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Wie die Menstruation das Training der Nationalspielerinnen bestimmt

Die Nationalspielerinnen nützen den Menstruationszyklus zu ihren Gunsten. Das hilft gegen Beschwerden und Verletzungen, wie ein Gespräch mit Stürmerin Meriame Terchoun und einer Expertin zeigt.

Agentur
sda
24.07.23 - 05:30 Uhr
Fussball

Vor dem WM-Auftaktspiel am Freitag gegen die Philippinen hat bei Stürmerin Meriame Terchoun die Menstruation eingesetzt. Das sei mühsam, schildert sie zwei Tage später vor den Medien in Dunedin, Neuseeland. Besonders bei einem solchen Spiel sei es wichtig, die Symptome im Griff zu haben. Das hat Terchoun. Sie und die weiteren Nationalspielerinnen beziehen den Menstruationszyklus seit knapp einem Jahr in ihr Training mit ein.

«Ich nehme kein Verhütungsmittel und spüre den Zyklus dadurch intensiver», sagt Terchoun und nennt ein Beispiel: Vor der Menstruation hatte sie jeweils an Migränen gelitten. Nach ihrer dritten Kreuzbandverletzung begann sie sich mit dem Thema Zyklus und Training zu befassen.

Unterstützt wurde sie von Mélanie Pauli und dem Verband. Pauli ist seit 2019 beim Schweizer Fussballverband für die athletische Ausbildung und Verletzungsprävention im Frauenbereich verantwortlich. Ihr Augenmerk legt Pauli auf das zyklusorientierte Training. Sie riet Terchoun, in der prämenstrualen Zeit beispielsweise weniger Kaffee zu trinken und Nüsse zu essen. Die natürlichen Entzündungshemmer wirkten. «Seither bin ich gesund, fit und selten verletzt», sagt die Stürmerin.

Kreuzbandrisse reduzieren

Als Pauli ihre Arbeit beim SFV aufnahm, stiess sie schnell auf Verletzungen am Kreuzband. Eine typische Verletzung von Fussballerinnen. Die Athletiktrainerin wollte wissen, woher dies rührte. Sie stiess auf den Zyklus. Da habe plötzlich vieles Sinn gemacht, sagt Pauli und schnipst mit den Fingern. Sie hatte selbst Spitzensport betrieben. «Ich hätte nie meinen Zyklus mit meiner Performance oder meinen Verletzungen in Verbindung gebracht», sagt sie.

Das Aha-Erlebnis soll für die Fussballerinnen nicht so spät kommen. Im September 2022 begann Pauli, mit dem A-Team der Frauen den Zyklus und die Symptome - ob positive oder negative - systematisch zu erfassen. Basierend auf individuellen Daten und wissenschaftlichen Belegen kreierte sie eine Strategie zur «Verletzungsreduktion», wie sie sagt. Das Wort Prävention stimme für sie nicht. «Verletzungen wird es immer geben», betont sie.

Auch spricht Pauli von einem «zyklusorientierten» Training. Ein komplett zyklusgesteuertes Training sei nur für Einzelsportlerinnen - nicht ein Team - möglich. Die Basis bildet der Hormonfluss. «Der Zyklus ist ein natürliches Monitoring-Tool, ein Navigationsgerät», erklärt Pauli. Mit den Hormonen als Wegweiser achten die Spielerinnen auf drei Dinge: Ernährung, Regeneration und Aktivierung.

Einteilung in vier Phasen

Das Nationalteam teilt den Zyklus in vier Phasen auf: Die erste Phase beginnt mit dem Einsetzen der Menstruation. Nach der Periode beginnt Phase 2. Zwischen ihr und Phase 3 findet der Eisprung statt. In dieser Zeit ist der Körper am leistungsfähigsten. «Dann sind wir alle gut drauf», sagt Terchoun.

Die Sehnen benötigen dann aber mehr Stabilität. Pauli verglich die Arbeit an der «hinteren Kette», vom Gesäss bis zu den Waden, mit Zähneputzen. Das sei nötig, auch wenn manche es nicht gerne machten. Die Kraft während der Ovulationsphase müsse gezielt genutzt werden. Dann sind Sehnen und Bänder gegen Schläge gewappnet und Verletzungen werden verhindert.

Die vierte Phase ist die prämenstruelle Zeit. In den Tagen vor und während der Periode trainiere Terchoun ruhiger. «Das heisst nicht, dass wir überhaupt nichts machen.» Im Kraftraum verzichte sie vielleicht auf eine Einheit. Statt Stabilität sei Mobilität gefragt. Bewegungen fühlten sich verklebter an, sagte die Stürmerin und fasste an ihre Hüfte. Mit der Vorarbeit sei es schliesslich möglich, auch in Phase 4 während 90 Minuten die nötige Leistung abzurufen. «Du kannst in jeder Phase leisten», betont Pauli. Die Athletinnen müssten aber wissen, in welcher Phase sie sich befinden.

Ein Tabu brechen

Die Spielerinnen verfolgen ihren Zyklus mit einer App. Auch der Betreuungsstab ist informiert. In ihrem Klub Dijon drängte Terchoun auch auf einen stärkeren Einbezug des Hormonhaushalts. «Der Staff besteht komplett aus Männern. Da braucht es mehr Austausch, Erklärung und Verständnis», sagt sie.

Die Corona-Pandemie habe der Thematik Schub verliehen. Vor fünf Jahren seien Spielerinnen noch nicht entsprechend beraten worden, sagt Pauli. Auch in tieferen Ligen ist ihr eines wichtig: «Das Tabu muss weg.» Es müsse normal sein, mit dem Coach über den Zyklus zu sprechen. Für Terchoun gehört der Zyklus mittlerweile selbstverständlich zum Training. Ein gutes Gespür des eigenen Körpers sei Teil des Spitzensports - und gesteuert wird dieser von Hormonen.

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