssperre betroffen sei. «Das wäre sehr schwierig für mich. Ich habe mit Velofahren begonnen, weil ich gerne draussen Sport mache. Meine Kilometer auf dem Hometrainer abzuspulen, während es draussen schön Wetter ist, das wäre hart.»

Spannende Premiere

Die Radfans werden diese Woche ein seltenes Bild des Ostschweizers zu sehen bekommen. Denn Küng steigt für das digitale Radrennen «The Digital Swiss 5», das von Mittwoch bis Sonntag über die Bühne gehen wird, auf den Rollentrainer. Er ist gespannt, wie sich der virtuelle Schlagabtausch mit Echtzeitdaten anfühlen wird. «Ich erwartet, dass jene Fahrer, die zuletzt öfter auf der Rolle trainiert haben, im Vorteil sein werden.»

Bei den rund einstündigen Indoor-Cycling-Rennen auf Original-Streckenabschnitten der Tour de Suisse sind mit drei Ausnahmen sämtliche Teams der World Tour dabei. Dazu auch das Schweizer Nationalteam, für das Küng am Samstag durchs virtuelle Emmental in die Pedalen treten wird. Sein erster Einsatz ist am Donnerstag mit seiner Mannschaft Groupama-FDJ geplant.

3 Rundfahrten in drei Monaten will der Weltverband UCI durchpeitschen – Radprofi Stefan Küng kann sich das noch nicht so recht vorstellen.

Weil das Schweizer Fernsehen die Rennen live überträgt, ist es für die Teams auch eine gute Möglichkeit, den Sponsoren eine Plattform zu bieten. «Schliesslich werden wir dafür bezahlt, Publikumsinteresse zu generieren», meint Küng.

Starke Sponsoren im Rücken

Auch die Coronakrise geht am Radsport nicht spurlos vorbei. Die Teams sind zu einem grossen Teil von ihren Sponsoren abhängig. Wenn diese in wirtschaftliche Schieflage geraten, hat dies weitreichende Folgen. Besonders hart trifft es derzeit das Team CCC mit dem Schweizer Michael Schär, das von einem polnischen Modekonzern alimentiert wird. Ein grosser Teil des Staffs wurde bereits entlassen und die Fahrer müssen drastische Lohneinbussen in Kauf nehmen. Auch andere Teams kämpfen ums Überleben und haben ihren Fahrern deshalb die Löhne gekürzt.

Küng und seine Teamkollegen bei Groupama-FDJ haben derzeit keine finanziellen Einbussen zu befürchten. «Wir können uns sehr glücklich schätzen. Unsere Löhne sind bis Ende Juni garantiert», bestätigt der Co-Teamleader. «Wir haben wirklich super Sponsoren im Rücken, die krisenresistent sind. Allein durch ihre Grösse.» Das sei natürlich auch für den Kopf gut, wenn man in einer solchen Situation den vollen Support spüre. Die Hauptsponsoren der französischen Equipe sind eine staatliche Lotteriegesellschaft und ein Versicherungskonzern.

Erfreut, aber noch skeptisch

Als der Radsport-Weltverband am Mittwoch seine Pläne für den weiteren Saisonverlauf veröffentlichte, begleiteten Küng gemischte Gefühle. «Meine erste Reaktion war: ‘Wow, okay.’ Wenn das wirklich durchgezogen wird, wie geplant, wird das eine Riesen-Challenge.»

Dass die Tour de France, die für die meisten World-Tour-Teams existenziell wichtig ist, ein neuer Termin (29. August bis 20. September – Red.) bekam, und auch die beiden anderen grossen Rundfahrten sowie alle Frühjahrs-Klassiker nachgeholt werden sollen, nahm er erfreut zur Kenntnis. Mit Blick auf das dichte Programm kommen bei ihm allerdings auch Zweifel auf. Mental sei es schwierig, über drei Monate das Level hoch zu halten. «Ein Monat zwischen Giro und Tour de France ist schon knapp, nun will man drei Rundfahrten in drei Monaten durchpeitschen, dazu noch die Klassiker und die anderen World-Tour-Rundfahrten und -Rennen. Ich kann mir das momentan noch nicht vorstellen.»

Es bringe aber nichts, sich gross den Kopf darüber zu zerbrechen. «Wir wissen angesichts der Coronavirus-Pandemie ja noch gar nicht, ob diese Rennen überhaupt stattfinden.» Er wolle sich ohnehin nicht beklagen. «Es gibt viele, die haben es derzeit schlechter als ich. Ich denke da an das Personal im Gesundheitswesen oder an Corona-Patienten und deren Angehörige. Da wäre es definitiv fehl am Platz, sich in irgendeiner Form zu beklagen.»

 

 

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