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Eskalation im Impfstreit: London bestellt EU-Diplomatin ein

Nach einer Eskalation im Impfstoff-Streit mit der Europäischen Union hat Grossbritannien die derzeitige EU-Vertreterin in London am Mittwoch ins Aussenministerium einbestellt. Dies gilt im diplomatischen Umgang als scharfe Form des Protests.

Agentur
sda
10.03.21 - 15:16 Uhr
Politik
Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien. Foto: Ian West/PA Wire/dpa
Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien. Foto: Ian West/PA Wire/dpa
Keystone/PA Wire/Ian West

Was dabei herauskam, blieb zunächst offen. Hintergrund ist Kritik von EU-Ratspräsident Charles Michel an einer angeblichen Sperre für den Export von Impfstoffen gegen das Coronavirus aus Grossbritannien. London nennt dies eine «Falschbehauptung».

Der britische Premierminister Boris Johnson sagte in London: «Wir haben nicht einmal den Export einer einzigen Covid-19-Impfung blockiert.» Grossbritannien verurteile «Impf-Nationalismus in all seinen Formen». Alle Verweise auf ein Exportverbot oder Einschränkungen für Impfstoffe seien komplett falsch, hiess es zuvor schon von einem Regierungssprecher. Ein gleichlautendes Schreiben schickte Aussenminister Dominic Raab an Michel. Der Ratspräsident werde mit einem offiziellen Schreiben antworten, teilte die EU-Vertretung in London mit.

Der ehemalige belgische Regierungschef hatte in seinem Newsletter am Dienstag das EU-Programm zur Impfstoffbeschaffung verteidigt. Behauptungen, die EU betreibe Impf-Nationalismus seien schockierend, schrieb Michel. Beispielsweise stamme der grösste Teil des in Israel verabreichten Impfstoffs aus Belgien. Die EU habe nie aufgehört zu exportieren.

Anders sei das in den USA und Grossbritannien. «Das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten haben eine regelrechte Sperre verhängt für den Export von Impfstoffen oder Impfstoff-Komponenten, die auf ihrem Gebiet produziert werden», schrieb Michel. Als Reaktion auf die scharfe Kritik aus London schrieb Michel später auf Twitter, es gebe «verschiedene Wege, um Sperren oder Beschränkungen für Impfstoffe/Medikamente einzuführen».

Tatsächlich beklagen EU-Vertreter seit Wochen, dass faktisch nur aus der EU in grossem Massstab Corona-Impfstoff in Drittstaaten exportiert werde. «Politisch hat Michel Recht, auch wenn seine Wortwahl nicht ganz präzise war», sagte der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Grossbritannien verfolge mit dem «Oxford-Impfstoff» von Astrazeneca eine «UK-First»-Politik («Vereinigtes Königreich zuerst»).

Das Unternehmen begründe seinen grossen Rückstand bei Lieferungen an die EU genau damit: «Sie sagen, sie haben einen Uk-First-Vertrag», sagte Liese. «Erst wenn es genug für Grossbritannien gibt, sind sie bereit zu exportieren.» Doch sei zumindest noch im Januar Astrazeneca-Impfstoff aus der EU nach Grossbritannien gegangen: nicht geringe Mengen, die in einem Werk bei Dessau in Deutschland abgefüllt worden seien. «Johnson verhält sich wie Donald Trump», kritisierte Liese. «Und er sollte nicht wütend werden, wenn man darauf hinweist.»

Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber griff den britischen Aussenminister Raab scharf an. Statt die EU zu belehren solle Raab offenlegen, viel Impfstoff Grossbritannien nach Europa und in andere Regionen exportiert habe. In den vergangenen Monaten seien acht Millionen Impfdosen von Biontech/Pfizer nach Grossbritannien gegangen. «Wie viele Impfungen haben Sie nach Europa gesendet?»

London hatte Brüssel kürzlich wegen des Stopps einer Lieferung von Astrazeneca-Impfstoff aus Italien an Australien kritisiert. Die EU hatte einen Export-Kontrollmechanismus eingeführt, nachdem das Unternehmen seine Lieferzusage erheblich gekürzt hatte. Grossbritannien ist von den Lieferproblemen nicht betroffen. Nach Angaben von Geschäftsführer Pascal Soriot hat sich London in seinem Vertrag ausbedungen, dass die Werke auf britischem Boden zuerst nur für den britischen Markt produzieren dürfen.

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