×

Ottmar Hitzfeld bedauert die Entlassung von Lucien Favre

Bei der Entlassung von Lucien Favre als Dortmund-Trainer spielten diverse Figuren im Klub eine zweifelhafte Rolle. Einer mit Vergangenheit in Dortmund aber stellt sich hinter Favre: Ottmar Hitzfeld.

Agentur
sda
14.12.20 - 18:08 Uhr
Fussball

Sonntagmorgen, der Pulverdampf verzieht sich in Dortmund. Das 1:5 gegen den VfB Stuttgart ist aufgearbeitet. Wer für das Debakel gegen den Aufsteiger die Hauptverantwortung trägt, ist zu jenem Zeitpunkt intern bereits beschlossen: der Coach, Lucien Favre. Für Nachmittag ist eine Information der Medien geplant, die «Bild-Zeitung» erfährt von der am Vorabend entschiedenen Trennung eine Stunde früher; die Standleitung hat funktioniert.

Die deutsche Kommentatoren-Prominenz fabriziert den Abgesang. Die «Süddeutsche» griff zum Zweihänder: «Assistenztrainer Edin Terzic soll ab sofort den Scherbenhaufen zusammenkehren.» Der «Kicker» trat im gleichen Stil nach: «Der Entscheid war überfällig angesichts der seit mehr als einem Jahr stillstehenden Entwicklung einer Mannschaft, die dringend frische Impulse braucht.»

Der übrige Boulevard fahndete derweil im Spielerkreis nach führenden Köpfen, die Favres Freistellung beschleunigt haben könnten. Fündig wurde man beim Captain und seinem Stellvertreter: Marco Reus und Mats Hummels. Sie könnten bekanntermassen nicht gut verteidigen, hatte Reus öffentlich analysiert. Hummels störte sich generell am «Klein-Klein durch enge Räume».

Im Zusammenhang mit Favre kamen die Statements der zwei Wortführer einem verbalen Frontalangriff gleich. Die Äusserungen sind gegenüber des eleganten Taktikers ein veritabler Stilbruch. Favre gefiel sich nie als Rollenspieler, der vor laufenden TV-Kameras Akteure wie den fehleranfälligen Abwehrpatron blossstellte oder krasse Fehlleistungen quotengerecht sezierte. «Lucien Favre ist ein ausgesprochen höflicher Mensch. Er legt sehr viel Wert auf einen gepflegten zwischenmenschlichen Umgang», betonte Keeper Roman Bürki in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA vor ein paar Monaten.

Knackige Quotes liess sich Favre partout nicht entlocken. Im Erfolgsfall legte der mediale 24-Stunden-Tross seine behutsame Art als charmant aus, nach Niederlagen stempelten ihn die Kritiker als ratlosen und zerstreuten Fussball-Professor ab. Nicht selten wurde sein Coaching über die Gestik an der Seitenlinie definiert; der subtile, taktische Aspekt spielte im Bundesliga-Dampfkessel der vielen Mentalitätsmonster keine Rolle mehr.

Einer mit Renommee und dem Status einer übergeordneten deutschen Fussball-Instanz ist vom Vorgehen der BVB-Führung irritiert: Ottmar Hitzfeld, in den Neunzigerjahren Coach der besten Equipe der Klubgeschichte. «Ich bedauere sehr, dass der BVB sich dem Druck der Medien beugte. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Lucien im Verlauf der Saison der grösste Konkurrent der Bayern gewesen wäre», sagte der zweifache Champions-League-Sieger zu Keystone-SDA.

Verschiedene Wahrheiten

In den letzten Wochen ging das grosse Bild komplett vergessen. An die beste Saison seit Jahren zum Start der knapp zweieinhalbjährigen Kampagne Favres erinnerte sich kein Beteiligter mehr; auf der Instagram-Seite des Vereins hingegen gingen auffällig viele wohlwollende Voten seitens der Fans ein. Offensichtlich kursieren rund um den BVB verschiedene Wahrheiten. Selbst bei Schwarz-Gelb gibt es offenkundig nicht nur Schwarz-Weiss.

Der beste Punkteschnitt der Vereinsgeschichte (2,09, zusammen mit Thomas Tuchel) war gleichwohl nicht gut genug. Sechs Punkte Rückstand auf den überraschenden Leader Bayer Leverkusen, eine weitgehend souveräne Champions-League-Gruppenphase, die offene Ausgangslage im Cup – kein Argument mehr, die Zweifler in den eigenen und externen Reihen zu besänftigen. Im Gegenteil: Die Klubleitung sah die «Ziele gefährdet» und verhängte das Out des Trainers einstimmig.

Die Nostalgiekarte

Hans-Joachim Watzke, der mächtige Geschäftsführer mit Hang zur Nostalgie, konnte sich einen weiteren Weg mit dem leisen Westschweizer nicht mehr vorstellen; zumal er unlängst von der Entourage Favres von einer geplanten Veränderung im Sommer erfahren hat. Mehr als eine Zweckgemeinschaft war das Engagement Favres für Watzke ohnehin nie.

Ein Beispiel bestätigt diesen Eindruck: Zeitgleich zu den ersten Untiefen unter Favre im Oktober 2019 veröffentlichte Watzke seinen persönlichen BVB-Liebesroman. Das Verhältnis zu Männerfreund Jürgen Klopp? «Ein Unikat!» Er würde den früheren Star-Coach jederzeit zurückholen, wenn er denn könnte, meldete Watzke in lockerer Runde. Favre selber äusserte sich zum eigenartigen Timing der Buchvorstellung nicht. Er schwieg, derweil der Vorgesetzte von der guten alten Zeit mit «Kloppo» träumte.

So dezidiert wie in seiner Lobeshymne für Klopp äusserte sich Watzke selten bis nie im Fall des nun freigestellten Favre. Mit seiner weitgehend passiven Haltung gewährte das Führungsgremium einflussreichen Skeptikern sehr viel Raum. Rückendeckung fühlt sich definitiv anders an. Die sofortige Trennung kam unter diesem Gesichtspunkt tatsächlich nicht ohne Vorzeichen – und sicher nicht nicht nur einer 1:5-Abfuhr wegen.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Fussball MEHR