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Der mutmassliche Täter von Frankfurt war in psychiatrischer Behandlung

Der 40-jährige Mann aus Eritrea, der in Frankfurt mutmasslich mehrere Personen vor einen Zug stiess und dabei einen achtjährigen Knaben tötete, war in psychiatrischer Behandlung. Er hatte vor wenigen Tagen seine Familie eingesperrt und eine Nachbarin angegriffen.

Agentur
sda
30.07.19 - 21:13 Uhr
Blaulicht

Bis am Donnerstag der vergangenen Woche wohnte der Mann aus Eritrea zurückgezogen mit Frau und Kindern in Wädenswil ZH. Er war Mitglied der christlich-orthodoxen Glaubensgemeinschaft und arbeitete bis Januar 2019 bei den Zürcher Verkehrsbetrieben (VBZ). Seit 2006 lebte er in der Schweiz, seit 2011 hatte er eine Niederlassung C. Er galt aus Sicht der Behörden als vorbildlich und wurde in einer Publikation als Beispiel gelungener Integration genannt.

Polizeilich bekannt war der 40-Jährige einzig wegen eines geringfügigen Verkehrsdelikts. Am Donnerstag kam es dann zu einem ersten Gewaltausbruch: Er sperrte seine Ehefrau und die drei Kleinkinder in der Wohnung ein, wie Vertreter der Kantonspolizei Zürich und der Staatsanwaltschaft am Dienstag vor den Medien in Zürich erklärten. Seine Familie musste von der Polizei befreit werden.

Zudem bedrohte er eine Nachbarin mit einem Messer und würgte sie. Der Gewaltausbruch kam für die Familie und die Nachbarin überraschend. Sie hätten ihn noch nie so erlebt, sagten sie aus. Bevor die Polizei am Tatort eintraf, war er bereits geflüchtet. Das Motiv für die Tat in Frankfurt und für den Gewaltausbruch in Wädenswil bleibt unklar.

Keine Hinweise auf Gefährlichkeit

Eine Öffentlichkeitsfahndung wurde am Donnerstag nicht eingeleitet. Das sei nicht angezeigt gewesen. Solche Vorfälle von häuslicher Gewalt gebe es im Kanton Zürich etwa ein Dutzend pro Tag, sagte Bruno Keller, Es habe keine Hinweise auf eine besondere Gefährlichkeit gegeben. Man habe ihn national zur Fahndung ausgeschrieben. Eine Radikalisierung oder einen terroristischen Hintergrund schliesst die Polizei aus.

Eine Verbindung zur Tat im deutschen Bundesland Hessen, wo ein Deutscher vor Wochenfrist offenbar aus rassistischen Motiven einen Eritreer mit einem Bauchschuss schwer verletzt und sich anschliessend selbst getötet hatte, sieht die Frankfurter Staatsanwaltschaft derzeit ebenfalls nicht.

Vielmehr hat der Mann psychische Probleme. Seit Januar dieses Jahres war der 40-Jährige deswegen auch krankgeschrieben. «Er war in psychiatrischer Behandlung», sagte Keller. Woran er leidet, ist noch nicht geklärt. Die Justiz hat die Krankengeschichte des Mannes noch nicht analysiert. Ob er in einer Klinik war, ist ebenfalls noch unklar.

Wie der Eritreer nach Deutschland kam und mit wem er seit Donnerstag Kontakt hatte, bleibt ebenfalls offen. Wie der deutsche Innenminister Horst Seehofer am Dienstag an einer Pressekonferenz in Berlin sagte, reiste der mutmassliche Täter «offensichtlich legal» nach Deutschland ein. Laut Frankfurter Staatsanwaltschaft gab der 40-Jährige an, vor wenigen Tagen von Basel mit dem Zug nach Frankfurt gefahren zu sein. In Deutschland war er bislang nicht polizeibekannt.

Zwei Frauen konnten sich retten

Was seinen ersten Gewaltausbruch in Wädenswil auslöste, weiss die Polizei noch nicht. Um diese Frage zu beantworten, brauche es weitere Ermittlungen. «Der Vorfall in Frankfurt löste auch im Kanton Zürich grosse Betroffenheit aus», sagte Keller. «In Gedanken sind wir bei den Angehörigen.»

Der Eritreer muss sich in Deutschland nun einem Strafverfahren wegen des Tötungsdeliktes stellen. Im Kanton Zürich wird er sich danach auch noch wegen häuslicher Gewalt verantworten müssen.

Der Mann soll am Montagvormittag am Frankfurter Hauptbahnhof einen achtjährigen Knaben und dessen Mutter vor einen einfahrenden ICE gestossen haben. Die Mutter konnte sich nach dem Sturz auf einen schmalen Fussweg zwischen zwei Gleise retten. Ihr Sohn wurde vom Zug erfasst und erlag am Tatort seinen Verletzungen.

Der Angreifer versuchte zudem, eine 78-jährige Frau auf die Gleise zu stossen. Sie stürzte aber vorher und verletzte sich an der Schulter. Der Mann wurde nach kurzer Flucht von Passanten überwältigt und von der Polizei festgenommen.

Kerzen und Teddybären am Tatort

Am Tatort herrschte am Dienstag Entsetzen. Zahlreiche Menschen legten am Bahnsteig 7 des Hauptbahnhofs in Frankfurt Blumen, Kerzen und kleine Teddybären nieder.

Am Abend fand eine Andacht statt, der rund 400 Menschen beiwohnten. Der Tod des Kindes sei für die Angehörigen eine «sinnlose Katastrophe», sagte der Leiter der Frankfurter Bahnhofsmission. Er lud die Trauernden ein, sich in ein Kondolenzbuch einzutragen. Zunächst war geplant, die Andacht in der Bahnhofshalle abzuhalten, wegen des erwarteten grossen Andrangs wurde sie aber auf den Vorplatz verlegt.

In Deutschland löste der Fall eine Debatte um Sicherheit an Bahnhöfen aus. Innenminister Seehofer verlangte eine grössere Polizeipräsenz.

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