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«Es geht um komplexe Behandlungen mit kleinen Fallzahlen»

Erstmals in der Schweiz wollen fünf Kantone ihre Spitalversorgung gemeinsam planen. Den ersten Schritt dazu haben die Gesundheitsvorstände aus beiden Appenzell, Graubünden, St. Gallen und Glarus gestern getan. Was die Gründe für diese Zusammenarbeit sind, erklärt der Glarner Regierungsrat Rolf Widmer im Interview.

Marco
Häusler
27.02.20 - 04:30 Uhr
Politik
SCHWEIZ GESUNDHEITSVERSORGUNG
Der Glarner Regierungsrat Rolf Widmer nimmt Stellung, weshalb fünf Kantone in der Gesundheitsversorgung zusammenarbeiten.
MARCO HÄUSLER

Warum wollen beide Appenzell, St. Gallen, Graubünden und Glarus zusammenarbeiten? Aus Glarner Sicht hätten sich vielleicht ja auch die Nachbarkantone Uri und Schwyz angeboten? Mit Uri haben wir keine Berührungspunkte; mit Schwyz sind gewisse im stationären Bereich mit dem Spital Lachen auszumachen. Das ist aber der einzige Berührungspunkt. Mit Graubünden und dem dortigen Kantonsspital arbeiten wir schon länger intensiv zusammen, und mit St. Gallen haben wir diverse Berührungspunkte. So lässt sich die Bevölkerung am Kerenzerberg zum Beispiel häufig im Spital Walenstadt behandeln, und wir beobachten Patientenströme aus dem Glarnerland ins Spital Uznach. Mit den beiden Appenzell sind die Berührungspunkte eher klein. Mit allen fünf Kantonen sind wir aber auch in der Gesundheitsdirektorenkonferenz Ost. Wir wollen uns an den funktionalen Räumen orientieren, in die unsere Haupt-Patientenströme fliessen.

Aber braucht Glarus diese Zusammenarbeit überhaupt?

Wir brauchen sie vor allem im spezialisierten Bereich. Die Grundversorgung – und das gilt für alle fünf Kantone – müssen wir überall gewährleisten. Das steht auch im Gesundheitsgesetz. Wir haben von der Landsgemeinde den Auftrag, alle Leistungen im Kantonsspital zu erbringen, welche die Bevölkerung im grösseren Ausmass nachfragt. Aber es gibt eine Reihe von spezialisierten Therapien oder Behandlungsmöglichkeiten, bei denen wir wenige Fallzahlen haben, für die wir eine Zusammenarbeit brauchen.

Diese soll aber nicht zu mehr, sondern zu gleich vielen Fallzahlen führen, trotzdem soll gespart werden. Wie geht das auf? Weil wir heute die Situation haben – auch wenn das nicht gerne gehört wird – dass wir eine Überversorgung haben. Fachgesellschaften von Ärzten sagen, dass 20 bis 30 Prozent der durchgeführten Behandlungen oder Therapien in der Schweiz den Patienten letztlich gar nichts nützen, ihnen keine höhere Lebensqualität bringen. Wir müssen diese Überbehandlung darum in den Griff bekommen, indem wir das mit den anderen Kantonen koordinieren. Wenn wir das alleine tun, wird andernorts vielleicht eine Rückenoperation durchgeführt, weil dort gerade ein Bett frei ist, dem Patienten das aber gar nichts bringt. Das ist das grosse Problem im Gesundheitswesen.

Ähnlich wie auf nationaler Ebene zum Beispiel mit der Herzchirurgie sollen sich im Zug der Zusammenarbeit Spitäler auf gewisse Dinge spezialisieren. Was könnte das in Glarus sein? Nochmals: Die Grundversorgung wird überall bleiben. Es geht um komplexe Behandlungen mit kleinen Fallzahlen. Das müssen wir uns genau anschauen; vor allem mit dem angrenzenden Gebiet in St. Gallen; ob es da einen gewissen Austausch geben könnte. Es braucht Kompromisse. Es wird kein Kanton dazu bereit sein, etwas abzugeben, ohne etwas dazu zu bekommen. Es muss ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen sein.

Wie weit soll die Zusammenarbeit gehen? Wäre auch der Austausch von Personal oder zum Beispiel der gemeinsame Einkauf von Medikamenten denkbar? Ja, absolut. Wir müssen auch darüber nachdenken. So haben wir ja zum Beispiel auch Fachkräftemangel, der sich im Spital Glarus schon jetzt deutlich bemerkbar macht. Ich träume immer noch ein wenig von einer Spitalgruppe Südostschweiz, die diesen Namen verdient, in der man sich wirklich austauscht – auch beim Einkauf. Das hat aber nicht unbedingt mit der Planung zu tun. Das müssen wir uns noch genauer ansehen. Denn das würde für die Bevölkerung und für die Leistungserbringer viel bringen. (mar)

Marco Häusler ist Dienstchef der Zeitungsredaktion «Glarner Nachrichten». Er absolvierte den zweijährigen Lehrgang an der St. Galler Schule für Journalismus und arbeitete bei der ehemaligen Schweizerischen Teletext AG und beim «Zürcher Unterländer», bevor er im Februar 2011 zu Somedia stiess. Mehr Infos

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