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«Training härter als Wettkampf»

Max Heinzer ist unbestrittener Leader der Schweizer Degen-Equipe, die dicht vor ihrer zweiten Olympia-Qualifikation in Folge steht.

Agentur
sda
23.11.19 - 07:10 Uhr
Mehr Sport
Das Schweizer Fecht-Aushängeschild Max Heinzer nimmt in Bern Mass für die kommenden Monate bis Olympia in Tokio
Das Schweizer Fecht-Aushängeschild Max Heinzer nimmt in Bern Mass für die kommenden Monate bis Olympia in Tokio
KEYSTONE/MARCEL BIERI

Die Schweizer Degen-Spezialisten, im Vorjahr erstmals Team-Weltmeister, erkämpften sich im Sommer beim Saisonhöhepunkt mit Bronze die fünfte Team-WM-Medaille in Folge. Es ist dies eine WM-Medaillen-Serie, die hierzulande in den olympischen Team-Sommersportarten ihresgleichen sucht.

Vor dem Start in die neue Saison mit dem Einzel- und Team-Weltcup in Bern und dem Beginn der Endphase im Kampf um die Olympia-Tickets sprach die Nachrichtenagentur Keystone-SDA ausführlich mit Max Heinzer (32).

Max Heinzer, Nationaltrainer Didier Ollagnon sagte nach der Lektion mit Ihnen, dass Schmerzen in einem Zweikampf-Sport wie dem Fechten alltäglich seien, es ohne gar nicht gehe. Er selbst hätte an vier Stellen entsprechende Beschwerden. Wie sieht es bei Ihnen vor dem Saisonstart aus?

«Vor vier Wochen erlitt ich eine Rippenprellung. Diese spüre ich noch ein bisschen. Das Ziel ist aber schon, dass ich möglichst viele Kämpfe schmerzfrei absolvieren kann. Doch natürlich muss man auch durchbeissen können. Doch wenn es etwas Schwerwiegendes ist, übertreibt man das Risiko nicht. Dann lässt man sich zuerst untersuchen.»

Die Olympia-Fahrkarte ist den Schweizer Degenfechtern kaum mehr zu nehmen. Wie beurteilen Sie die Ausgangslage?

«Es sieht sehr gut aus. Ein Podestplatz in Bern oder an einem der drei restlichen Team-Weltcups sollte reichen. Doch wir wollen in Tokio gut gesetzt sein und deshalb unser Ranking für Olympia möglichst positiv beeinflussen. Vor vier Jahren trafen wir zum Olympia-Auftakt in den Viertelfinals auf Italien, das dann Silber holte. Diesmal wollen wir uns eine bessere Ausgangslage schaffen. Deshalb ist das Ziel, an jedem Turnier möglichst weit nach vorne zu kommen.»

Abgesehen von zwei Positions-Änderungen im Quartett (Michele Niggeler und Lucas Malcotti anstelle der nicht mehr als Spitzensportler aktiven Fabian Kauter und Peer Borsky - Red.), was ist anders bei der Team-Ausgangslage als vor Rio?

«Damals mussten wir bis zum letzten Turnier kämpfen. Doch wir verfügten vor Olympia über deutlich bessere Einzel-Klassierungen in der Weltrangliste, alle vier waren innerhalb oder um die Top 20 im Ranking. Das ist jetzt nicht der Fall. Auch ich bin mit dem 15. Rang nicht mehr ganz so weit vorne wie damals. Und hinter mir ist der zweitbeste Schweizer mit Lucas Malcotti erst im 76. Rang klassiert. Auf dem Papier sind wir schwächer. Doch irgendetwas machen wir im Team richtig. Es funktioniert, die Mischung zwischen den erfahreneren Athleten sowie den jungen, ungestümen und risikofreudigen Fechtern stimmt.»

Zudem sind alle Sprachregionen vertreten.

«So ist es. Beni Steffen aus Basel, ich ein Zentralschweizer, Michele Niggeler ist Tessiner und Lucas Malcotti Unterwalliser. Auf dem Papier werden wir vielleicht wegen der schlechteren Einzel-Klassierungen in der Weltrangliste von den Gegnern etwas unterschätzt.»

Bei den letzten zwei Olympischen Spielen 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro scheiterten Sie im Einzel jeweils am nachmaligen Olympiasieger.

«Mit den Einzel-Ausscheiden kann ich gut leben. Vorab mit der Viertelfinal-Niederlage in Rio gegen den Südkoreaner Park Sangyeong. Denn vorher zeigte ich gute Leistungen, schaltete den damaligen Weltmeister Paolo Pizzo aus Italien aus und setzte mich auch gegen den vor mir klassierten Russen durch. Pizzo hatte ich vorher noch nie besiegt. Ich kann indes heute noch nicht ganz nachvollziehen, weshalb wir im Teamwettbewerb von Italien so ausgekontert wurden. Es war keine gute Leistung von uns. Später haben wir erfahren, dass die Italiener ein halbes Jahr lang auf dieses Gefecht hin rein defensiv trainierten, um uns ins Messer laufen zu lassen. Wir gingen zu euphorisch und übermotiviert ins Gefecht, wollten alle zuviel. Vielleicht können wir nun aber von dieser Erfahrung für den nächsten wichtigen Wettkampf lernen.»

Würden Sie den Max Heinzer vor vier Jahren heute besiegen?

«Ich bin vielleicht nicht mehr ganz so schnell wie vor vier Jahren, fühle mich aber immer noch schnell und bin natürlich erfahrener. Ich habe mich stets weiterentwickelt. Ich muss neue Finten einbauen, um für die Gegner schwer lesbar zu sein.»

Die Saisonpause nutzten Sie nicht nur für den Formaufbau, sondern auch zur Heirat auf dem Bürgenstock.

«Das war sehr emotional und ist natürlich ein zusätzlicher Motivations-Kick. Eine Familie zu haben, die meinen Namen trägt. Sportlich gesehen ändert aber nicht viel, da wir schon vorher zu dritt (Ehefrau Janique, der nunmehr bald zweijährige Sohn Mael - Red.) glücklich waren.»

Und für den Saisonaufbau engagierten sie mit dem Zuger Kampfsportler Janosch Nietlispach einen neuen Athletik-Trainer.

«Ich suchte mit 32 neue Herausforderungen. Ich wählte ihn nicht wegen seiner Bachelor-Zeit, sondern weil er sechsfacher Kickbox-Weltmeister ist und wollte durch ihn mein eigenes Athletik-Training nach sieben Jahren neu aufgleisen beziehungsweise härter gestalten. Janosch ist selbst Spitzensportler, zur Zeit zwar nicht mehr aktiv, aber immer noch topfit. Seine Inputs sollen dazu führen, dass ich im Nahkampf noch aggressiver fechten kann. Und vor allem auch hinten hinaus wieder besser werde. Ich kassierte in der letzten Saison fünf oder sechs Overtime-Niederlagen. Am Schluss fehlte manchmal die Power, vielleicht auch etwas Selbstvertrauen oder die Aggressivität. Im Olympia-Jahr will ich mir nicht vorwerfen lassen, dass mir körperlich etwas fehlt. Deshalb erfolgte die Umstellung.»

Sie wurden von Nietlispach in Boxen und Kickboxen unterrichtet?

«Natürlich ist Kickboxen nicht Fechten. Doch es gibt gewisse Ähnlichkeiten. Wir haben mit Janosch das Training umgestellt auf den Oberkörper. Es gab unter anderem Box-Schlagschule und gewisse Kampfsimulationen. Neu kann ich auch jonglieren und gleichzeitig Fecht-Fussarbeit absolvieren. Da werden beide Hirnhälften benötigt. Da geht es darum, dass ich mehrere Sachen gleichzeitig machen kann. Und bei Janosch trainierte ich nun so hart, dass man den Wettkampf als weniger hart als das Training empfinden sollte. Diese Philosophie verfolgt er und das gefällt mir. Tatsächlich hatte ich Mitte September gewisse Symptome eines Übertrainings. Der Muskelkater hörte kaum auf. Doch diese Phase ging vorbei. Nun bin ich gespannt, wie fit ich bin.»

Sie haben zwar im Vorjahr gesagt, dass Sie es nicht komplett ausschliessen, bis 40 weiterzufechten. Doch offiziell haben Sie noch nicht bestätigt, dass Sie über Tokio 2020 hinaus als Profifechter aktiv bleiben.

«Ich will mein Weitermachen nicht ausschliesslich von Olympia oder dem Abschneiden in Tokio abhängig machen. Es spricht nichts dagegen, dass ich weitermache, wenn die Familie hinter einem steht und einen unterstützt. Deshalb rechne ich schon damit, am Wochenende nicht meinen letzten letzten GP Bern zu bestreiten.»

Und wie lauten Ihre persönlichen Vorgaben fürs Wochenende?

«Leider liegt mein dritter und letzter Sieg in Folge in Bern von 2013 schon etwas zurück. Im Einzel habe ich trotz jenen drei Siegen kein Rangziel für Samstag. Mit dem Team am Sonntag wollen wir indes auf jeden Fall in die Top 8 vorstossen.»

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