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5 Jahre vs Freispruch: Plädoyers im Baselbieter Sterbehilfe-Prozess

Die Baselbieter Sterbehelferin Erika Preisig soll wegen vorsätzlicher Tötung fünf Jahre hinter Gitter, wenn es nach der Staatsanwältin geht. Der Verteidiger plädierte wegen Mängeln des zentralen Gutachtens auf Freispruch.

Agentur
sda
04.07.19 - 14:32 Uhr
Blaulicht

Neben der unbedingten Freiheitsstrafe forderte die Staatsanwältin am Donnerstag eine bedingte Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 100 Franken. Ausserdem sei Erika Preisig ein Tätigkeitsverbot für den Bereich Sterbehilfe aufzuerlegen - die 61-jährige Ärztin ist Kopf der Sterbehilfeorganisationen Lifecircle/Eternal Spirit.

Laut Anklage hat Preisig 2016 eine nicht urteilsfähige Frau in den Tod geschickt. Basis des Vorwurfs ist ein post mortem erstelltes Gutachten von Professor Marc Graf, Direktor der Klinik für Forensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Er attestierte der Verstorbenen Urteilsunfähigkeit unter anderem wegen einer schwerer Depression.

Mittelbare vorsätzliche Tötung

Die Staatsanwältin berief sich auf eine Bundesgerichtsforderung, wonach bei psychischen Krankheiten von Sterbewilligen ein Fachgutachten zur Urteilsfähigkeit einzuholen sei. Preisig habe dies bewusst unterlassen und die Frau glauben gemacht, sie sei urteilsfähig. Die Frau selber öffnete die tödliche Infusion, weshalb rechtlich Preisig mittelbare Täterschaft vorzuwerfen sei.

Fahrlässige Tötung komme nicht in Frage, weil dabei die Täterschaft von einem guten Ausgang ausgehe; hier sei aber der Tod klares Ziel gewesen. Bei vorsätzlicher Tötung verlange das Schweizer Strafgesetz fünf bis 20 Jahre Freiheitsstrafe - das Mindestmass von fünf Jahren sei im Quervergleich «aussergewöhnlich hoch», was an «Gesetzeslücken» liege.

Die Staatsanwältin sprach von «Vermessenheit der Beschuldigten gegenüber Aussagen anderer»: So habe Preisig in diesem Fall eine Sterbehilfe-Ablehnung von Exit ignoriert und Psychiater-Diagnosen angezweifelt. Sie habe sich selber eine Einschätzung angemasst und so «klar eventualvorsätzlich» in Kauf genommen, dass die Frau nicht urteilsfähig in den Tod geht.

Weiter warf sie Preisig vor, im Umgang mit dem tödlich dosierten Stoff Natrium-Pentobarbital (NAP) wiederholt gegen Vorschriften des Heilmittelrechts verstossen zu haben. Bei solchen nicht zugelassenen Heilmitteln gälten Sonderregeln; namentlich seien Blanko-Bezug von Dosen und Umetikettierung mit anderen Patientennamen nicht zulässig.

Mit Mission Recht verletzt

Die Staatsanwältin attestierte Preisig zwar «eigentlich guten Willen»; sie sei aber «absolut uneinsichtig». Öffentlich trete sie polarisierend öffentlich auf mit ihrer Mission für eine «gute Sterbekultur». Milderungsgründe gebe es nicht; nach Bundesgericht sei auch die Absicht, ein Präjudiz herbeizuführen, kein achtenswerter Grund.

Der Verteidiger hingegen plädierte auf kostenlosen Freispruch. Das Gutachten diagnostiziere der Verstorbenen erstmals eine schwere Depression; frühere Diagnosen hätten nur mittelschwere erkannt. Zudem fehle der Zeitrahmen: Da der Gutachter selber vor Gericht einräumte, dass luzide Momente möglich seien, hätte die Frau beim Freitod doch urteilsfähig sein können.

Schon grundsätzlich sei ein reines Aktengutachten bei psychischen Krankheiten nicht zulässig, sagte der Verteidiger mit Verweis auf das Bundesgericht. Das vorliegende habe zudem relevante Lücken; so fehlten etwa Berichte des Altersheimes der Frau. Auch sei diese bei Exit gar nicht abgewiesen worden, sondern Exit habe bloss ein Attest verlangt.

Generell warf er dem Gutachter eine patriarchalische, arrogante Haltung vor, wonach Psychiater und nur diese schon wissen, was für die Leute gut ist. Grafs Motivation, das Gutachten zu machen trotz starker Arbeitslast, vermutet der Verteidiger darin, der Psychiatrie eine unverzichtbare Hauptrolle in dieser Thematik zuzuschanzen.

Urteil am Dienstag

Die Frau habe nach traumatischen Erfahrungen mit der Psychiatrie abgeschlossen gehabt, sagte der Verteidiger weiter. So sei sie nach freiwilligem Eintritt in der Klinik in Liestal «widerrechtlich festgehalten» worden. Und sie habe ein Medikament bekommen mit häufigen Nebenwirkungen, die als Symptome psychischer Beschwerden gelesen werden könnten.

Nach den Plädoyers sagte Preisig mit bebender Stimme, sie sei «mehr denn je der Überzeugung, richtig gehandelt zu haben». Jene Frau habe an körperlichen Problemen gelitten. Personen mit psychiatrischen Diagnosen seien bei Freitodbegleitungen benachteiligt. Sie hoffe, «dass dieses Verfahren hilft, Klarheit zu schaffen».

Preisig sagte, sie leide sehr unter dem Verfahren, das nun schon drei Jahre andaure. Sie habe deswegen selber psychosomatische Krankheiten, massiven Haarausfall und anderes. - Die Fünferkammer des Baselbieter Strafgerichts will ihr Urteil am kommenden Dienstag verkündigen.

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