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Razzia in «Reichsbürger»-Szene dürfte erst Anfang gewesen sein

Die Grossrazzia gegen eine mutmassliche Terrorgruppierung in der «Reichsbürger»-Szene dürfte in Deutschland noch einige Polizeieinsätze nach sich ziehen. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen.

Agentur
sda
08.12.22 - 13:53 Uhr
Politik
Ein Polizeifahrzeug steht in der Außenstelle des Bundesgerichtshof (BGH). Am 07.12.2022 gab es Razzien und Festnahmen in der Reichsbürgerszene. Beim BGH finden dazu Haftprüfungen statt. Foto: Uli Deck/dpa
Ein Polizeifahrzeug steht in der Außenstelle des Bundesgerichtshof (BGH). Am 07.12.2022 gab es Razzien und Festnahmen in der Reichsbürgerszene. Beim BGH finden dazu Haftprüfungen statt. Foto: Uli Deck/dpa
Keystone/dpa/Uli Deck

Bei den Ermittlungen wird auch geschaut, ob die Beschuldigten noch weitere Waffen versteckt haben. 19 der 25 Festgenommenen sind seit Mittwoch in Untersuchungshaft, am Donnerstag gingen die Vorführungen bei den Ermittlungsrichtern am Bundesgerichtshof in Karlsruhe weiter.

Die deutsche Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch bei einem der grössten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik in elf Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System stürzen wollte. Bei den drei anderen geht es um Unterstützung. Bis auf eine Russin haben den Angaben zufolge alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Bundesanwaltschaft sprach zudem von 27 weiteren Beschuldigten.

Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, nannte am Mittwochabend im ZDF-«heute journal» die Zahl von mittlerweile 54 Beschuldigten und sprach von mehr als 150 Durchsuchungen. Er ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus. Bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden.

Den Obleuten des Innenausschusses des Bundestages war mitgeteilt worden, bei der Razzia seien zwei Langwaffen, eine Kurzwaffe sowie Schwerter- und Armbrüste, Schreckschuss- und Signalschusswaffen gefunden worden. Diese seien nur teilweise bei mutmasslichen Mitgliedern der Gruppe gefunden worden, die eine waffenrechtliche Erlaubnis haben. Dem Vernehmen nach waren darunter auch Dienstwaffen.

Sicherheitsbehörden rechtfertigen Zeitpunkt des Zugriffs

Laut dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hatten die Sicherheitsbehörden die «Reichsbürger»-Gruppierung seit dem Frühjahr im Visier und einen recht klaren Überblick über deren Pläne. Diese seien dann immer konkreter geworden, und es seien Waffen beschafft worden, sagte er in einem ZDF-«Spezial».

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch sagte, man habe mit dem Zugriff nicht bis zum letzten Moment warten, sondern genug Beweise sammeln wollen, dass es sich um eine terroristische Vereinigung handele.

Über den Zeitpunkt des offenkundig geplanten Umsturzes gebe es zwar noch keine Klarheit, die Gruppe habe aber einen militärischen Arm, der Waffen beschaffe. «Da warten sie nicht bis zum letzten Augenblick», sagte Münch. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser warnte davor, die Gruppierung zu unterschätzen.

Gefahr durch «Reichsbürger» wird ernst genommen

An der Gefährlichkeit der Gruppierung hegt auch Terrorismusexperte Peter Neumann keine Zweifel. Von sogenannten Reichsbürgern gehe die grösste Gefahr terroristischer Gewalt aus, sagte Neumann dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). «Sie sind fähig und willig, schwere Terroranschläge gegen den Staat zu verüben.»

«Reichsbürger» sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) fortbestehe. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21 000 Anhänger zu.

Welche Rolle spielt die AfD?

Unter den Festgenommenen ist die Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Gegen sie läuft inzwischen ein Disziplinarverfahren. Dies habe das Landgericht Berlin eingeleitet, sagte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Donnerstag dem RBB-Inforadio. Als ehemalige Abgeordnete hatte Malsack-Winkemann - wie alle ausgeschiedenen Parlamentarier, die dies wünschen - Zugang zu den Gebäuden des Bundestages. Dem Bundesschiedsgericht der AfD gehört sie als Beisitzerin an. Die Festnahme habe «keine automatische Auswirkung auf Parteiämter», sagte Partei-Vize Stephan Brandner.

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sagte im Deutschlandfunk, die rechtspopulistische AfD (Alternative für Deutschland) habe sich immer weiter radikalisiert, verbreite Verschwörungsmythen und Umsturzfantasien. «Aber schlimmer noch ist: letztendlich fungiert sie wie eine Organisationszentrale, eine Schnittstelle für die Vernetzung von rechtsextremen Organisationen. Und das ist das, was diese Partei immer gefährlicher macht.»

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