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Antisemitismus: Frankreich ringt um Kurs angesichts des Gaza-Kriegs

Die Bandbreite reicht von judenfeindlichen Farbschmierereien über Beleidigungen bis hin zu handfesten Bedrohungen: In Frankreich hat der Gaza-Krieg zu einer massiven Zunahme antisemitischer Vorfälle geführt. Ein Beispiel: Vor Kurzem beleidigte ein Jugendlicher in der Pariser Metro einen Rabbiner in arabischer Sprache und verpasste ihm dann sogar noch einen Fusstritt in den Rücken. Mehr als 1200 antisemitische Vorfälle wurden binnen fünf Wochen registriert, dreimal soviel wie im gesamten Vorjahr. Hunderte Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet.

Agentur
sda
14.11.23 - 13:35 Uhr
Politik
ARCHIV - Marine Le Pen (M.) während einer Demonstration gegen Antisemitismus in Paris. Foto: Christophe Ena/AP/dpa
ARCHIV - Marine Le Pen (M.) während einer Demonstration gegen Antisemitismus in Paris. Foto: Christophe Ena/AP/dpa
Keystone/AP/Christophe Ena

In dem Land mit der höchsten Zahl von jüdischen Einwohnern in Europa sorgt das für Empörung, Zehntausende demonstrierten am Wochenende gegen Antisemitismus. Zugleich aber ist der Islam die zweitwichtigste Religion nach dem Katholizismus und Frankreich auch das Land mit den meisten Muslimen in Europa. Dazu zählen insbesondere auch Einwohner mit Wurzeln in muslimischen Ländern, die das Schicksal der Palästinenser oft besonders berührt. Wie in Deutschland gab es etliche, meist gewaltfreie propalästinensische Kundgebungen. Auch vor diesem Hintergrund balanciert die Regierung in Paris ihren Kurs angesichts des Gaza-Kriegs besonders vorsichtig aus.

Präsident Emmanuel Macron, dem oft eine Sowohl-als-auch-Politik nachgesagt wird, die verschiedene Positionen zugleich abzudecken versucht, probt sich seit der Hamas-Attacke auf Israel in einem Spagat: Klar Position für Israel beziehen, was etwa das Recht auf Selbstverteidigung und Sicherheit angeht und zugleich legitime Belange der Palästinenser unterstützen, wie den Wunsch nach einem eigenen Staat.

Angekreidet wurde Macron in Frankreich, dass er recht spät erst nach etlichen anderen Spitzenpolitikern zu einem Solidaritätsbesuch nach Israel reiste. Dann warf er Israel ein «undifferenziertes Bombardement» in Gaza mit unnötigem Leid unter Zivilisten vor und forderte eine Waffenruhe - Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wies die Vorwürfe Macrons umgehend zurück.

Der Antisemitismus-Welle stellten sich am Sonntag in Paris mehr als 100 000 Menschen entgegen. Sie erfuhren breite politische Unterstützung. Nicht ohne Grund, denn Antisemitismus ist in Frankreich seit Jahren ein wachsendes Problem. So wanderte nach einem schweren antisemitischen Anschlag 2012 in Frankreich eine zunehmende Zahl von Juden nach Israel aus. Für Erschütterung sorgte 2018 in Paris auch der Mord an der Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll aus antisemitischen Motiven.

Auf der Pariser Kundgebung sorgte unterdessen für Streit und Augenreiben, welche Parteien im Demonstrationszug mitmarschierten - und welche nicht. So reihte sich die rechtsnationale Politikerin Marine Le Pen mit weiteren Vertretern des rechten Rassemblement National (RN) in die Kundgebung ein. Andere Parteien riefen zur Abgrenzung von Le Pen auf und RN-Vertreter wurden gedrängt sich zu positionieren, wie es um antisemitische Einstellungen von Jean-Marie Le Pen, dem Gründungsvater der rechtsextremen Partei, bestellt ist.

Unterstellt wurde Le Pen, mit ihrer Teilnahme an der Kundgebung ihren Weichspülkurs mit dem Ziel fortzusetzen, für breitere Schichten wählbar zu werden und nicht mehr mit extremen Positionen anzuecken. Rückendeckung erhielt sie allerdings aus unerwarteter Ecke. Der als «Nazi-Jäger» bekannte jüdische Historiker Serge Klarsfeld sagte der Zeitung «Le Figaro», die rechte Partei habe sich unter der Führung von Marine Le Pen gewandelt und es gebe eine Abkehr vom früheren Antisemitismus. Insofern sei die Teilnahme der Partei an der Demonstration etwas Positives.

Der Franzose Klarsfeld (88), Sohn eines in Auschwitz ermordeten Juden, hat sich gemeinsam mit seiner deutschen Frau Beate das Verfolgen von Nazi-Verbrechern zur Lebensaufgabe gemacht. Neben Simon Wiesenthal gelten die Klarsfelds als die wohl bekanntesten Verfolger von NS-Verbrechern. Klarsfeld entging als Kind 1943 selbst nur knapp der Razzia, bei der sein Vater festgenommen und deportiert wurde.

Die Linkspartei blieb der Demonstration unterdessen aus Protest gegen die rechten Teilnehmer fern - der führende Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon hatte zuvor aber auch von einer Versammlung von «bedingungslosen Unterstützern des Massakers», das sich aus seiner Sicht in Gaza abspielt, gesprochen. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel haben die Kontroversen um die politische Haltung der Linkspartei und insbesondere von Mélenchon zugenommen, die die Bezeichnung der Hamas als Terrororganisation ablehnen.

Die extreme Linke habe schon immer eine antisemitische Tradition gehabt, sagte Klarsfeld. «Ich bin erleichtert, dass das RN den Antisemitismus aufgibt und als Verteidiger der Juden auftritt, aber ich bin traurig, dass die extreme Linke ihre Aktionslinie gegen den Antisemitismus aufgibt.» Kommunisten, Sozialisten und Grüne reihten sich allerdings in den Marsch gegen Antisemitismus ein, den die Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, und Senatspräsident Gérard Larcher initiiert hatten.

Für Unverständnis bei etlichen sorgte unterdessen, dass zwar die Ex-Präsidenten François Hollande und Nicolas Sarkozy sowie ehemalige Regierungschefs bei der Kundgebung präsent waren, nicht aber der aktuelle Präsident Emmanuel Macron. Möglicherweise war dies seinem Sowohl-als-auch-Kurs und dem Wunsch geschuldet, sich nicht offen an eine Seite in dem Konflikt zu stellen. Vor der Demonstration wandte Macron sich in einem offenen Brief zum Thema Antisemitismus an die Franzosen - parallel dazu erschien aber in der britischen BBC ein Interview mit ihm mit kräftiger Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen.

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