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«Nicht Schottlands Lehensherr»: Wahl befeuert Unabhängigkeitsdebatte

Mit einem Sieg bei der Parlamentswahl in Schottland vor Augen hat die Regierungspartei SNP den Druck auf London für ein neues Unabhängigkeitsreferendum erhöht.

Agentur
sda
08.05.21 - 18:05 Uhr
Politik
Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), kommt nach der Wahl zum Regionalparlament in Schottland zur Stimmauszählung in die Emirates Arena. Foto: Jane Barlow/PA Wire/dpa
Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei (SNP), kommt nach der Wahl zum Regionalparlament in Schottland zur Stimmauszählung in die Emirates Arena. Foto: Jane Barlow/PA Wire/dpa
Keystone/PA Wire/Jane Barlow

Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte an, eine Volksabstimmung voranzutreiben, falls es im Parlament dafür eine Mehrheit gibt. Ihre Schottische Nationalpartei (SNP) steuerte am Samstag auf einen klaren Wahlsieg zu. Eine absolute Mehrheit galt als ungewiss. Gemeinsam mit den Grünen sollte es im Parlament jedoch zu einer Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter reichen. Der britische Premierminister Boris Johnson lehnte ein neues Referendum abermals ab.

Eine neue Volksbefragung sei «unverantwortlich und rücksichtlos», sagte Johnson der Zeitung «Daily Telegraph» (Samstag). «Jetzt ist nicht die Zeit, verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen zu führen und darüber zu sprechen, unser Land auseinanderzureissen, wenn es den Menschen doch vielmehr darum geht, unsere Wirtschaft zu heilen und gemeinsam voranzukommen.» Ohne Zustimmung aus London - so die Meinung der meisten Experten - wäre ein Referendum nicht rechtens. Doch das Ergebnis der Parlamentswahl könnte den Druck auf Johnson erhöhen, eine erneute Volksabstimmung zuzulassen.

Falls die SNP keine absolute Mehrheit erreiche, werde dies Johnson in die Hände spielen, sagten britische Medien voraus. Hingegen betonen SNP und parteinahe Experten, dass nicht das SNP-Ergebnis allein entscheidend sei. Wichtig sei eine Mehrheit im Parlament. «Boris Johnson ist nicht irgendeine Art Lehensherr von Schottland», sagte Vize-Regierungschef John Swinney. Das schottische Wahlsystem sieht Ausgleichsmandate für schwächere Parteien vor. Das erschwert eine absolute Mehrheit im Parlament von Edinburgh.

Das endgültige Ergebnis in dem britischen Landesteil wurde für den späten Samstagnachmittag erwartet. Wegen der Corona-Pandemie hatte die Auszählung der Abstimmung vom Donnerstag erst am Freitag begonnen und war über Nacht unterbrochen worden. Die SNP lag dabei auf Kurs: Im Vergleich zur Abstimmung 2016 gewann sie bereits drei zusätzliche Wahlkreise. Für eine absolute Mehrheit müsse sie aber noch weitere Wahlkreise erobern und zudem auf Listenplätze in konservativ geprägten Gegenden hoffen, so der Experte John Curtice.

Dominierendes Wahlkampfthema war die Unabhängigkeit. Curtice beobachtete taktische Abstimmungen in mehreren Wahlkreisen: Dort hätten Anhänger einer Union mit Grossbritannien oft nicht für ihre eigentliche Partei gestimmt, sondern für den Vertreter der Unabhängigkeitsgegner mit der grössten Siegeschance. Die Wahlbeteiligung war mit 63,7 Prozent so hoch wie nie zuvor. Vielerorts gab es lange Schlangen vor Wahllokalen.

Möglicherweise entscheidet schliesslich der Oberste Gerichtshof über ein Referendum. Sturgeon bekräftigte im Sender Channel 4, sie werde ein Gesetz für eine neue Volksabstimmung einbringen. «Wenn Boris Johnson das stoppen will, muss er vor Gericht gehen. In fast jeder anderen Demokratie wäre dies eine absurde Debatte. Falls die Menschen in Schottland für eine Pro-Unabhängigkeitsmehrheit im schottischen Parlament gestimmt haben, hat kein Politiker das Recht, dem im Wege zu stehen.» Die SNP peilt ein Referendum bis Ende 2023 an.

Die britische Regierung betont, die Unabhängigkeitsfrage sei 2014 geklärt worden. «Es wäre unverantwortlich, ein weiteres Referendum und eine weitere Debatte über die Verfassung zu führen, wenn wir uns auf den Weg aus dieser Pandemie machen und uns auf die wirtschaftliche Erholung konzentrieren sollten», sagte Kabinettsmitglied George Eustice dem Sender Times Radio. Die SNP beharrt hingegen darauf, dass sich die Ausgangslage durch den Brexit verändert habe. Die Schotten hatten einen EU-Austritt mehrheitlich abgelehnt, wurden aber überstimmt.

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