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Missbrauchsskandale und Frauenproteste: Polens Kirche unter Druck

Es gibt viele Bilder, die den polnischen Kardinal Stanislaw Dziwisz zusammen mit Papst Johannes Paul II. zeigen. Der heute 81-Jährige war von 1978 bis 2005 der persönliche Sekretär des Pontifex. Er hielt ihm den Regenschirm, er zupfte seinen roten Umhang zurecht, er fing ihn auf, als er 1981 nach den Schüssen des Attentäters Ali Agca schwer verletzt zusammenbrach. In Polen gilt Dziwisz, der nach seiner Zeit im Vatikan Erzbischof von Krakau war, als Legende. Doch die beginnt nun zu bröckeln.

Agentur
sda
18.11.20 - 10:22 Uhr
Politik
ARCHIV - Kardinal Stanislaw Dziwisz, langjähriger Sekretär des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. feiert die heilige Messe zur Einweihung des Weltjugendtags. Foto: Radek Pietruszka/PAP/dpa
ARCHIV - Kardinal Stanislaw Dziwisz, langjähriger Sekretär des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. feiert die heilige Messe zur Einweihung des Weltjugendtags. Foto: Radek Pietruszka/PAP/dpa
Keystone/PAP/Radek Pietruszka

Kürzlich zeigte der polnische Sender TVN24 den Dokumentarfilm «Don Stanislao». Darin wird Dziwisz beschuldigt, als rechte Hand von Johannes Paul II. Vorwürfe über kirchliche Würdenträger wegen sexuellen Missbrauchs weltweit unter den Teppich gekehrt zu haben. Der Kardinal bestreitet die Vorwürfe. Doch die polnische Bischofskonferenz ist auf Abstand zu ihm gegangen. Der Fall wirft ein Licht auf den Zustand der katholischen Kirche in Polen, die massiv an gesellschaftlichem Rückhalt verloren hat und an mehreren Fronten unter Druck geraten ist.

So steht die Kirche auch im Fokus der seit Wochen anhaltenden Proteste gegen eine Verschärfung des Abtreibungsverbots. Kirchen wurden beschmiert, Gottesdienste gestört, Priester angegriffen. Die Organisation Allpolnischer Frauenstreik fordert nicht nur ein liberaleres Abtreibungsrecht, sondern auch einen «weltlichen Staat».

Ausgelöst wurden die Proteste durch die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, dass schwangere Frauen ihr Kind auch dann nicht abtreiben dürfen, wenn es schwere Fehlbildungen aufweist. Doch ein Teil der Wut traf die katholische Kirche. «Das Urteil wird mit der moralischen Agenda der Kirche verbunden», erklärt der Publizist und Kirchenexperte Tomasz Terlikowski. In der polnischen Öffentlichkeit dominiere zudem die teils begründete, teils übertriebene Überzeugung, dass die nationalkonservative PiS-Regierung sehr eng mit der katholischen Kirche vernetzt sei. Diese Allianz kostet die Kirche nun Zustimmung.

«Die Kirche verliert in Blitzgeschwindigkeit Gläubige», titelte die Zeitung «Rzeszpospolita» in dieser Woche und veröffentlichte eine Umfrage, wonach nur ein gutes Drittel der Polen das eigene Verhältnis zur Kirche als positiv bezeichnet. Insgesamt zwei Drittel nannten ihr Verhältnis dagegen negativ oder neutral. Besonders ausgeprägt ist die Abkehr von der Kirche unter jungen Menschen. Von den Befragten zwischen 18 und 29 Jahren gab fast die Hälfte (47 Prozent) an, sie hätten ein negatives Verhältnis zur Kirche - nur 9 Prozent nannten es positiv.

«Wir beobachten eine tiefe Krise der katholischen Kirche in Polen», sagt der Geistliche Andrzej Kobylinski, der an der Kardinal-Wyszynski-Universität in Warschau Ethik lehrt. Die traditionelle Form des polnischen Katholizismus verschwinde langsam «in der Mottenkiste». Der wichtigste Grund für die schwindende Glaubwürdigkeit der Kirche seien die «endlosen Sitten- und Pädophilie-Skandale».

In den vergangenen Wochen hat der Vatikan den Bischof von Kalisz suspendiert und später zum Rücktritt gezwungen, eine Untersuchung gegen den emeritierten Erzbischof von Danzig eingeleitet und dem Kardinal Hendryk Gulbinowicz öffentliche Auftritte verboten - inzwischen ist er verstorben. Der jüngste Dokumentarfilm mit den Vertuschungsvorwürfen gegen den Papst-Vertrauten Kardinal Dziwisz befeuert die Debatte in Polen nun erneut.

«Katholische Laien, Priester und die übrige Welt erwarten von der Kirche einen klaren Standpunkt: Sie soll aufklären, was passiert ist und sich klar und entschieden entschuldigen», sagt der Publizist Terlikowski. Polen müsse dringend eine unabhängige Kommission einberufen, die das Problem der Pädophilie im Klerus in den Jahren seit 1945 gründlich aufarbeite, fordert der Ethik-Professor Kobylinski. «So wie es in Deutschland, Frankreich und Irland bereits geschehen ist». Nur dann könne die katholische Kirche auch in Polen einen Teil ihrer verlorenen Glaubwürdigkeit wieder zurückgewinnen.

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