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Jürgen Klopp und das Liverpooler Leben mit Rückschlägen

Der FC Liverpool schlittert unkontrolliert durch die Saison. Daran ist auch Jürgen Klopp schuld. Für einen Exploit, wie am Mittwochabend in Madrid gefordert, ist das Gespann aber immer noch gut.

Agentur
sda
15.03.23 - 05:00 Uhr
Fussball

Am Samstag musste Jürgen Klopp wieder die Fragen beantworten, die ihn seit Monaten verfolgen: Weshalb diese fehlende Konstanz, wieso diese andauernden Rückschläge? Eine Woche nach dem 7:0 gegen Manchester United folgte das 0:1 in Bournemouth. Es sind zwei Resultate, die die Saison von Liverpool gut abbilden. Das Team schwankt mit seinen Leistungen zwischen den Extremen, dazwischen gibt es wenig, zu wenig, um in der Meisterschaft eine gewichtige Rolle einzunehmen.

Liverpool, das noch in der letzten Saison bis ganz zuletzt um vier Titel spielte, ist verletzlich und launisch geworden. Längst wird in England über das mögliche Ende der Ära von Jürgen Klopp spekuliert. Die Bandbreite der Resultate und die sich so rasch ablösenden Hochs und Tiefs führen zu seinem seltsamen Sammelsurium an Kommentaren, die von «Klopp ist am Ende» (Anfang Februar) bis zu «Liverpool in alter Stärke» (Anfang März) reichen.

Der andere Klopp

Die Achterbahnfahrt der Reds in dieser Saison hat Klopp zum Teil zu verantworten. Der FC Liverpool ist in der über siebenjährigen Beziehung zum Abbild des charismatischen Coaches geworden. In ihrer besten, nur Monate zurückliegenden Zeit strahlte die Mannschaft eine unnachahmliche Wucht aus und schien angetrieben von einer restlos positiven Einstellung. Der an den Pressekonferenzen humor- und an der Seitenlinie kraftvolle Klopp trieb seine Spieler wie durch Geisterhand an.

Die ungewöhnlich vielen Niederlagen in dieser Saison haben auch beim zweifachen FIFA-Trainer des Jahres ihre Spuren hinterlassen. Es kommt vor, dass er resigniert wirkt, wenn es nicht so läuft wie geplant. Und auf Kritik reagiert er in seiner achten Saison in Liverpool gereizt, staucht einen Reporter zusammen oder spricht einem Experten die Kompetenz ab. Als angespannt, bissig und müde wurde er im «Guardian» unlängst beschrieben.

Am letzten Samstag ging Klopp im dicken Wintermantel von seinem Podest aus unaufgeregt auf die Fragen der Journalisten ein. «Es ist sehr, sehr frustrierend», gestand er in Bournemouth. Es sei ein weiterer Rückschlag gewesen. «Wir müssen nun schauen, wie schwer unsere Wunden sind, und dann weitermachen. Es ist etwas, das wir in dieser Saison lernen: mit Rückschlägen umzugehen.» Zwei Schritte nach vorne und einen zurück oder auch umgekehrt, manchmal innerhalb eines Spiels wie vor drei Wochen an der Anfield Road gegen Real Madrid.

Vom 2:0 zum 2:5 - die Liverpooler Saison im Zeitraffer. Die grossen Momente sind nicht nachhaltig, sondern schmerzhafte Erinnerungen an das, was war oder im besten Fall sein könnte. Die Mannschaft gleicht auch in dieser Phase dem Coach, wobei wohl eher die Leistungen der Spieler die Launen von Klopp beeinflussen als andersrum. Aber der Schwabe schafft es nicht, den Kurs zu ändern.

Ein letztes Hurra?

In Mainz und in Dortmund gingen die Engagements von Klopp nach rund sieben Jahren zu Ende. Doch diesmal scheint der Ausnahmecoach nicht gewillt weiterzuziehen. Er plant den Neuaufbau. Der FC Liverpool musste im vergangenen Jahr einige gewichtige Abgänge verkraften, etwa vom Sportchef, vom Videoanalysten oder vom Teamarzt. Zudem musste er Verletzungen und Formtiefs von Spielern hinnehmen. Einige frühere Leistungsträger scheinen nicht mehr auf der Höhe zu sein, nicht mehr stark genug, um das physisch anspruchsvolle Spiel von Klopp zu praktizieren oder zumindest nicht auf Dauer.

Bereits zirkulieren Namen von potenziellen Neuzugängen. Klopp, der was auch noch kommen mag, eine Ikone des FC Liverpool ist und bleiben wird, soll ein neues Gerüst aufbauen, eine zweite Ära starten. Die erste mit vielen altbekannten Namen scheint im Sommer zu Ende zu gehen. Um den Kreis mit einem Titel zu schliessen, muss Liverpool die Champions League gewinnen. Aus allen anderen Wettbewerben ist der Klub ausgeschieden oder wie in der Premier League ohne Chance.

Ausgeschlossen ist ein europäischer Triumph nicht, auch wenn am Mittwochabend zuerst einmal beim Rekordsieger drei Tore wettgemacht werden müssen. Solche Aufgaben liegen Klopp und seinem FC Liverpool. Auf dem Weg zum bislang letzten Champions-League-Titel 2019 korrigierte der 19-fache englische Meister im Halbfinal gegen Barcelona ein 0:3 mit einem 4:0-Heimsieg. Und das 7:0 gegen Manchester United liegt schliesslich nur zweieinhalb Wochen zurück.

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