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Nach verfrühtem Alpabzug kann ein Wolf erlegt werden

Hirten, die weinen, Hunde, die konfus sind, erschütterte Schafsbesitzer, steigender Unmut in der Bevölkerung und unbeschreibliche Schmerzen für die gerissenen Tiere.

Conradin
Liesch
02.09.22 - 10:10 Uhr
Politik
Die Schafe wurden am Montagnachmittag in Klosters Dorf verladen.
Die Schafe wurden am Montagnachmittag in Klosters Dorf verladen.
Bild Conradin Liesch

Betretene Gesichter am Montagnachmittag in Klosters Dorf: «Das ist das Ende der Alpwirtschaft!», sagt ein einheimischer Bauer. Die Wölfe haben in Klosters und Umgebung wahrlich gewütet.

Sowohl Gemeindepräsident Hansueli Roth wie auch Andreas Ruosch, Departementschef Landwirtschaft, und Georg Florin, Präsident des Bauernvereins Prättigau, sind vor Ort, als die rund 1300 Schafe hinunter ins Dorf getrieben werden. Sie haben auf die Wolfsproblematik schon lange aufmerksam gemacht, und doch sind ihnen von Gesetzes wegen die Hände gebunden – auch für sie ein trostloser Zustand.

Mit dabei sind auch unzählige Helferinnen und Helfer, die sich kurzfristig bereit erklärt hatten, dabei mitzuhelfen.

Erst übers Wochenende hatten die Tierbesitzer aus dem Luzernischen entschieden, die Alp zu räumen. Die Belastung für Mensch und Tier war zu gross geworden. Nachdem die Hirten sogar bei den Schafen im Freien übernachtet hatten, wurden in einer Nacht, als es starken Nebel hatte und es regnete, wieder Tiere gerissen. Die Zahl der toten Schafe lässt sich beziffern; wie viele allerdings unauffindbar bleiben, wird sich erst zeigen.

Doch nicht nur die Schafe wurden gejagt: «Nebenbei wurde zusätzlich das Vieh der Aebi-Alp durchstreift, sodass die Herde zur Hütte rannte, 20 Tier den Zaun durchbrachen und über den schmalen Wanderweg hinunter in das Schlappintal flohen!», erklärte ein Bauer.

Abschussberechtigung im Juli erreicht

In einer Medienmitteilung schreibt der Bündner Bauernverband: «Es ist unverständlich, warum nun auch der Kanton die Tierhalter so lange quält, bis sie gezwungen sind, sich und ihre Tiere selbst zu verteidigen oder die Alpweiden zu verlassen». Der Verband rechnete vor, wie viele gerissene Tiere es braucht, damit ein Abschuss verordnet werden kann:
mindestens 25 Nutztiere innerhalb von vier Monaten getötet;
mindestens 15 Nutztiere innerhalb von einem Monat getötet oder
mindestens 10 Nutztiere innerhalb von vier Monaten getötet, nachdem früher bereits Schäden durch Wölfe zu verzeichnen waren.

Hohe Kosten und psychische Belastung

Diese Schwellen wurden mit 61 getöteten und 13 verletzten Tieren bereits um das Sechsfache überschritten. Das heisst, bereits am 31. Juli hätte theoretisch eine Abschussbewilligung verfügt werden können. Doch vonseiten des Kantons hiess es, zuerst müsse abgeklärt werden, ob keine Jungtiere vorhanden seien – dann fällt die Kompetenz für einen Abschuss nämlich an den Bund und muss neu beurteilt werden.

Die Kosten, welche die Wölfe verursachen, sind immens: Nicht nur die der getöteten Tiere, sondern auch die DNA-Analysen, welche immer wieder gemacht werden, schlagen zu Buche: Eine Analyse kostet 300 Franken; bei 5000 bis 8000 Analysen kommt ein happiger Betrag zusammen. Doch die Bauern vor Ort beteuern, es ginge nicht in erster Linie ums Geld: Was allen Sorgen macht, ist auch der psychische Aspekt: Wie soll künftig Alppersonal gefunden werden, wenn die Hirtinnen und Hirten an keinem Morgen wissen, welches Elend sie erwartet?

Erst am Montag, nachdem die Börteralp entladen wurde, verfügte der Kanton schliesslich eine Abschussbewilligung: «Um weitere Schäden zu verhindern, verfügt der Kanton per 1. September deshalb den Abschuss eines Einzelwolfs. Die Abschussbewilligung gilt gemäss gesetzlicher Vorgabe für eine Dauer von 60 Tagen.», hiess es in einer Mitteilung.

Dass dieser Abschuss in die Zeit der Hochjagd fällt, vereinfacht die Sache keineswegs. Die zuständigen Jagdinspektoren sind dann anderweitig gefordert.

Auch wenn einer der Wölfe – es handelt sich um ein weibliches und ein männliches Tier – in der Frist erlegt werden, nützt das die Älpler nichts mehr: Ob sie im kommenden Sommer mit ihren Tieren wieder nach Klosters kommen, ist unwahrscheinlich. Und dass die Nutz­tiere gesetzlich hintenanstehen müssen, bleibt nicht nur für sie unbegreiflich.

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