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In Brighton hätte man sich anderen Ausgang gewünscht

Seit meiner letzten Kolumne sind einige Wochen vergangen. Es war auch erstaunlich ruhig, nachdem keine Einigung zum Brexit-Austrittsverfahren Ende Oktober erzielt worden war.

Südostschweiz
16.12.19 - 04:30 Uhr
Politik
Weihnachtsbeleuchtung in Brighton: Der Wunsch nach Frieden erleuchtet die Strassen.
Weihnachtsbeleuchtung in Brighton: Der Wunsch nach Frieden erleuchtet die Strassen.
LISA MARTI

von Lisa Marti*

Es wurde jedoch immer wieder gewitzelt, dass in 200 Jahren der/die Premierminister/in von England wie jedes Jahr nach Brüssel fahren werde, um eine Verlängerung des Brexits zu verhandeln. Niemand weiss mehr genau wann und wieso diese Brexit-Tradition entstanden sei, sie werde aber jedes Jahr durchgeführt und sei eine grosse Touristenattraktion.

Vor und mit den Wahlen rückte das Thema dann aber wieder mehr in den Vordergrund. Brexit war das dominierende Thema der Wahlen – bei den Tories (den Konservativen) gefühlt sogar das einzige Thema. Jetzt ist das Ergebnis ausgezählt. In Brighton ist es schwierig, den Erdrutschsieg der Konservativen zu verstehen. Brighton hat mit einem sehr klaren Resultat die einzige grüne Abgeordnete gewählt. Meine Freunde versuchen, sich den Sieg der Konservativen mit der Brexit- Müdigkeit zu erklären. Sie vermuten, dass viele Engländer/innen endlich den Brexit über die Bühne haben wollen. Dabei weiss man eigentlich, dass der Brexit noch lange nicht vorbei ist, wenn das Austrittsverfahren geregelt ist. Jahrelange Verhandlungen erwarten das UK und die EU. Auch die Fragen zur Grenze in Nordirland und zu einem möglichen weiteren Unabhängigkeitsreferendum von Schottland werden nicht einfach aus der Luft verschwinden.

Ein weiterer Diskussionspunkt, der durch die Wahlen aufkam und in meinem Freundeskreis diskutiert wird, ist die Frage des Wahlsystems in England. Die Electoral Reform Society (Wahlreformgesellschaft) hat ausgerechnet, dass es fast 865 000 Stimmen braucht für eine grüne Abgeordnete, um gewählt zu werden, aber nur 38 000 Stimmen pro Abgeordnete/r der Konservativen. Das englische Mehrheitswahlsystem führt somit dazu, dass sehr viele Wähler/innen nicht repräsentiert sind. Sie fordern daher ein proportionales System. Dies ist jedoch überhaupt nicht im Interesse der beiden grossen Parteien – insbesondere der Konservativen – und hat daher wohl kaum Chancen in den nächsten fünf Jahren.

England erwarten schwierige fünf Jahre. Das Land ist sehr gespalten. Meine Freunde (mehrheitlich Labour- oder Grüne-Wähler/innen) fürchten sich vor den nächsten fünf Jahren unter Boris Johnson. Zum Beispiel ist eine zunehmende Armut bereits jetzt sehr sichtbar in England. Ich begegne in Brighton jeden Tag einer Reihe von Obdachlosen, oft auch jungen Leuten und Frauen. Trotzdem wird die Hoffnung nicht aufgegeben. Ein guter Freund von mir, Arzt und Studienkollege, formulierte dies am Wahltag in den folgenden sehr treffenden Worten: «Was auch immer heute geschieht, wir müssen in Solidarität und Gemeinschaft vorankommen. Wir müssen für soziale Gerechtigkeit, Gesundheitsgerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und Migrantengerechtigkeit handeln und zusammenkommen. Man kann das eine nicht ohne das andere haben. Wir müssen uns gegen die Systeme der Unterdrückung stellen und sie abschaffen, damit wir beginnen können, eine Gesellschaft und Welt neu zu gestalten, die in Liebe und Gerechtigkeit verwurzelt ist.» Mit diesen Worten wünsche ich Ihnen allen eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

* Lisa Marti ist 27-jährig, Glarnerin und absolviert ihren Master im Bereich Entwicklungszusammenarbeit mit Spezialisierung «Power, Participation and Social Change» an der University of Sussex in Brighton, England. Sie wird in dieser Zeit in loser Folge für die «Glarner Nachrichten» Kolumnen zum Brexit schreiben. (red)

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Hi Lisa, I thank you for explaining to people like myself what went wrong at last week’s election.
The outcome must have hit you like a ton of bricks, but please understand , like the coming Brexit, it reflected the will of the working class, the forgotten, the battlers. Have a good day.

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