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«Müssen wieder stolz sein» - Italien kippt nach rechts

Giorgia Meloni gewinnt die Wahl gegen ihre Partner Matteo Salvini sowie Silvio Berlusconi und unterstreicht ihren Führungsanspruch im rechten Lager.

Agentur
sda
26.09.22 - 07:55 Uhr
Politik

Giorgia Meloni lässt sich Zeit - sie weiss ja, dass man auf sie wartet. Erst Minuten vor Schliessung der Wahllokale gibt die Römerin ganz leger in weisser Bluse und schwarzer Lederjacke ihre Stimme ab. Und als dann klar ist, dass sie mit ihren rechtsradikalen Fratelli d'Italia die Parlamentswahl in Italien gewinnen würde, dauert es noch mal drei Stunden, bis sich die Ministerpräsidentin in spe endlich vor Hunderten Reportern der Weltpresse äussert. Schliesslich hat sie auf diesen Moment selbst lange warten müssen.

Am Sonntagabend haben Meloni und ihre «Brüder Italiens» das Land weit nach rechts gekippt. «Das ist eine Nacht des Stolzes, der Erlösung, der Tränen, der Umarmungen, der Träume, der Erinnerungen», sagt die 45-Jährige, die seit ihrer Jugend politisch aktiv ist, in ihrer Rede. Wenn diese Nacht vorbei sei, müsse aber klar sein, «dass dies nicht das Ziel, sondern der Anfang ist».

Und viele Europäer sind besorgt, was Giorgia Meloni und ihre im Faschismus verwurzelte Partei, die eine an den Diktator Benito Mussolini erinnernde Flamme im Wappen hat, nun mit Italien vorhaben. Zusammen mit ihrer Allianz, der auch die rechtspopulistische Lega und die konservative Forza Italia angehören, kommt die Römerin laut den Hochrechnungen aus der Nacht auf eine klare Mehrheit im Parlament.

Als Meloni gegen halb drei Uhr morgens auf die Bühne im noblen Grand Hotel Parco dei Principi tritt, kichert sie gelöst und winkt ihren Mitstreitern zu. Dann wird der 70er-Jahre-Hit «Il cielo è sempre più blu» von Rino Gaetano eingespielt, Meloni singt tatsächlich etwas baff eine kurze Textzeile mit. «Der Himmel wird immer blauer.»

Nach diesem Intro aber kehrt schnell der ernste Ton zurück zu Meloni, sie kann sehr streng wirken. Sie wolle die Regierung anführen, natürlich - als ob das bei den hochgerechneten Zahlen noch fraglich wäre. Meloni hat ihren Fratelli deutlich mehr Prozentpunkte verschafft als Lega und Forza Italia zusammen. «Wenn man ein Teil der Geschichte werden will, muss man Verantwortung übernehmen», sagt sie.

Im Grunde war der Ausgang der Wahl kaum noch eine Überraschung. Zu sehr hatten Meloni und ihre «Brüder Italiens» in den vergangenen Jahren zugelegt. Zuletzt profitierten sie als einzige nennenswerte Oppositionspartei von all den Unzufriedenen aus den Corona- und Kriegsmonaten, die ihnen scharenweise aus anderen Parteien zuliefen.

Vor allem die Lega, bis vor wenigen Monaten noch stärkste Kraft am rechten Rand, verspielte enorm an Glaubwürdigkeit: Weil sie einerseits als Regierungspartei den Kurs von Premier Mario Draghi mittragen musste - andererseits aber Parteichef Matteo Salvini gemäss seinem Populistennaturell immer wieder über die Massnahmen polterte. Der Absturz auf einstellige Werte - und das nur gut drei Jahre nach einem Ergebnis von mehr als 34 Prozent bei den Europawahlen 2019 - bringt Salvini auch innerhalb der Partei in grosse Schwierigkeiten.

Nun also Meloni. Die war ja noch nicht an der Reihe, dachten viele Italiener. Gleich vier ehemalige Ministerpräsidenten waren in diesem Wahlkampf aktiv, die alle in den vergangenen Jahren mindestens einmal mit ihren Regierungen gescheitert waren. Und selbst der im In- und Ausland allseits respektierte Draghi kam zu Fall. Dann soll es eben Meloni probieren, sagten einige Italiener lapidar. Nach einem oder zwei Jahren werde eh auch sie wieder abgelöst, denken andere.

In den Hauptstädten des Kontinents blickt man weniger entspannt nach Rom. Just in Zeiten, in denen die Einigkeit Europas im Kampf gegen Kremlchef Wladimir Putin und gegen die explodierenden Energiekosten als Folge des Ukraine-Krieges gefragt ist, bangen manche vor einem Ausscheren Italiens. Melonis Sieg sei «besorgniserregend», sagte Katharina Barley (SPD), die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, der «Welt».

Meloni ist eine EU-Skeptikerin, schimpfte erst im Juni über die «Bürokraten in Brüssel». Die Sanktionen der EU-Kommission gegen Ungarn und Polen kritisiert sie. Mit Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban ist sie befreundet, die polnische PiS-Partei ist im Europaparlament mit den Fratelli in einer Fraktion. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki gratuliert noch in der Nacht.

Wird Italien unter der Nationalistin Meloni der EU den Rücken kehren? Oder aus dem Euro austreten? Sprengt der Rechtsruck die ganze Union? «Unsinn» nannte die Römerin derartige Schreckensszenarien. Dazu verschickte sie im August einen Videoclip, in dem sie zur Beruhigung der europäischen Partner auf Englisch, Französisch und Spanisch sprach. Ein deutsches Video war nicht dabei - sie habe eine «gewisse Aversion gegen Deutschland», schrieb Meloni in ihrer Autobiografie.

In der Euphorie des Sieges kündigt die Fratelli-Parteichefin an, dass sie das Land einen und eine Ministerpräsidentin für alle sein wolle. Dann sagt sie: «Wir müssen wieder stolz sein, Italiener zu sein.»

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