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Wenn der Körper keinen Spitzensport mehr zulässt

Hugo Santacruz war jahrelang der beste 800-Meter-Läufer des Landes. Das wird er so schnell wohl nicht mehr. Trotzdem möchte der 30-jährige Joner nichts von Rücktritt wissen.

Linth-Zeitung
10.11.18 - 04:37 Uhr
Sport
Mehr Frust als Lust: Von Problemen mit den Achillessehnen geplagt, kam Hugo Santacruz zuletzt nicht mehr auf Touren und verlor auch die Motivation.
Mehr Frust als Lust: Von Problemen mit den Achillessehnen geplagt, kam Hugo Santacruz zuletzt nicht mehr auf Touren und verlor auch die Motivation.
Bild Keystone

von Christopher Gmür

Den Weg in die Region Rapperswil-Jona fand Hugo Santacruz 2010. 2007 hatte er es als Zehnkämpfer an die U20-Europameisterschaften geschafft, hatte sich in der Folge aber mit zahlreichen Verletzungen herumschlagen müssen. So sah er sich vor acht Jahren gezwungen, sich auf eine Disziplin zu spezialisieren. Santacruz klopfte beim LC Rapperswil-Jona und Trainerin Cornelia Bürki an. Ein Glücksfall, wie sich herausstellen sollte.

Zunächst noch mit einigen Erfolgen über 400 Meter (Silbermedaille an den Schweizer Meisterschaften 2011), war der Pfad mit der ehemaligen Weltklasse-Mittelstrecklerin Bürki als Trainerin zu den 800 Metern aber bereits da vorgezeichnet. 2013 erfolgte der Distanzwechsel und Santacruz schlug national ein wie eine Bombe. Vier Schweizer Meistertitel in Serie (2013 bis 2016), eine persönliche Bestleistung von 1:46,68 Minuten, zwei Teilnahmen an Europameisterschaften (2014 und 2016) und die Qualifikation für die Hallen-EM 2017. Das sind Errungenschaften, die heute kein aktiver Schweizer Mittelstreckenläufer vorzuweisen hat.

Der Auftritt an der Indoor-EM im vergangenen Jahr sollte indes sein letzter internationaler Einsatz bleiben und das Ende seiner nationalen Vormachtstellung darstellen. Denn im Sommer 2017 erfuhr Santacruz’ erfolgreiche Karriere als 800-Meter-Läufer einen nennenswerten Knick. Verletzungsbedingte Aufgabe an den Schweizer Meisterschaften, fehlende Konstanz, Frust. Schon da sei das Problem gesundheitlicher Natur gewesen. «Meine Achillessehnen», sagt er. «Sie haben mich 2017 entscheidend zurückgeworfen und mir immer mehr die Motivation genommen.»

Leistungsmindernde Gedanken

Bereits da war eine mehrwöchige Pause unumgänglich. Zwar konnte der 30-Jährige das Wintertraining wieder aufnehmen – und dieses sei eigentlich auch ansprechend verlaufen, meint er. «Aber ich spürte das ganze Jahr über, dass mein Körper nicht mehr ganz mitmacht.» Zu sehr seien seine Gedanken bei seinen Waden und Achillessehnen gewesen. Die Sorge, ob diese der grossen Belastung standhalten würden, war omnipräsent. «Ich überlegte ständig, wie ich gesund bleiben kann und studierte an Therapieformen herum.» Das Vertrauen in die eigene Gesundheit war weg.

Seit dem Wechsel zu Nationaltrainer Louis Heyer Ende 2016 kam hinzu, dass Santacruz im Trainingsalltag nicht mehr gleich eng begleitet war wie zuvor bei Bürki. Er, der Teamplayer, stand plötzlich viel öfter alleine auf dem Platz. «Das störte mich», reflektiert er. «Ich muss über meine Probleme kommunizieren können.»

«Ich werde immer gerne Wettkämpfe bestreiten, auch wenn diese nicht mehr vorbereitet sein werden. Irgendwo wird man mich wieder einmal an einer Startlinie sehen.»
Hugo Santacruz, Leichtathlet aus Rapperswil-Jona

Dass die Resultate 2018 entgegen seiner Hoffnungen noch dürftiger ausfielen als 2017 (1:49,47 Minuten war seine schlechteste Saisonbestzeit als 800-Meter-Spezialist), belastete den ansonsten positiven und zuversichtlichen Athleten aufs Neue. «Ich fand nie in diesen Tunnel, nie zur Aggressivität, die mich früher schnell machte. Und das Schlimme war: Ich wusste nicht einmal, wo ich ansetzen musste, um dies nach den ersten Rennen zu korrigieren. Deshalb ging mit der Zeit auch der Kampfgeist verloren.» Der begnadete Wettkämpfer, der zur Höchstform auflief, wenn es am meisten zählte, wurde zum Schatten seiner selbst. Symptomatisch für seinen Frust: Die demotivierte Aufgabe im Vorlauf an den Schweizer Meisterschaften in Zofingen.

In dieser Zeit kam Hugo Santacruz entgegen, dass er privat ein neues Ziel anvisieren konnte. Mit seiner Partnerin stand eine Reise nach Paraguay an – ein lang gehegter Traum von ihm, hatte er doch seine ersten sieben Lebensjahre im südamerikanischen Land verbracht. Es war die perfekte Gelegenheit, sich über sein Leben und die sportliche Zukunft Gedanken zu machen.

Rückzug heisst nicht Rücktritt

Gestärkt und gereift kam er von seinem ersten Paraguay-Besuch seit früher Kindheit zurück. Und mit einer Entscheidung im Gepäck: Den Spitzensportler Hugo Santacruz der letzten Jahre wird es nicht mehr geben. «Ich dachte in den Ferien zwar kurz daran, dass ich es nochmals versuchen könnte. Meine Achillessehnen machen dies aber nicht mehr mit», meint er. Ausserdem sei im klar geworden, dass er auch noch andere Interessen verfolgen möchte. So ist er bereits dem FC Rapperswil-Jona beigetreten und beruflich strebt er Weiterbildungen zum Elektroinstallateur an.

Ein Wort möchte Hugo Santacruz aber explizit nicht hören: Rücktritt. Denn: «Ich werde immer gerne Wettkämpfe bestreiten, auch wenn diese nicht mehr vorbereitet sein werden wie früher. Irgendwo wird man mich wieder einmal an einer Startlinie sehen.» Und hoffentlich irgendwann auch seine eigenen Athleten. Es reize ihn nämlich, dem Sport etwas zurückzugeben. «Ich habe so viel profitieren dürfen. Ich möchte jungen Athletinnen und Athleten nun auch etwas zurückgeben.» Mit seinem Flair, auf Leute zugehen zu können, mit seinem lockeren Umgang und dem grossen Erfahrungsschatz dürfte Santacruz die eine oder den anderen von ihnen entscheidend voranbringen können – im Idealfall in die Richtung eines ähnlichen Werdegangs wie dem seinen. Auf einen Weg geprägt von Kampfgeist, Leidenschaft und Lebensfreude, belohnt mit und gekrönt von sportlichem Erfolg.

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