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Nino Schurter ist auch ein Meister der Taktik

Nino Schurter beweist bei seiner WM-Goldfahrt auf dem tückischen Kurs von Mont-Sainte-Anne, dass er auch ein Meister des Kalküls ist.

Agentur
sda
02.09.19 - 00:00 Uhr
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Rauf, runter, über Wurzeln und Steine, ja ganze Formationen von wuchtigen Felsbrocken. Die Strecke von Mont-Sainte-Anne verlangt Fahrern und Material alles ab, sie ist eine der beliebtesten und die anspruchsvollste. Und sie ist jene mit der längsten Tradition. Seit der Einführung des Weltcups 1991 wird sie von den Cross-Country-Spezialisten jedes Jahr befahren. Die Athleten wussten am Samstag also ziemlich genau, was sie im WM-Rennen erwartet. Und doch war es wieder Nino Schurter, der sich auf die Gegebenheiten am besten einstellte. In beeindruckender Manier errang der 32-Jährige seinen fünften WM-Titel in Folge.

Einmal mehr war der langjährige Dominator am Tag X der Stärkste, während Jolanda Neff bei den Frauen schwächelte und mit Silber noch das Maximum herausholte. Den Schlüssel für die Machtdemonstration in Abwesenheit von Mathieu van der Poel sah Schurter indes nicht in seiner optimalen Formsteuerung, sondern im Kalkül - in der geschickten Risikodosierung. Der Bündner blieb im Gegensatz zu seinen härtesten Widersachern nicht nur dank Glück von Defekten verschont. «Ich wusste um die Gefahren auf dieser Strecke, investierte deshalb in der Vorbereitung viel Zeit in die Wahl einer sicheren Linie. Ich setzte auf stabiles Material und forcierte in den Abfahrten nicht zu sehr», so Schurter.

Schurter, der in Mont-Sainte-Anne auch schon vier Weltcuprennen gewonnen hat, traf also die richtigen Vorkehrungen. «Ich hatte ziemlich 'Schiss' vor einem Platten», sagte er nach seiner Goldfahrt. Die Risikodosierung konnte er sich freilich auch deshalb leisten, weil er rechtzeitig in Topform war. «Ich fühlte mich in den Aufstiegen sehr stark», sagte er.

So machte Schurter in den Aufstiegen Tempo und gingen die Gegner in den Abfahrten zu viele Risiken ein. Mathias Flückiger, der das Geschehen anfangs mit Schurter diktierte, musste wegen eines Plattens am Vorderrad einen Zwischenstopp einlegen, just nachdem er Schurter in einer Abfahrt mit einer risikobehafteten Linienwahl überholt hatte. Auch der Franzose Stéphane Tempier, der Dritter wurde, blieb nicht verschont, ebenso wie der Südtiroler Gerhard Kerschbaumer, den das Unheil kurz vor dem Ziel auf sicherem Silberkurs liegend ereilte.

Auch Schurter hat auf der diesjährigen WM-Strecke schon seine negativen Erfahrungen gemacht. 2010, an der letzten WM in der kanadischen Mountainbike-Hochburg, hatten ihn zwei Defekte um den Sieg und eine WM-Medaille gebracht, im Vorjahr musste er sich im Weltcup wegen eines Kettenrisses mit Platz 7 begnügen. Aus seinen bisherigen Auftritten in Mont-Sainte-Anne hat Schurter die richtigen Schlüsse gezogen. «Sicher durchkommen, sauber fahren, nicht zu viel riskieren» lautete seine goldene Devise.

Am kommenden Wochenende wird Schurter beim Saisonfinale in Snowshoe zum siebten Mal den Gesamtweltcup gewinnen. Gelingt ihm - wiederum in Abwesenheit von Van der Poel - sein 33. Weltcupsieg, zieht er auch in dieser Sparte mit der französischen Legende Julien Absalon gleich. Der nächste und vielleicht absolute Höhepunkt folgt an den Olympischen Spielen in Tokio im nächsten Sommer. Dort hat auch Van der Poel grosses im Sinn im Cross-Country. Es bahnt sich das ultimative Generationenduell an.

Schweiz zementiert Leader-Status

Die Schweiz ist nach wie vor die führende Nation im Mountainbike-Sport. Mit acht Medaillen zementierte die Delegation von Swiss Cycling an den Weltmeisterschaften in Mont-Sainte-Anne ihren Status als Nummer 1 im olympischen Cross-Country eindrücklich.

Fast schon standesgemäss trugen Nino Schurter und Jolanda Neff ihren Teil zur Erfolgsbilanz bei. Auch Mathias Flückiger liefert inzwischen zuverlässig ab. Schurter und Flückiger feierten einen Doppelsieg bei den Männern, Neff holte Silber, obwohl sie keinen guten Tag hatte. Schurter und Neff waren ausserdem Teil der Schweizer Gold-Equipe im Teamwettkampf.

Mit Sina Freis Triumph in der U23 war ebenfalls zu rechnen. Die 22-jährige Zürcherin gehört im Weltcup bereits bei der Elite zu den Podest-Anwärterinnen und dürfte für den zweiten von voraussichtlich drei Schweizer Quotenplätzen für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio bei den Frauen gesetzt sein. Versprechen für die Zukunft sind auch der Tessiner Filippo Colombo und der Bündner Vital Albin. Die beiden 21-Jährigen sicherten sich U23-Silber und -Bronze hinter dem in Spanien lebenden rumänischen Ausnahmekönner Vlad Dascalu. Auf U19-Stufe sticht die Zürcherin Jacqueline Schneebeli als Welt- und Europameisterin heraus.

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