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Jamaika fordert den nächsten Favoriten

Südostschweiz
26.07.15 - 19:15 Uhr
Fussball

Seit zwei Jahren steckt der Deutsche Winnie Schäfer (65) Energie und Leidenschaft in sein Fussball-Projekt mit Jamaika. Nach dem fabelhaften Halbfinal-Coup im Gold Cup gegen die USA will der smarte Rheinländer die Insulaner in der Nacht auf Montag im Final gegen Mexiko zum ersten CONCACAF-Titel einer karibischen Auswahl seit 42 Jahren führen. Und dann hat der ehemalige KSC-Magier noch Grösseres im Sinn: die WM-Teilnahme 2018.

Sie haben während drei Jahrzehnten im Trainerbusiness viel erlebt. Wo stufen Sie den 2:1-Erfolg im Gold-Cup-Halbfinal gegen die USA ein?

"Zu vergleichen ist der Erfolg ungefähr mit einer WM-Finalteilnahme Deutschlands. Oder stellen Sie sich mal vor, die Schweiz würde an einer EM das Endspiel erreichen - so in etwa fühlt sich der Sieg gegen Amerika für uns an."

Weshalb ist der Triumph gegen Jürgen Klinsmanns WM-Achtelfinalisten so wertvoll?

"Man muss die Voraussetzungen kennen. Klinsmann besitzt ein Paradies an Trainingsplätzen. Wenn ich die Situation in Jamaika sehe, dann wäre ich schon mit einem einzigen Prozent der US-Verhältnisse glücklich. Dann wäre die jamaikanische Fussball-Bewegung in vier Jahren auf einem ganz hohen Niveau."

Wie war es trotz erheblicher Standortnachteile möglich, als Nummer 76 der FIFA-Weltrangliste unter die Top 2 der CONCACAF-Meisterschaft vorzustossen?

"Wir haben extrem viel dank unserem ausgezeichneten Spirit erarbeitet. Und wir bauten taktische Raffinessen in unser Spiel ein. Zudem gelang es, die beiden amerikanischen Stars Beckerman und Bradley dank speziellen Vorkehrungen zu 90 Prozent abzumelden. Wir zwangen die US-Boys, Hauruck-Fussball mit Zufallsprodukten zu spielen."

Ist es Ihnen gelungen, alle im Team von Ihrer taktischen Disziplin zu überzeugen? Schon an der Copa América hat Ihre Equipe gegen grosse Nationen pro Spiel nur ein Gegentor hinnehmen müssen.

"Was Ottmar Hitzfeld in den letzten Jahren in der Schweizer Auswahl durchsetzte, habe ich in Jamaika ebenfalls eingeführt. Jeder hat seine Aufgabe. Das Team siegt nur, wenn sich jeder an das gemeinsame Konzept hält. Wir brauchen keine Einzelunterhalter, sondern Spieler, die ihre gesamte Energie ins Team investieren. In meiner Ansprache vor dem Turnier erinnerte ich meine Jungs mit Nachdruck an folgenden Grundsatz: 'Die Mannschaft mit der besten Abwehr gewinnt die Trophäe, und die Abwehr beginnt dort, wo wir den Ball verlieren.' So haben wir an der Copa Messi praktisch komplett aus dem Spiel genommen."

Wie haben Sie es geschafft, Akteure aus teilweise vier verschiedenen Liga-Klassen zu einer funktionierenden Einheit zu formen?

"Meine Antwort mag arrogant klingen, aber eine meiner Stärken ist das Teambuilding. Das ist mir einst schon in Karlsruhe gelungen. Mit Spielern, die zum Teil fast von der Strasse gekommen waren, erreichten wir den Aufstieg bis in den Europacup-Halbfinal. Ich habe die Stars nicht gekauft, ich habe sie gemacht. Hier habe ich einen wie Jobi McAnuff, der ist 33, spielt aber wie ein 27-Jähriger. Er ist in England zwar in die vierte Liga abgestiegen, spielt im Nationalteam aber wie ein Leader, weil ich ihm das Gefühl vermittle, wichtig zu sein. Wenn ich in der Schweiz oder in Deutschland in der 2. Liga Trainer wäre, würde ich diesen intelligenten Fussballer sofort holen."

Sie sagten einmal, Sie müssten es schaffen, dass Ihnen die Spieler bedingungslos folgen.

"Ich versuche, meinen Weg zu gehen - den Weg mit viel Respekt dem Land gegenüber. Ich muss vor allen Dingen ehrlich sein, ansonsten habe ich von Beginn weg keine Chance, dann droht doch sofort Stunk. Jeder der 23 Spieler will sich für einen Vertrag in einer guten ausländischen Liga aufdrängen, jeder will spielen. Ich bin darum bemüht, das ganze Kader bei Laune zu halten, nicht nur die ersten elf. Nach dem Team-Meeting vor dem USA-Spiel habe ich mich intensiv mit den Reservespielern unterhalten. Meine Wertschätzung sollen alle spüren. Der gegenseitige Respekt ist essenziell. So lässt sich die Unruhe schon im Keim ersticken."

Was löst dieses wunderbare Ergebnis nun aus?

"Viel, sehr viel sogar. Ich erzähle Ihnen eine kleine Episode. Ich habe mich für Kemar Lawrence vor einiger Zeit nach einem Job in Deutschland umgehört, weil ich will, dass möglichst viele meiner Spieler in Europa Fortschritte machen. Zwei Klubs legte ich nahe, dieses Juwel zu holen. Keiner hat zugebissen, seit März spielt er bei den New York Red Bulls. Und im Juni schaltete er an der Copa Messi aus. Künftig werden sich womöglich mehr Scouts für unsere Spiele interessieren."

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