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Kaenzig: «Die Schweizer Topspieler sind für uns zu teuer»

Nach elf Jahren ist der VfL Bochum wieder erstklassig. Einer der Baumeister des Aufstiegs ist als Geschäftsführer der Luzerner Ilja Kaenzig. Er tut dies mit altbewährten Tugenden.

Agentur
sda
27.05.21 - 04:00 Uhr
Fussball
Aufstiegsjubel: Am Pfingstsonntag machte der VfL Bochum nach elf Jahren die Rückkehr in die Bundesliga klar
Aufstiegsjubel: Am Pfingstsonntag machte der VfL Bochum nach elf Jahren die Rückkehr in die Bundesliga klar
KEYSTONE/EPA/Christof Koepsel / POOL

So ausgelassen wie in Ilja Kaenzigs Heimat Luzern der Cupsieg konnte in Bochum der Aufstieg am Pfingstsonntag wegen strenger Corona-Regeln nicht gefeiert werden. Aber der Fussball ist - wie fast überall im Ruhrpott - fast schon eine Religion. Die Rückkehr in die Bundesliga nach elf Jahren Zweitklassigkeit ist deshalb eine grosse Sache. Mittendrin zieht seit Anfang 2018 ein Schweizer die Fäden.

Ilja Kaenzig und der Verein für Leibesübungen (VfL) Bochum 1848 - das scheint perfekt zu passen. Er verströmt wie die Industriestadt keinen Glamour, sondern steht für harte, ehrliche Arbeit. «In Bochum soll Fussball noch Volkssport sein», betont Kaenzig im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Ambitionen hat man natürlich trotzdem. Die Rückkehr in die Bundesliga war ein erstes Ziel. «Ich freue mich, dass unsere Strategie perfekt aufgegangen ist.»

Kontinuität und langfristiges Denken

Diese Strategie beruht vor allem auf einem Pfeiler: Kontinuität und langfristiges Denken. Das ist es, was Bochum weit potenteren Vereinen wie dem HSV, Hannover oder auch Schalke voraus hat. «Kontinuität ist so wichtig und doch so schwer zu erreichen», stellt der 47-jährige Zentralschweizer fest. «In ganz Europa kannst du an der Tabelle ablesen, wo Ruhe ist.» Bochum habe konsequent auf diesen Aufstieg hingearbeitet. «Dass es gerade jetzt aufgegangen ist, ist Glück, aber es ist kein Zufall.»

Das Erfolgsgeheimnis ist der Fokus auf das Mögliche und die Einbindung aller Beteiligten. «Die Kommunikation ist sehr wichtig», sagt der studierte Betriebswirtschafter. «Alle Stakeholder müssen die Strategie akzeptieren und bereit sein, den Weg mitzugehen, von der Politik bis zum Ultra. Das Vertrauen muss da sein, damit Ruhe ist. Das ist aber enorme Arbeit.»

Kaenzig ist ein ehrlicher Umgang wichtig. In Bochum wurden keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie Pappfiguren im Stadion inszeniert, und die Fans sollen auch nicht «als Bank missbraucht» werden. So will der Verein kein Geld für Saisonabonnements einkassieren, solange nicht klar ist, dass ein Gegenwert geboten werden kann. «Sonst verkaufst du die Leute für dumm, das holt dich irgendwann ein. Du kannst nicht Werte predigen und sie dann nicht leben.» So werde vorsichtig budgetiert, damit man nicht negativ überrascht werde, erklärt er. «Wir gehen bis Ende des Jahres von null Zuschauern aus und für die Rückrunde von 40 Prozent.»

Sympathie für den Underdog

Das erlaubt keine grossen Sprünge, auch wenn aus dem TV-Topf nun gut 15 Millionen Euro mehr als noch in dieser Saison nach Bochum fliessen. Die bescheidenen finanziellen Mittel gehören zum VfL und machen einen Teil seines Charmes aus. Gemäss Umfragen ist er der siebtbeliebteste Klub in Deutschland, hat 13 Millionen Sympathisanten. «Mit dem Underdog, der aus wenig viel macht und nicht polarisiert, können sich viele Leute identifizieren. Viele freuen sich über unseren Aufstieg.» Darin sieht Kaenzig Potenzial, das nun in der obersten Klasse noch besser ausgeschöpft werden könne, um den Rückstand auf die Etablierten aufzuholen.

Die Mannschaft kann deshalb nur punktuell verstärkt werden. Auch aus der Schweiz? Kaenzig lacht. «Die Schweizer Topspieler sind für uns zu teuer. Augsburg bezahlte mehrere Millionen für Vargas, das können wir uns nicht leisten.» Bochum setzt vielmehr auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs und solche, die ablösefrei zu haben sind, die aber Potenzial haben.

Extravaganzen liegen da nicht drin, weder für die Spieler noch den Verein. Goldsteaks oder Lamborghinis sind in Bochum nicht erwünscht. Kaenzig hat sich sehr gefreut, dass Bielefeld als letztjähriger Aufsteiger die Klasse halten konnte und ein Verein wie Union Berlin Siebter wurde. «Das zeigt, dass es trotz oft zementierter Hierarchien möglich ist, als Underdog die Grossen zu ärgern. So wie es eben der VfL jahrzehntelang gemacht hat.»

Ein Budget wie Bielefeld wäre wohl vorläufig das Höchste der Gefühle für Bochum, die übrigen Bundesliga-Klubs liegen deutlich voraus. Kaenzig zitiert eine Studie, gemäss der ein Punkt in der Bundesliga knapp eine Million Lohnsumme kostet. «Für den Klassenerhalt braucht es in der Regel 35 Punkte, das wäre also ein Lohnbudget von 35 Millionen Euro. Das ist für einen normalen Aufsteiger aber illusorisch.» Dennoch glaubt er daran, dass sich Bochum wieder in der Bundesliga etablieren kann. «Freiburg, Mainz oder Augsburg machen es vor.»

Den Fussball in der Schweiz, wo er einst bei GC und YB tätig war, verfolgt Kaenzig mehrheitlich in den Medien. Den Freudentaumel der Luzerner Fans hat er aber natürlich mitbekommen. «Als Surseer freue ich mich natürlich über den Cupsieg», sagt er. «Das wird den FCL richtig pushen. Solche Momente sind wichtig, da kann etwas Gutes entstehen.» Er hätte den Sieg aber auch St. Gallens Trainer Peter Zeidler, mit dem er bei Sochaux zusammenarbeitete, gegönnt.

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