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Der UEFA-Turnierdirektor Martin Kallen wenige Tage vor dem EM-Start

Martin Kallen ist zum fünften Mal Chef-Organisator einer EM-Endrunde. Der 57-jährige UEFA-Turnierdirektor glaubt, dass in Corona-Zeiten eine EM in elf verschiedenen Ländern sogar ein Vorteil ist.

Agentur
sda
07.06.21 - 10:32 Uhr
Fussball
Martin Kallen organisiert zum fünften Mal eine EM-Endrunde
Martin Kallen organisiert zum fünften Mal eine EM-Endrunde
KEYSTONE/DPA/CHRISTIAN CHARISIUS

Der Berner Oberländer spricht zudem im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über die Probleme, die es bis zum EM-Start am nächsten Freitag noch zu lösen gilt.

Herr Kallen, vor ein paar Monaten haben Sie in einem Interview gesagt: Ich habe gerne Probleme. Dann müssten Sie sich im Moment wie im Paradies fühlen.

Martin Kallen: «Das ist nicht ganz falsch. Schwierige Konstellationen machen mir Spass. Allerdings haben wir im Moment keine richtig grossen Probleme mehr. Eher ein paar kleine.»

Und die wären?

«Im Moment können zum Beispiel die Fans aus Kroatien und Tschechien nicht ohne Quarantäne nach England einreisen. Das heisst, dass sie im Prinzip ihre Teams in der Vorrunde nicht sehen können. Ausserdem diskutieren wir derzeit mit der deutschen Regierung über die Einreisebestimmungen für Reisende aus England. Das könnte zum Problem werden, wenn eine Mannschaft in London gespielt hat und darauf zum Viertelfinal nach München reisen muss (die Schweiz wäre im Falle eines Gruppensieges davon allenfalls betroffen - Red.). Das ist im Moment per Gesetz in Deutschland nicht möglich - ausser man begibt sich in Quarantäne.»

Dann könnte ein solches Spiel in München nicht stattfinden?

«Warten wir es ab. Die deutsche Regierung präsentierte uns eine Lösung. Wir haben sie noch nicht konkret auf dem Tisch. Aber klar ist: Unser Ziel muss sein, dass keine Quarantäne verordnet wird. Mit negativen Tests sollte das möglich sein.»

Was geschieht, wenn ein Spieler positiv getestet wird?

«Dann kommt das Return-To-Play-Protokoll zur Anwendung, das schon die ganze Saison im Umlauf war. Der betroffene Spieler geht in Isolation, die anderen werden getestet und können bei einem negativen Ergebnis in ihrer Bubble weiterhin trainieren. Bei den Partien stehen sicher nur Leute auf dem Feld, die negativ sind. Anders ist es nur in Schottland. Da müsste sich gemäss den lokalen Bestimmungen bei einem positiven Fall die ganze Mannschaft in Quarantäne begeben. Deshalb haben jetzt auch Kroatien und Tschechien ihre Trainingscamps von dort in die Heimat verlegt.»

11 Spielorte, 11 Länder, verschiedene Einreise- und Quarantäne-Bestimmungen. Die Situation ist weiterhin volatil. Haben Sie Verständnis, wenn die Leute sagen: Eine solche EM ist in dieser Zeit ein Blödsinn?

«Ich glaube nicht, dass dies ein Blödsinn ist. Es hat auch Vorteile mit 11 Spielorten in 11 Ländern. Mehr Fans können ihr Team spielen sehen, ohne ins Ausland reisen zu müssen. Ausserdem kommen weniger ausländische Fans in die Stadien. Normalerweise machen sie 35 Prozent aus, nun sind es deutlich weniger. Aus der Schweiz reisen zum Beispiel nur 300 Fans nach Baku. In Rom werden es etwa 1500 sein. Das macht es auch für die lokalen Behörden einfacher. Und wenn wir in einem oder zwei Länder plötzlich doch Probleme bekommen, haben wir viele Ausweichmöglichkeiten.»

Darin hat die UEFA mittlerweile Übung. Letztes Jahr die kurzfristig organisierten Finalturniere im Europacup, in diesem Jahr die Verlegung des Champions-League-Finals von Istanbul nach Porto.

«Letztlich geht es um eine gute Planung. Wenn sie bis ins Detail stimmt, kann man auch kurz vor Schluss mit etwas Jonglieren und Dribbeln die Sache noch stemmen. Wir haben immer - auch ohne Corona - einen Plan A, Plan B, C und sogar D. Normalerweise braucht es nur den Plan A. Im Hinblick auf die EM haben wir auch den Plan B benötigt und sogar Dinge vom Plan C übernommen. Beim Champions-League-Final war es ähnlich. In Istanbul war alles mehr oder weniger fertig vorbereitet. Wir hatten schon über 100 Leute vor Ort. Dann mussten wir in Porto fast bei null anfangen. Aber weil wir die Szenarien vorher seriös durchgegangen sind, haben wir die Organisation fast aus dem Ärmel schütteln können.»

Wie sieht denn eine kurzfristige Planänderung für die EM aus? Nehmen wir an, das Spiel zwischen Italien und der Schweiz kann nicht zum geplanten Zeitpunkt in Rom stattfinden.

«Wenn ein Spiel verschoben werden muss, aber im gleichen Stadion stattfinden kann, dann wird es am folgenden Tag um 12.00 Uhr oder 15.00 Uhr angepfiffen. Einfach vor den regulär angesetzten Spielen. Wenn wir es an einen anderen Spielort verlegen müssen, kommt es dort zur Austragung, wo am nächsten und übernächsten Tag kein anderes Spiel stattfindet, einfach ohne Zuschauer. Und im Prinzip hätten wir sogar die Möglichkeit, in ein Stadion auszuweichen, das nicht zu den elf EM-Stadien gehört.»

Das alles kostet die UEFA wohl viel Geld.

«Wir rechnen mit mehreren hundert Millionen Franken weniger Einnahmen. Beim Ticketing kommen wir über alle Spiele gerechnet auf rund 42 Prozent der vor der Pandemie kalkulierten Einnahmen. Ausserdem haben wir viele zusätzliche Kosten: Etwa wegen der Verschiebung der Spiele von Bilbao nach Sevilla. Oder wegen abgesagter Trainingscamps. Oder wegen Fan-Zonen, die nicht zustande kommen, die aber Kosten für Lieferanten ergeben, welche wir bezahlen müssen. Aber wir haben da sehr gut gearbeitet, und ich bin stolz darauf, was wir erreicht haben. In diesem Bereich kann man ein paar hundert Millionen zusätzlich vernichten, wenn man nicht schnell und exakt arbeitet bei den tausenden von Verträgen, die auf dem Tisch liegen.»

Muss die UEFA am Ende sogar ein Verlustgeschäft befürchten?

«Nein, denn das könnten wir uns nicht leisten. Die UEFA finanziert mit den Einnahmen die gesamte Administration und unterstützt die Verbände. Für uns wird es immer noch ein gutes Resultat geben, auch weil wir sehr grosse TV- und Sponsoren-Einnahmen haben. Die machen 75 Prozent des Umsatzes aus, und wir sind nicht weit weg von dieser Zahl.»

Und wie werden Sie als UEFA-Turnierdirektor die EM erleben?

«Ich werde zusammen mit dem Generalsekretär die meiste Zeit unterwegs sein. Ich werde alle Städte besuchen und jede Mannschaft mindestens einmal sehen. Das sind dann rund 25 bis 30 Spiele. Und beim dritten Gruppenspiel der Schweiz gegen die Türkei in Baku bin ich auch dabei. Das ist Ehrensache!»

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