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Am 2. Juli 1994 wird Andrés Escobar erschossen

Vor 26 Jahren wurde Andrés Escobar in Kolumbien erschossen. Dem damals 27-jährigen Fussballer war zehn Tage zuvor an der WM gegen die USA ein Eigentor unterlaufen. Womöglich musste er deshalb sterben.

Agentur
sda
02.07.20 - 05:00 Uhr
Fussball

Die Via Las Palmas von Medellin hält nicht, was der Name verspricht. Sie ist kein von Palmen gesäumter Boulevard, sondern eine Schnellstrasse, die aus der kolumbianischen Grossstadt hinausführt zum Flughafen. Entlang der Via Las Palmas stehen ein paar schäbige Motels und ein paar Restaurants. Eines davon hiess in den Neunzigerjahren «El Indio». Ein Gastro-Betrieb, der Fleischspezialitäten anbot und im Nebengebäude eine Diskothek untergebracht hatte. Auf dem Parkplatz des «El Indio» wurde Andrés Escobar in den frühen Morgenstunden des 2. Juli 1994 erschossen.

Wie Augenzeugen später erzählten, soll Escobar im Restaurant von anderen Gästen angepöbelt worden sein. Sie beleidigten ihn, weil ihm zehn Tage zuvor an der WM in den USA ein Eigentor unterlaufen war. Als er nach Hause fahren wollte, soll es auf dem Parkplatz zum Streit mit zwei jungen Männern gekommen sein. Ein Dritter kam hinzu und schoss Escobar nieder. Und eines wollen Zeugen immer wieder gehört haben: «Eigentor Andrés, Eigentor! Danke für das Eigentor!»

Ja, dieses Eigentor! Es unterlief Escobar zehn Tage zuvor in Pasadena im zweiten WM-Gruppenspiel Kolumbiens gegen die USA. Es führte zum 0:1, noch vor der Pause, und am Ende verloren die Südamerikaner 1:2. Es war die zweite Niederlage, das vorzeitige Ausscheiden Kolumbiens war besiegelt. Der 2:0-Sieg zum Abschluss der Vorrunde gegen die Schweiz war nutzlos.

Kolumbien, einer der Mitfavoriten auf den Titel, musste frühzeitig die Heimreise antreten. Escobar, der vier Jahre zuvor während einer halben Saison für die Young Boys gespielt hatte, trug mit seinem Eigentor natürlich zum Ausscheiden Kolumbiens bei. Doch waren die sportliche Enttäuschung und die damit einhergehenden Emotionen tatsächlich ein Motiv und eine Erklärung für den Mord?

Verlor die Wettmafia viel Geld?

Keine 24 Stunden nach dem Mord fand die Nation eine mögliche Antwort. Die beiden Männer, welche Escobar im «El Indio» beleidigt und danach auf einem Parkplatz in einen Streit verwickelt hatten, waren keine unbescholtenen Bürger. Die Brüder David und Santiago Gallón waren einflussreiche Mitglieder des Drogenkartells von Medellin. Der Mörder von Escobar, Humberto Muñoz, war ihr Fahrer.

Die Verbindung der Täter zur Drogenmafia war schnell hergestellt und somit hatten die Ermittler ein plausibles Motiv rasch zur Hand. Die Drogenmafia von Medellin muss bei Wetten viel Geld verloren haben, weil Kolumbien schon in der Vorrunde aus der WM ausschied, und Escobar galt wegen seines Eigentores eben als Hauptschuldiger für den sportlichen Misserfolg.

Humberto Muñoz wurde später zu 43 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wurde Ende der Neunzigerjahre halbiert, nach knapp elf Jahren war er wegen guter Führung (offiziell) oder wegen guter Kontakte (inoffiziell) wieder frei. Muñoz hatte stets beteuert, dass er Andres Escobar nicht erkannt habe und dass er nur geschossen habe, weil er befürchtete, der Streit würde eskalieren.

Drogenhandel, Auftragsmorde, Motorrad-Killer

Vielleicht stimmt diese Darstellung sogar. Medellin war bis Mitte der Neunzigerjahre kontrolliert vom Drogen-Kartell des Ende 1993 ermordeten Pablo Escobar (nicht verwandt mit Andres). Paramilitärs lieferten sich blutige Kämpfe mit der staatlichen Polizei und der Armee. Medellin wies weltweit die höchste Kriminalitätsrate auf. Pro Jahr wurden in der Stadt damals rund 7000 Morde verübt.

Es war die Zeit, als Medellin für kriminelle Kräfte, Drogenhandel und Motorrad-Killer stand, verübt meist von Teenagern, die für eine Handvoll Dollar Mordaufträge ausführten. Dass das Klima in Medellin in diesen Jahren schlimmer war, als in jedem Agenten-Thriller, zeigt auch dies: Der Hauptzeuge, welcher Humberto Muñoz identifizierte, lebt seither mit neuer Identität irgendwo ausserhalb Kolumbiens.

Vielleicht musste Escobar am 2. Juli 1994 tatsächlich sterben, weil ihm zehn Tage zuvor an der WM ein entscheidendes Eigentor unterlaufen war. Vielleicht war er aber auch nur «zur falschen Zeit am falschen Ort», wie sein Nationaltrainer Francisco Maturana später sagte. Weil im Medellin der damaligen Zeit oftmals Menschen unterwegs waren, die dachten, nur dann zu überleben, wenn sie schneller schossen als ihr Gegenüber. Auch dann, wenn das Opfer - wie Andrés Escobar - nicht das Geringste mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatte. Und erst recht in den frühen Morgenstunden auf einem Parkplatz an der Via Las Palmas.

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