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Schach auf Eis statt Kasatschok

Der Auftritt der KHL in Zürich am Montag und heute Mittwoch ist ein Leckerbissen für Hockeyfans. Dem Traum einer Expansion in die Schweiz kommen die Russen damit aber kaum näher.

Agentur
sda
27.11.18 - 18:10 Uhr
Eishockey
Dynamik, aber kaum Emotionen: SKA-Stürmer Alexej Bywaltsew bedrängt den lettischen Goalie Kristers Gudjevskis
Dynamik, aber kaum Emotionen: SKA-Stürmer Alexej Bywaltsew bedrängt den lettischen Goalie Kristers Gudjevskis
KEYSTONE/ENNIO LEANZA

Als 1972 die Phantome aus der Sowjetunion erstmals hinter dem Eisernen Vorhang hervortraten und in Kanada (und Moskau) die später «Summit Series» (Gipfeltreffen) genannten ersten Vergleiche mit den kanadischen Stars aus der NHL spielten, war dies eine Sensation. In etwa so, wie wenn man erstmals ein Fabelwesen in Leib und Blut vor sich erblickt.

Wenn nun die KHL-Spitzenteams SKA St. Petersburg, ZSKA Moskau und Dinamo Riga in Zürich auftreten, fehlt dieser Reiz des Exotischen. Das Hallenstadion sieht nicht viel anders aus als bei Heimspielen der ZSC Lions. Im Foyer steht der riesige (und potthässliche) Gagarin-Pokal, das russische Pendant zum Stanley Cup. Die Leibchen der Besucher haben etwas andere Farben, und es gibt ein paar Fellmützen mehr zu sehen. Die lettischen Cheerleader und die ebenfalls ausschliesslich junge und weibliche Eisreinigungs-Crew wechselten für jeden Einsatz ihr Glitzer-Tenü.

Auf dem Eis stehen aber keine Fabelwesen aus einer anderen Welt. Am Montagabend kamen bei Riga und St. Petersburg neben den Osteuropäern vier Kanadier, zwei Schweden und ein Finne zum Einsatz. Zwei, Dinamos Torschütze Kevin Clark (SCL Tigers) und SKA-Verteidiger David Rundblad (ZSC), kannte man sogar schon aus der National League. Was also bezweckt die «Kontinentalnaya hokkeynaya liga», zu der 25 Teams aus sieben Ländern von Finnland bis China gehören, mit dem Auftritt in der Schweiz?

Der Traum eines Schweizer KHL-Teams

Für Roman Rotenberg, Vizepräsident von SKA St. Petersburg und des KHL-Präsidialbüros, geht es um Werbung für die KHL im Westen. Über Zahlen und allfällige Kosten kann - oder will - er nichts sagen. Dinamo Riga ist im Hallenstadion offiziell das Heimteam, St. Petersburg nur der Gast. Er freut sich aber über die Schlangen vor den Merchandise-Ständen. Souvenir-Pucks und Schals dürften am beliebtesten sein, das Trikot der russischen Nationalmannschaft ist mit einem stolzen Preis von 223 Franken eher etwas für eingefleischte Fans. Rotenberg macht keinen Hehl daraus, dass er gerne Teams aus dem Westen in der KHL sähe. «Aus der Schweiz, Deutschland oder Schweden, warum nicht auch London?»

In absehbarer Zeit dürfte dies nur ein Traum bleiben. Die Zuschauerzahlen in der Champions Hockey League zeigen immer wieder, dass der Schweizer Fan lieber das x-te Spiel gegen Davos, Bern oder die ZSC Lions sieht als hochklassige, aber wenig bekannte internationale Gegner. Martin Gerber bedauert dies durchaus. Der langjährige NHL-Goalie aus dem Emmental und WM-Silbermedaillen-Gewinner von 2013 war in der Saison 2009/2010 bei Atlant Mytischtschi der erste Schweizer Spieler in der KHL. «Das war ein Riesenerlebnis, enorm lehrreich und interessant», erinnert sich der 44-Jährige. Selbst die langen Reisen in den Fernen Osten wären für ihn machbar. Man spiele ja nur einmal - dafür dann zwei Wochen am Stück - so weit weg. «Die meisten Spiele finden innerhalb der Division statt, also in Helsinki, Bratislava oder Minsk.» Das wären dann Flugreisen von rund zwei Stunden.

19 Olympiasieger in drei Tagen

Gerber freute sich jedenfalls, am Montag in Zürich mit SKA St. Petersburg «das wohl beste Team Europas» zu bewundern. Sportlich war der Auftritt der KHL tatsächlich sehenswert. Es gab Highlights, die man von der Schweizer Liga nicht kannte. St. Petersburgs 40-jähriger Starstürmer Pawel Dazjuk, eines der raren Mitglieder des Triple Gold Clubs (mindestens einmal Gewinner von Stanley Cup, Olympia- und WM-Gold), verzückte mit technischen Kabinettstücken und dem Siegtreffer zum 2:1. Sportlich überzeugten die beiden Teams mit guter Organisation, Tempo, defensiver Disziplin und nur sehr wenigen Fehlern. Im Gegensatz zu den beiden Spielen in Wien im Oktober, bei denen Slovan Bratislava 0:9 und 0:7 verlor, lieferten die Letten dem Favoriten einen guten Kampf. Und bei St. Petersburg und ZSKA Moskau spielen insgesamt 19 Olympiasieger von Pyeongchang. Mit nur gut 4500 Fans - der Minusrekord der Lions in dieser Saison liegt bei 8203 Zuschauern - fehlten aber die Emotionen und ein Aha-Effekt. Es war eher hochstehendes Schach auf Eis als ein feuriger Kasatschok.

Das erste von zwei Spielen der KHL World Games - das zweite findet am Mittwochabend zwischen Riga und ZSKA Moskau statt - war gute Unterhaltung für den Hockeykenner, aber kein Argument, dass die Schweiz auf die KHL gewartet hat.

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