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Hohe Wohnkosten treiben Oberengadiner ins Unterengadin

Im Oberengadin ist das Wohnen für viele Einheimische unerschwinglich geworden. Selbst die Mittelschicht findet in der Region mit 60 Prozent Ferienwohnungen kaum bezahlbaren Wohnraum. Ein Grossteil der Bevölkerung zweifelt daran, dass die Politik eine Lösung findet.

Südostschweiz
08.02.12 - 13:00 Uhr

St. Moritz. – An vieles hat man sich im Hochtal gewöhnt: An Feriensiedlungen, die weit die Hänge hinauf wuchern und an die von reichen Ferienhausbesitzern architektonisch gut erhaltenen, aber menschenleeren Dorfkerne mit ihren grossen Engadinerhäusern.

Genug haben zunehmend viele Oberengadiner aber davon, dass der Ausverkauf ihres Tales trotz zahlloser politischer Vorstösse und Versprechungen weitergeht. In Gesprächen mit Dorfbewohnern zeigen viele der Befragten Sympathien für die Zweitwohnungsinitiative von Franz Weber («suedostschweiz.ch» berichtete). Sie stören sich aber vor allen an der Preisspirale, die immer weiter nach oben dreht.

Preisniveau wie an Zürcher Goldküste

Studien bescheinigen der Region ein Preisniveau für Wohneigentum und Wohnmiete wie an der Zürcher Goldküste. Laut dem kantonalen Monitoring des Immobilienmarktes sind die Preise für Eigentumswohnungen von 2008 bis 2010 um 25 Prozent gestiegen. Die linksgrüne Oberengadiner Freie Liste geht für die letzten zehn Jahre gar von einer Preisverdoppelung aus. Und die UBS publizierte eine Warnung vor einer möglichen Überhitzung des Immobilienmarktes. Neben Zürich, Zug, Genf und Lausanne waren als einzige ländliche Risikoregionen Davos und das Oberengadin aufgelistet.

In St. Moritz sind Zweieinhalb-Zimmer-Wohnungen für über 2000 Franken Monatsmiete keine Ausnahme. Die ständige Bevölkerung des Nobelkurortes schrumpfte wegen der hohen Mieten von 1980 bis 2000 um einen Sechstel.

Einheimische ziehen an Dorfränder

Die dramatische Preisentwicklung treibt immer mehr Oberengadiner in eigens geschaffene Zonen für «einheimisches Wohnen» am Rand einer anderen Gemeinde. Immer häufiger ziehen sie bis in die nächstgelegene Ortschaft des Unterengadins, nach Zernez.

Dort, in einem Talkessel eine dreiviertel Zugstunde von St. Moritz entfernt, verschwindet die Sonne zwar deutlich früher hinter den Bergen als im Oberengadin, dafür sind die Wohnungen bezahlbar. So wird der Bergler im Engadin zum Pendler und das Hochtal zur Agglomeration der touristischen Zentren.

Politische Massnahmen wurden verwässert

In der Region wächst aber das Unbehagen, und das Vertrauen in die Politik schwindet. Politische Gegenmassnahmen gab es viele – im besten Fall konnten sie die Entwicklung verlangsamen. Die im Jahre 2004 von 72 Prozent der Stimmbevölkerung in den elf Oberengadiner Gemeinden beschlossene Kontingentierung des Neubaus von Zweitwohnungen wurde von der Politik jahrelang verschleppt und dann mit Ausnahmeparagrafen geschliffen.

Zudem führte die Einschränkung des Neubaus zu mehr Umnutzungen von Erst- zu Zweitwohnungen. Das treibt die Wohnkosten für Einheimische abermals in die Höhe. Eine zweite Volksinitiative der Freien Liste, die das Problem lösen will, wird zur Zeit vom bürgerlich dominierten Oberengadiner Kreisvorstand vor Bundesgericht bekämpft.

Kanton will Bundesvorschriften zuvorkommen

Neu will auch der Kanton bei der Limitierung des Zweitwohnungsbaus mitreden. Dies mit einem Richtplan, der nicht zuletzt erstellt wurde um «allfälligen zentralistischen Bundeslösungen zuvorzukommen». Die für das Oberengadin vorgesehen Einschränkungen gehen jedoch nicht so weit, wie die 2009 eingeführte Neubau-Kontingentierung. Und auch hier sind Ausnahmen vorgesehen.

Im Oberengadin wehren sich nicht nur linksgrüne Kreise gegen diese «Symptombekämpfung». Viele sehen die Lösung in einem radikalen Totalstopp für Zweitwohnungen. Die Weber-Initiative hätte im Hochtal faktisch genau das zur Folge. (sda)

Zum Dossier Zweitwohnungsinitiative gehts hier.

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