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Sterbehelferin im Tötungsprozess: «nichts unrechtes getan»

Sie habe «nichts unrechtes getan», sagte Sterbebegleiterin Erika Preisig am Mittwoch vor dem Strafgericht Baselland zum Tötungs-Vorwurf der Anklage. Deren Gutachter sprach der Verstorbenen die Urteilsfähigkeit wegen psychischer Krankheit ab.

Agentur
sda
03.07.19 - 19:34 Uhr
Blaulicht

Die Anklage wirft der Ärztin mittelbare vorsätzliche oder fahrlässige Tötung vor, weil sie 2016 eine 67-jährige Sterbewillige ohne ausreichenden Beleg derer Urteilsfähigkeit in den Tod geschickt habe. Jene Frau hatte an starken Schmerzen gelitten und schon lange sterben wollen. Bei psychisch Kranken ist in der Schweiz für eine legale Freitodbegleitung ein psychiatrisches Gutachten nötig.

Der Gerichtspräsident hielt Preisig vor, als Hausärztin nicht die erforderliche psychiatrische Ausbildung für eine solche Begutachtung zu haben. Dennoch habe sie psychiatrische Befunde relativiert. Das Gesetz zu den Ärzte-Berufspflichten verlange, die Grenzen der eigenen Kompetenzen zu respektieren.

Preisig verwies auf ein Zweitgutachten eines Arztkollegen mit Psychiatrieausbildung. Zudem habe sie die Frau nicht als so schwer psychisch krank wahrgenommen, dass ein unabhängiges Fachgutachten unverzichtbar gewesen sei. Zudem habe die Frau selber nach schlechten Erfahrungen explizit nichts mehr mit Psychiatern zu tun haben wollen.

Gegen Sterbetourismus

Die Frau hätte ohne Freitodbegleitung einen harten Suizid begangen, argumentierte Preisig mit Verweis auf fünf erlebte solche Fälle, die sie enorm belasteten. Mit ihrer Organisation Lifecircle habe sie in 13 Jahren rund 400 Begleitungen gemacht und zuvor als Konsularärztin für Dignitas 600 Sterbewillige begutachtet. Auch habe sie in 35 Jahren Hausarztpraxis gelernt, Urteilsfähigkeit einzuschätzen.

Just letztere zentrale Frage sei ihr in diesem Fall bewusst gewesen. Rückblickend «wäre vielleicht besser gewesen», sie hätte ohne externen Psychiater diese Begleitung nicht gemacht, dann wäre ihr dieser Prozess erspart geblieben. Sie sei medizinisch systematisch vorgegangen und habe die Frau nicht weiter leiden lassen wollen.

Sie sei «weder finanziell noch emotional angewiesen» auf Freitodbegleitungen, konterte Preisig eine Bemerkung der Staatsanwältin; ihr Beruf sei Hausärztin. Auf die Gerichtsfrage nach ihrer Motivation sagte sie, sie wolle gegen den unwürdigen Sterbetourismus ankämpfen, zum Beispiel vor Gericht in Deutschland.

Psychiater-Frage

In der Schweiz das Recht in ihrem Sinne zu ändern, dazu habe sie hingegen nicht die nötigen Kapazitäten mit ihrer Kleinstorganisation. Da hoffe sie auf Exit, welche dazu in der Lage seien.

Preisig stellte sich konkret auf den Standpunkt, bei reaktiven Depressionen etwa wegen schwerer körperlicher Leiden brauche es keine Psychiater. Solche zu finden sei extrem schwierig; fast alle kniffen wegen ethischer Bedenken. Indes habe sie nach anderthalb Jahren erfolgloser Suche in diesem Fall aus Frust nicht neu gesucht.

Eine andere Position vertrat vor Gericht der Gutachter der Anklage, Professor Marc Graf, Direktor der Klinik für Forensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK): Er sieht bei schweren Depressionen wie hier grundsätzlich die Urteilsfähigkeit getrübt, auch wenn diese von körperlichen Leiden ausgelöst werden.

Kritisches Gutachten

Graf hatte die Sterbewillige rein aufgrund von Akten als nicht urteilsfähig eingeschätzt. Sie sei psychisch krank gewesen, habe an einer Somatisierungsstörung gelitten. Sie habe wohl selber gemerkt, dass sie nicht mehr konnte, dies aber nicht wahrhaben wollen. So sei eine falsche Annahme hinter ihrem Sterbewunsch gestanden.

Anhaltende Schmerzenklagen und ihren klaren Sterbenswunsch bestätigte ein Pfleger des Alters- und Pflegeheimes der Frau, der am Mittwoch als Zeuge befragt wurde. Ein 2015 vom Heim gerufener Psychiater hatte der Frau nur eine mittelschwere depressive Episode diagnostiziert, wie er als zweiter Zeuge erläuterte.

Preisigs Verteidiger versuchte mit zahlreichen Fragen Lücken in den Akten aufzuzeigen und Zweifel an einem reinen Papiergutachten samt Schlussfolgerungen zu säen. Doch für Graf war die Aktenlage ausreichend eindeutig gewesen. Die eingeholte Zweitmeinung nannte er gar «ergebnisorientiert» und «schon rein formell völlig ungenügend».

Graf beklagte massive Anfeindungen im Vorfeld dieses Prozesses, der ungewöhnlich viel Publikum anlockte. Als Gutachter sei er neutral, und moralische Wertungen seien nicht seine Aufgabe. Persönlich sei er überzeugt, dass jeder ein Recht auf assistierten Suizid habe. Sofern man urteilsfähig ist, sei dieser Wunsch zu respektieren.

«Beschämend» ist für Graf, dass trotz etablierter Gerichtspraxis zu assistiertem Suizid zu wenige Ärzte kompetent die Urteilsfähigkeit von Sterbewilligen beurteilen mögen. Die UPK biete nun solche Gutachten an.

Am Donnerstag folgen die Plädoyers von Anklage und Verteidigung; darauf berät die Fünferkammer des Strafgerichts hinter verschlossenen Türen. Ihr Urteil will sie am kommenden Dienstag verkündigen.

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