Schweizer EM-Auftakt als Standortbestimmung
Die Schweiz startet am Samstag mit dem Spiel gegen Ungarn in die Europameisterschaft. Die Ausgangslage ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint.
Die Schweiz startet am Samstag mit dem Spiel gegen Ungarn in die Europameisterschaft. Die Ausgangslage ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint.
Das erste Spiel eines Turniers ist per se richtungsweisend. Es zeigt, ob der eingeschlagene Weg erfolgversprechend ist und zu weiteren Abzweigungen führt oder ob man in eine Sackgasse zu geraten droht. Entschieden wird noch nichts, Richtungsänderungen sind weiterhin möglich, manchmal sogar unumgänglich.
Für die Schweizer Nationalmannschaft geht es im Duell mit Ungarn auch darum herauszufinden, wo sie überhaupt steht. Denn nach der durchzogenen Qualifikation und den wenig aussagekräftigen Testspielen weiss niemand so genau, wie gut oder weniger gut diese Nationalmannschaft ist.
Das Kader wirkt auf hohem Niveau kompetitiv. 21 der 26 Akteure spielten in der vergangenen Saison in einer der Top-5-Ligen Europas. Mit Goalie Yann Sommer (Inter Mailand), Verteidiger Manuel Akanji (Manchester City) und Mittelfeldstratege Granit Xhaka (Bayer Leverkusen) wurden drei Spieler auf der Achse Meister mit ihren Klubs. Zudem bringt das Team viel Erfahrung mit. Neben Sommer und Xhaka bestreiten auch Ricardo Rodriguez und Fabian Schär ihre sechste Endrunde (WM und EM), Xherdan Shaqiri sogar die siebte. Sie haben bei den grossen Turnieren seit 2014 immer die Gruppenphase überstanden.
Der erfahrene Kern wird ergänzt durch junge, aufstrebende Spieler wie Dan Ndoye, Ruben Vargas und Zeki Amdouni. Sie bringen viel Tempo und eine gewisse Unberechenbarkeit mit - im positiven wie im negativen Sinn.
Kaum grosse Namen bei Ungarn
Dem steht eine ungarische Mannschaft gegenüber, aus der nur Dominik Szoboszlai vom FC Liverpool herausragt. Daneben tummeln sich einige Bundesligaspieler (je zwei von Leipzig und Freiburg, einer von Union Berlin) sowie ein Spieler aus der Ligue 1. Insgesamt liegt der geschätzte Marktwert des ungarischen Kaders knapp 120 Millionen Euro unter jenem der Schweizer. So weit, so trügerisch.
Ein Blick auf die Ergebnisse relativiert dies jedoch. Nach einer starken Nations-League-Saison, in der Ungarn zehn Punkte aus vier Duellen mit England und Deutschland holte, folgte eine Serie von 14 Spielen ohne Niederlage. Sie endete erst vor eineinhalb Wochen mit einer bitteren 1:2-Niederlage gegen Irland - in einem Spiel, in dem Ungarn dominierte, aber zwei unglückliche Gegentore hinnehmen musste.
Die Schweiz hingegen tat sich in der EM-Qualifikation schwer, verbuchte in zehn Spielen nur vier Siege (zwei davon gegen Andorra) und qualifizierte sich als schlechtester Gruppenzweiter für die Endrunde in Deutschland. Deshalb war Ungarn bei der Auslosung in Topf 2, die Schweiz in Topf 4. Die Kräfteverhältnisse sind also nicht so klar.
«Viele unterschätzen diese ungarische Mannschaft», sagte Shaqiri, der am Samstag gefordert sein wird, Lücken in der kompakten Abwehr zu finden. Diesen Fehler dürfen die Schweizer nicht machen. «Ich erwarte ein schwieriges Spiel, einen intensiven Kampf.»
Wer schiesst die Tore?
Die Schweiz hat bisher fünf EM-Endrunden bestritten. Die Bilanz der ersten Spiele ist ausgeglichen. Dreimal gab es ein Unentschieden, je einmal einen Sieg (2016: 1:0 gegen Albanien) und eine Niederlage (2008: 0:1 gegen Tschechien). Ein ausgeglichenes Spiel ist auch am Samstag in Köln zu erwarten. Die Devise dürfte beidseitig lauten: Defense first, bloss nicht verlieren.
Mit Denis Zakaria, Steven Zuber und Breel Embolo sind drei Spieler angeschlagen. Im Normalfall dürften sie gegen Ungarn nicht zum Einsatz kommen. Was aber, wenn die Schweiz plötzlich in Rückstand gerät? Die Versuchung, Embolo doch noch einzusetzen, wäre gross. Denn der zeigte sich in den Trainings auf der Höhe. «Wir müssen ihn sogar bremsen», sagte Nationaltrainer Murat Yakin. Trotzdem wäre es ein Spiel mit dem Feuer, den Stürmer einzusetzen, der in der abgelaufenen Saison nur auf gut 180 Einsatzminuten gekommen ist.
Für die Tore müssen vorerst andere sorgen. Und das wird die grosse Herausforderung im Auftaktspiel. Denn abgesehen vom 4:0 gegen das klar unterlegene Estland hatten die Schweizer in den bisherigen drei Partien in diesem Jahr nur wenige Torszenen.
Wachsen Amdouni oder Vargas über sich hinaus? Werden es Shaqiri oder Xhaka mit ihren starken Schüssen aus der zweiten Reihe richten? Oder zaubert Yakin einen unerwarteten Trumpf aus dem Hut, der die Schweiz an dieser EM auf einen aussichtsreichen Weg führt? Die Antworten gibt es bald.