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Das Glarner Tischlein wird seit 15 Jahren gedeckt

Verschwendung bekämpfen und Gutes tun. Das macht der Verein Tischlein deck dich seit 2008 in Glarus.

Marco
Häusler
15.03.23 - 04:30 Uhr
Politik

Im Quartier Buchholz stehen ein paar Frauen vor dem Eingang zum Glarner Feuerwehrdepot. «Wir warten auf den Lieferwagen», sagt eine von ihnen. Es ist kurz nach 13 Uhr, und wie an jedem Dienstag nutzt ein meist sechsköpfiges Team des Vereins Tischlein deck dich das Feuerwehrgebäude als Abgabestelle für Lebensmittel. «Das muss man sich wie einen temporären Laden vorstellen, der einmal die Woche, während einer Stunde geöffnet ist und von freiwilligen Helferinnen und Helfern betrieben wird.» So wird das in der Mitteilung beschrieben, in der auch steht, dass sich der schweizweit tätige Verein (siehe Box) in Glarus seit 15 Jahren gegen Lebensmittelverschwendung und Armut engagiert.

«Die Idee, die dahinter steckt, gefällt mir natürlich sehr.»

Beatrix Künzli, Leiterin des Glarner Teams des Vereins Tischlein deck dich

Beatrix Künzli, die das Glarner Team leitet, ist seit elf Jahren dabei. «Die Pfarrerin Aline Keller Berger hat Beat Curtis Idee von Winterthur ins Glarnerland geholt», erzählt Künzli. In jenem Team, das die Fahrerin 2008 zusammengestellt habe, sei Künzlis Mutter dabei gewesen. «Und wie das so ist», fährt Beatrix Künzli fort, «forderte mich meine Mutter auf, ebenfalls mitzumachen.»

So rutschte die Tochter gewissermassen einfach in den Verein Tischlein deck dich hinein. «Aber die Idee, die dahinter steckt, gefällt mir natürlich», betont Künzli. Sie stehe voll hinter dem Konzept, Lebensmittel zu retten und diese an Menschen zu verteilen, denen es finanziell weniger gut gehe. «Mit Liib und Seel», wie sie sagt. An ein Aufhören habe sie denn auch noch gar nie gedacht.

Brot aus dem Glarnerland

Dann kommt der Lieferwagen und damit fängt das emsige Treiben der Frauen an. Sie sind im Glarner Team in der Mehrheit. Zu diesem gehören derzeit total 21 Helferinnen und Helfer sowie insgesamt vier interne Fahrer. Diese bringen jeweils das Brot, das in den Bäckereien Märchy in Näfels und Villiger in Netstal nicht mehr verkauft werden kann, aber wie alle anderen Lebensmittel auch noch von einwandfreier Qualität ist. Dazu kommen oft weitere Spenden aus der Region, während der Lieferwagen aus Winterthur jene Esswaren von Detaillisten bringt, die in sieben Zentren gesammelt werden. Die Lieferung aus Zürich umfasst Salat, Gemüse, Früchte, Milchprodukte, Getränke oder auch Bratensosse und Fleisch, wobei beim Schweinefleisch darauf geachtet wird, dass es nicht an Menschen abgegeben wird, für die es aus religiösen Gründen tabu ist.

Abgabe in drei Kategorien

Beim Ausladen und Abpacken helfen die Chauffeure und Fahrerinnen mit. Auch Beatrix Künzli hält jetzt nichts mehr auf dem Stuhl. Die Tagesleitung hat sie an diesem Dienstag zwar an eine Kollegin delegiert, aber neugierige Fragen kann sie auch später noch beantworten. Die Arbeit geht vor.

«Wir betrachten die Leute als Kundschaft.»

Beatrix Künzli, leitet das Glarner Team des Vereins Tischlein deck dich

Künzli übernimmt unter anderem das Abfüllen von Tiefkühl- und Milchprodukten in Kühltaschen. «Die Kühlkette darf ja nicht unterbrochen werden», erklärt sie, während sie ihre Arbeit mit flinken Händen routiniert verrichtet. Überhaupt geht alles blitzschnell. Die Taschen wurden schon am Morgen auf langen Tischen ausgebreitet. Sie werden so oft wie möglich wiederverwendet und jetzt in drei Kategorien befüllt. Die Mengen richten sich nach der Grösse der Haushalte, in die sie abgegeben werden.

Immer eine Wundertüte

Ganz gratis gibt es aber nichts. Wer Waren abholen möchte, braucht eine Kundenkarte. Ausgestellt wird sie nach Prüfung der finanziellen Verhältnisse von kantonalen Sozialfachstellen. Und jeder Bezug von Lebensmitteln kostet symbolisch einen Franken. «Wir betrachten die Leute als Kundschaft», erklärt Künzli. Diese bestehe etwa zur Hälfte aus Migrantinnen und Migranten, zur anderen aus Schweizerinnen und Schweizern. Erst langsam kommen laut Künzli in letzter Zeit auch Menschen dazu, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind.

Alle bekommen, was zuvor angeliefert wurde. Das ist immer eine Wundertüte. «Heute haben sie es etwas sehr gut gemeint mit dem Süsskram», kommentiert eine der Helferinnen. Auch Künzli findet Süssigkeiten nicht unbedingt gesund. Aber nach ihrer Erfahrung fördern sie zwischenmenschliche Kontakte, weil sich Leute gegenseitig zu Kaffee mit Süssem einladen. «Das ist ja auch schön», findet Künzli.

Als Leiterin des Glarner Teams arbeitet sie wie alle anderen Mitglieder unentgeltlich. Wie viele Arbeitsstunden das ergibt, hat sie sich noch gar nie überlegt.

Überlegen musste man sich bei Tischlein deck dich während der Coronazeit jedoch einen Systemwechsel zur Abgabe der Lebensmittel. In Glarus wird daran immer noch festgehalten, obschon die Pandemie überstanden ist. So strömen die Leute nicht mehr einfach irgendwann zwischen 14.30 und 15.30 Uhr in den «temporären Laden». Stattdessen werden sie gestaffelt aufgeboten und erhalten ihre Waren an einem Tisch vor dem Feuerwehrlokal. Und so stehen dort kurz nach 14 Uhr schon wieder wartende Menschen. Nun sind es Kundinnen und Kunden.

Der Verein, das Glarner Team und seine Leiterin

Der Verein Tischlein deck dich wurde 1999 aus der ehemaligen Bon Appétit Group gegründet. Er hat seine Geschäftsstelle in Winterthur und wird ausschliesslich mit Spenden finanziert. Über die 150 Abgabestellen in der ganzen Schweiz werden jede Woche gegen 31’400 Menschen mit Lebensmitteln versorgt. So wurden im Jahr 2022 fast 6000 Tonnen verteilt, was gegen 15 Millionen Tellern à 400 Gramm entspricht. Das Glarner Team des Vereins unterstützt wöchentlich rund 160 Personen und verteilte 2022 fast 33 Tonnen Lebensmittel. Geleitet wird es von der 59-jährigen Beatrix Künzli, die auch als Märchenerzählerin und Tagesmutter tätig ist. Beim Besuch der «Glarner Nachrichten» standen neben Künzli diese freiwilligen Helferinnen im Einsatz:• Christine Rotzer, • Magdalena Mouron, • Margrit Marti, • Monika Reding, • Regula Müller.Verteilt wurden an jenem Dienstag total gut 850 Kilogramm Lebensmittel. Bleibt etwas übrig, wird das jeweils dem Verein Ässä fair teilä Glarnerland übergeben. Auch dieser wehrt sich gegen Foodwaste, überlässt gerettete Lebensmittel aber allen, die solche Esswaren wollen. (mar)

Marco Häusler ist Dienstchef der Zeitungsredaktion «Glarner Nachrichten». Er absolvierte den zweijährigen Lehrgang an der St. Galler Schule für Journalismus und arbeitete bei der ehemaligen Schweizerischen Teletext AG und beim «Zürcher Unterländer», bevor er im Februar 2011 zu Somedia stiess. Mehr Infos

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