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Turnverein Benken ermöglicht Spass trotz Handicap

In der Rietsporthalle Benken treffen sich besondere Kinder zu einer besonderen Turnstunde – dem «Turnen trotz allem». Möglich macht diese der Turnverein Benken.

Linth-Zeitung
06.11.18 - 04:32 Uhr
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Die Kinder, die das «Turnen trotz allem» besuchen, freuen sich über die Möglichkeit, sich dort austoben zu können.
Die Kinder, die das «Turnen trotz allem» besuchen, freuen sich über die Möglichkeit, sich dort austoben zu können.

von Barbara Schirmer

«Lasst den Bändel grosszügig aus dem Hosenbund hängen, alles andere ist fies», erklärt Turnleiter Christian Müller. Die Kinder im Kreis nicken verstohlen. Wer je in einer Turnstunde das Bändelfangen gespielt hat, der kann ihre Gedanken leicht nachvollziehen. Je weniger vom Bändel sichtbar wird, umso schwieriger ist es für andere Kinder, diesen zu stibitzen. Kaum sind alle Bändel optimal platziert, kommt Bewegung in die Mannschaft. Die Kinder steuern durch die Halle, lachen, hamstern Bändel und freuen sich über neue Eroberungen. Eine ganz normale Turnstunde nimmt ihren Lauf.

Doch etwas ist anders. Für neun Kinder stehen sechs Leiter in der Halle. «Diese Turnstunde ist für besondere Kinder», erklärt Raffaela (Ela) Hofstetter, administrative pädagogische Leiterin. Gemeint sind Kinder, die aus irgendeinem Grund in der regulären Jugi an ihre Grenzen stossen. «Wir bieten diesen Kindern die Gelegenheit, in einem guten Umfeld ihrem Bewegungsdrang nachzugehen und mit uns zusammen zu turnen.»

Diese Kinder brauchen mehr Betreuung. Einige meistern die Turnstunde sehr gut – andere sind in der Masse der Kinder etwas überfordert. Sie erhalten dann eine Einzelbetreuung.

Ela Hofstetter ist selber Mutter eines Sohnes im Autismusspektrum. Der Versuch, ihn in die reguläre Jugendriege zu integrieren, scheiterte. Doch der vor Energie strotzende Bub macht gerne Sport, wollte turnen. Also überlegte sie sich, ob es nicht noch mehr Kinder in der Linthebene gibt, denen es ähnlich ergeht. Kurzerhand ging sie auf den Präsidenten des Benkner Turnvereins, Julius Jud, zu und stiess bei ihm auf offene Ohren. Der Turnverein macht beim Label Sport verein-t mit – und Integration gehört zu einem der Eckpunkte des Labels. «Für uns war von Anfang an klar, dass dies eine gute Sache ist und wir starteten ein Pilotprojekt», bestätigt Jud.

Ein Pilotprojekt, da vorerst die Nachfrage geprüft aber auch die Durchführung erprobt werden musste. Denn diese Kinder brauchen mehr Betreuung. Einige meistern die Turnstunde, die zwei Stunden dauert, sehr gut. Andere sind in der Masse der Kinder etwas überfordert. Sie erhalten eine Einzelbetreuung. Das wird beim Bändelfangen gut sichtbar. Ein Junge kann dem turbulenten Treiben nur wenig abgewinnen. Er möchte lieber mit dem Ball am Hallenrand entlang dribbeln. Dank seiner persönlichen Leiterin wird dies möglich.

Viel Potenzial zum Ausleben

Vier Mal pro Jahr findet aktuell ein «Turnen trotz allem» statt. Ela Hofstetter könnte sich aber vorstellen, das Angebot auszubauen. Sie betont: «Vorausgesetzt, die Leiter sind weiterhin motiviert am Sonntagmorgen diese Turnlektion zu erteilen.» Und dann sei da noch das Problem mit der komplett ausgelasteten Turnhalle.

Das Bändelfangen ist längst beendet. Soeben ist auch das Stretching abgeschlossen. Jetzt gilt es, einen Parcours aufzustellen. Der Mattenwagen wird aus dem Gerätelager gerollt, Barren und Schwedenkästen aufgestellt. Sogar die grossen Elefantenmatten kommen zum Einsatz. In zwei Gruppen unterteilt beginnt der Turnspass. Eine Gruppe hat mit den Schwedenkästen eine Treppe gebaut. Diese gilt es hinaufzuklettern und anschliessend den Sprung in die Elefantenmatte zu wagen. Die Augen der selbstständigeren Kinder leuchten, wenn sie zurück zu ihren Leitern laufen. Auch jene, die Hilfe brauchen, strahlen nicht minder um die Wette über den Erfolg.

Die andere Gruppe übt das Schwingen am Barren. Gar keine einfache Aufgabe. Die Leiter stützen die Kinder, damit die Oberarme nicht einknicken. «Das ist für uns ganz normal», erklärt Christian Müller. «Leiten wir Geräteturnen bei den Erstklässlern, können sich auch noch nicht alle in der Stütze halten. Wir vermitteln unser Turnwissen beim ‘Turnen trotz allem’ genau gleich wie bei unseren Jugendriegen.» Ela Hofstetter doppelt nach: «Wir schaffen nur andere Rahmenbedingungen. Stimmen diese, haben die besonderen Kinder ganz viel Potenzial, das sie ausleben können.»

Jedes Kind willkommen

Bei Neuanmeldungen ist Ela Hofstetter die Ansprechperson. Sie klärt mit den Eltern ab, welche Art Beeinträchtigung das Kind mitbringt. Anhand dieser Informationen errechnet sie die Leiteranzahl. Auch ein Kind, das nicht laufen kann, sei willkommen. Die einzige Bedingung sei der Wunsch nach Bewegung, nach Turnen.

Das Ziel wäre, das «Turnen trotz allem» zu öffnen – so, dass interessierte Jugendriegler zusammen mit den besonderen Kindern turnen. In dieser Form aufeinander Rücksicht nehmen und trotzdem Spass zusammen erleben – das wäre dann wohl das Maximum an Integration.

www.stvbenken.ch

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3 Fragen an Christian Müller, Hauptleiter beim «Turnen für alle»

1. Was ist Ihre Motivation, dass Sie beim «Turnen trotz allem» mitmachen?
Ich bin seit der ersten Klasse ein Geräteturner und turne sehr gerne. Ich mache keinen grossen Unterschied, ob ich die Jugendriege leite oder das «Turnen trotz allem». Das spielt mir keine Rolle. Ich geniesse es einfach, wenn Kinder mit Freude in eine Turnstunde kommen.


2. Gab es Berührungsängste?
Ich habe mir tatsächlich einmal überlegt: ‘Kann ich etwas falsch machen?’ Doch ich merkte extrem schnell, dass dies nicht der Fall ist. Dann ist ja auch noch Ela Hofstetter da. Ihre Aufgabe während der Turnstunde ist, zu beobachten. Sie gibt mir Zeichen, zum Beispiel, wenn es Zeit für Pausen ist.


3. Mit welchem Gefühl laufen Sie nach den Turnstunden aus der Halle?
Turnen leiten ist immer anstrengend, aber auch bereichernd. Das Wissen, dass die Kinder gerne kommen und wir ihnen glück-liche Stunden schenken können, das ist ein gutes Gefühl. Miteinander etwas erreichen und Spass haben – danach lebe ich.

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