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Nationalrat stimmt präventiven Massnahmen gegen Gefährder zu

Meldepflicht, Rayon- und Ausreiseverbot, Hausarrest: Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat präventive Massnahmen beschlossen, mit welchen die Polizei terroristische Gefährder in Schach halten soll.

Agentur
sda
19.06.20 - 09:08 Uhr
Politik
Hausarrest für potenzielle Terroristen: Der Nationalrat hat den präventiven Massnahmen gegen terroristische Gefährder zugestimmt. (Archivbild)
Hausarrest für potenzielle Terroristen: Der Nationalrat hat den präventiven Massnahmen gegen terroristische Gefährder zugestimmt. (Archivbild)
KEYSTONE/DPA/SUSANN PRAUTSCH

Die grosse Kammer hat die am Donnerstagabend unterbrochene Debatte am Freitagmorgen abgeschlossen. In der Gesamtabstimmung nahm er das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus mit 111 zu 86 Stimmen an.

Die präventiven Massnahmen kommen zum Zug, wenn das Strafrecht noch nicht greift, weil keine strafbare Handlung vorliegt. Sie nehmen sogenannte Gefährder ins Visier. Das sind gemäss dem Gesetz Personen, bei welchen aufgrund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass sie eine terroristische Aktivität ausüben werden.

Ihnen kann das Bundesamt für Polizei (Fedpol) Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Kontakt- und Rayonverbote, Hausarrest oder Ausreiseverbote auferlegen. Die präventiven Massnahmen gegen Gefährderinnen und Gefährder sind subsidiär: Sie dürfen nur angewendet werden, wenn die Gefahr nicht mit therapeutischen, integrativen oder anderen Massnahmen abgewendet werden kann.

Streit um Menschenrechte

Nach Ansicht von SP, Grüne und GLP verstossen die Massnahmen gegen unschuldige Personen gegen die Menschenrechte. Wenn eine Gesellschaft Freiheitsrechte zugunsten von mehr Sicherheit aufgebe, verliere sie am Ende beides, warnten die Gegner. Damit hätten die Terroristen ihr Ziel bereits erreicht.

Für die bürgerliche Mehrheit des Nationalrats war der Handlungsbedarf jedoch ausgewiesen. Mit den präventiven Massnahmen könnten «Menschenleben gerettet werden», sagte Kommissionssprecher Mauro Tuena (SVP/ZH). Die Rede war auch von «legitimer Verteidigung» gegen den Terrorismus.

Trotz der Intervention von Uno- und Europarats-Repräsentanten glaubte die Mehrheit auch nicht, dass die Massnahmen gegen menschenrechtliche Verpflichtungen der Schweiz verstossen. Sie beriefen sich auf ein Gutachten im Auftrag von Bund und Kantonen. Dieses war zum Schluss gekommen, dass die Massnahmen im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) umgesetzt werden können.

Kinder im Visier

Das gilt insbesondere für den umstrittenen Hausarrest. Dazu haben National- und Ständerat zahlreiche Ausnahmen beschlossen: Gefährder sollen das Haus für Erwerbs- und Bildungszwecke, die Ausübung der Glaubensfreiheit oder wegen familiärer Verpflichtungen verlassen dürfen. Zudem muss der Hausarrest vorab von einem Gericht geprüft werden - im Gegensatz zu allen anderen Massnahmen, die dem Gericht erst nachträglich vorgelegt werden können.

Zu reden gab auch, dass die Massnahmen schon gegen Kinder verhängt werden können. Hausarrest kann 15-Jährigen auferlegt werden, Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Rayon- und Ausreiseverbote bereits 12-Jährigen. Gemäss dem Gutachten ist das mit der Uno-Kinderrechtskonvention vereinbar.

Aus «unzähligen» Fällen in Europa wisse man, dass Terroranschläge auch von Minderjährigen ausgeführt würden, sagte Kommissionssprecher Tuena. Die links-grüne Minderheit warnte vergebens, dass sich Kinder dadurch erst recht radikalisieren könnten. Die Massnahmen gegen Kinder seien «der Schweiz nicht würdig», sagte Franziska Roth (SP/SO).

Keine Präventivhaft

Abgelehnt hat der Nationalrat die von der vorberatenden Kommission beantragte Präventivhaft. Damit sollten Personen aus dem Verkehr gezogen werden können, die zu Gewalt und Terror aufrufen, Terror finanzieren oder diesen unterstützen. Die Kommission störte sich nicht daran, dass sich die Präventivhaft nicht mit der EMRK verträgt. Damit könnten «Menschenleben gerettet werden», erklärte Tuena.

Beat Flach (GLP/AG) hingegen sprach von «totaler Willkür». Auch Justizministerin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, dass die Präventivhaft die EMRK verletze. Die Mehrheit des Rats folgte dem Argument und lehnte die Massnahme mit grosser Mehrheit ab.

Überwachen und Strafen

Mit der Vorlage wird auch die Überwachung ausgebaut: Das Fedpol soll die Befugnis erhalten, im Internet, in Messenger-Diensten und sozialen Medien verdeckt Fahnderinnen und Fahnder einsetzen zu können. Solche Ermittlungen unter falscher Identität dürfen nur im Zusammenhang mit schweren Straftaten durchgeführt werden, bei denen der Bund für die Strafverfolgung zuständig ist.

Parallel zu den präventiven Massnahmen wird das Strafrecht verschärft. Der Nationalrat hat diese Vorlage am Dienstag gutgeheissen. Im Zentrum steht eine neue Terrorismus-Strafnorm. Diese stellt das Anwerben, die Ausbildung und Reisen im Hinblick auf einen Terrorakt unter Strafe. Beide Vorlagen gehen nun zurück an den Ständerat.

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