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Juves Generaldirektor im Zentrum des mafiösen Konstrukts

Vor 14 Jahren fliegt das Manipulationssystem im Italo-Fussball auf. Im Zentrum des mafiösen Konstrukts steht Luciano Moggi. Der Juve-Generaldirektor wird lebenslang gesperrt, der Klub zwangsrelegiert.

Agentur
sda
02.05.20 - 04:15 Uhr
Fussball
Juventus Turins Generaldirektor Luciano Moggi (rechts) am 7. Mai 2006 anlässlich der Partie Juventus - Palermo
Juventus Turins Generaldirektor Luciano Moggi (rechts) am 7. Mai 2006 anlässlich der Partie Juventus - Palermo
KEYSTONE/AP/ALBERTO RAMELLA

Am 2. Mai 2006 wurde der italienische Fussball in seinen Grundfesten erschüttert. Die «Gazzetta dello Sport» veröffentlichte an diesem Tag einen Teil der Abhörprotokolle von Telefongesprächen des Juventus-Turin-Generaldirektors Luciano Moggi. Dass dieser mit einem mafiösen System den italienischen Fussball kontrollierte und manipulierte, war längst vermutet worden. Schliesslich nannten sie den damals 68-jährigen Moggi in Italien schon lange «Lucky Luciano». Wie Salvatore Charles «Lucky» Luciano, einer der ersten Mafia-Bosse im New York der Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts.

In der «Gazzetta dello Sport» also konnten die Tifosi nachlesen, wie Moggis Manipulationen System hatten. Dabei ging es nicht um Sportwetten - gerade in den deutschen Medien wird der italienische Fussballskandal fälschlicherweise oft als Wettskandal bezeichnet - oder Resultat-Absprachen. Nein, Moggi machte seinen Einfluss geltend, in dem er die Schiedsrichterzuteilung bei Serie-A-Spielen manipulierte. Den Schiedsrichterobmann wies er mal an, der Referee der Partie Sampdoria Genua gegen Juventus Turin solle «50 Augen offen halten, um auch Dinge zu sehen, die man gar nicht sehen kann». Juventus gewann darauf in Genua dank eines grosszügig gepfiffenen Penaltys.

Doch Moggis Manipulationen gingen weiter und halfen Juventus oft auch über Umwege. Schiedsrichter wurden mit Rolex-Uhren oder sogar Ferraris bestochen, damit sie bei Teams, die in der darauffolgenden Runde auf die Turiner trafen, die Karten absichtlich so verteilten, dass wichtige Spieler dann gegen Juventus gesperrt waren. In der Saison 2004/05 wurden auf diese Weise 29 von 38 Partien von Juventus verfälscht.

Um dieses System aufrechtzuerhalten, legte sich Moggi eine beeindruckende Handy-Infrastruktur zu. Die Ermittler fanden heraus, dass er sechs Mobiltelefone gleichzeitig in Betrieb hatte. In einem Zeitraum von neun Monaten wurden rund 100'000 (hunderttausend!) Telefonanrufe gezählt, über 400 pro Tag. In diesen neun Monaten benutzte Moggi 300 SIM-Karten, davon viele von Schweizer Anbietern. Abschütteln konnte er seine Verfolger dadurch aber nicht.

Und so flog Moggi und Juventus Turin das System im Sommer vor 14 Jahren um die Ohren. Der Meistertitel 2006 wurde auf dem Rasen noch gewonnen. Doch «die Feier wurde zum Begräbnis», wie die Juventus nahe stehende Turiner Tageszeitung «La Stampa» konstatierte. Moggi war beim letzten Spiel am 14. Mai schon nicht mehr dabei. Er war drei Tage zuvor und neun Tage nach Veröffentlichung der Abhörprotokolle als Generaldirektor zurückgetreten.

Moggi wurde zunächst für fünf Jahre, dann sogar lebenslänglich gesperrt. Strafrechtlich dagegen kam er ungeschoren davon. Bis die Mühlen der italienischen Justiz zu Ende gemahlen hatten, waren Moggis Taten längst verjährt. Heute ist Moggi zwar nicht mehr mittendrin, aber immer noch dabei. Er ist ein gern gesehener Gast in TV-Talks. Dort erklärt er der Nation den Calcio.

Moggi war im korrupten System zwar das Zentrum, aber nicht der einzige Darsteller und Täter. Mit der Affäre waren insgesamt fünf Staatsanwaltschaften beschäftigt. Sie ermittelten gegen mehr als 50 Personen und mehrere Klubs. Das kriminelle Handeln von Juventus zog die Reaktion der Konkurrenz nach sich, auch sie wählte den Weg der Mauscheleien und Bestechungen. Im Sommer 2006 wurden auch Fiorentina, Lazio Rom und Milan sowie eine Vielzahl kleinerer Vereine bestraft. Am Schlimmsten aber traf es Juventus Turin. Der Rekordmeister wurde zwangsrelegiert und musste in der Serie B mit einem Handicap von 9 Punkten starten.

So erlebten die Italiener vor 14 Jahren einen Fussball-Sommer, der auf groteske Weise eine Mischung aus Märchen und Drama war. Während die Prozesse anliefen, erst medial, dann (sport-)juristisch, spielte sich die Squadra Azzurra in Deutschland in einem eindrücklichen Steigerungslauf zum vierten WM-Titel. Die ersten Urteile wurden am 14. Juli gesprochen, fünf Tage nach dem Triumph im Final von Berlin. In diesem Final standen bei Italien und Frankreich insgesamt neun Spieler von Juventus auf dem Platz. Von Gigi Buffon über Fabio Cannavaro bis zu Alessandro Del Piero; von Liliam Thuram über Patrick Vieira bis zu David Trezeguet.

Darin finden viele Juventus-Fans die Bestätigung, dass ihr Team sowieso das beste war. Und auch Moggi findet alles halb so schlimm. Kürzlich sagte er im TV: «Ich musste eine Welt von Teufeln kontrollieren. Aber Telefonieren ist doch wirklich kein Verbrechen.» Einige TV-Macher sehen dies wohl ähnlich. In den Studios wird Moggi noch heute fast ehrfürchtig als «Direttore» angesprochen.

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