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150 Jahre Suezkanal: Eine 7000-Kilometer-Abkürzung durch die Wüste

Haushohe Containerschiffe hatte Ferdinand de Lesseps wohl kaum im Sinn, als er in Ägypten eine gewaltige Wasserstrasse bauen liess. 150 Jahre später ist der Suezkanal eine der wichtigsten Arterien im Welthandel - und Prestigeobjekt für Ägyptens Präsident al-Sisi.

Agentur
sda
16.11.19 - 22:45 Uhr
Politik
Mitten im Wüstensand und auf den ersten Blick erstaunlich schmal: der Suezkanal etwa in der Mitte bei Ismailia.
Mitten im Wüstensand und auf den ersten Blick erstaunlich schmal: der Suezkanal etwa in der Mitte bei Ismailia.
KEYSTONE/EPA/ALI HAIDER

«Achtung, an die gesamte Crew: Wir haben eine Kollision!» Arabische Funksprüche und Anweisungen auf Englisch sind zu hören, als das Containerschiff im Suezkanal wie in Zeitlupe mit einem Schüttgutfrachter kollidiert. Das Video im Internet zeigt, wie dramatisch eine Fahrt durch die ägyptische Wasserstrasse verlaufen kann. Aus dem Welthandel ist das Transport-Nadelöhr auch 150 Jahre nach seiner Eröffnung nicht mehr wegzudenken, für die Ägypter bleibt der Kanal ein Prestigeobjekt.

Auch für erfahrene Seeleute ist es kein Leichtes, einen 400 Meter langen Stahlriesen bei Strömung und Seitenwind durch eine schmale Schifffahrtsrinne zu steuern. Der Wüstenwind kann hier mit stürmischen 40 oder 50 Knoten pro Stunde über den Kanal fegen und ein haushohes Schiff in einen «Ballon» verwandeln.

Doch um den Suezkanal führen in der Schifffahrt nicht viele Wege herum - jedenfalls nicht für einen aus Saudi-Arabien oder dem Irak kommenden Öltanker, der unter engem Zeitplan die Niederlande, Italien oder die USA ansteuert.

Afrika muss nicht mehr umrundet werden

Den Seeweg von Europa nach Indien verkürzt der Kanal um etwa 7000 Kilometer, der Umweg über das Kap der Guten Hoffnung könnte ein Schiff bei 16 Knoten (etwa 30 Kilometern pro Stunde) bald drei weitere Wochen kosten - im eng getakteten Welthandel eine Ewigkeit.

Die enorme Zeitersparnis entzückt Händler, Schiffsleute und Politiker schon vor 150 Jahren, als der Bau am 17. November 1869 mit grossem Pomp eröffnet wird.

5000 prominente Gäste aus aller Welt reisen an, um das damals grösste Projekt des maritimen Weltverkehrs zu bestaunen. Sie feiern bei Feuerwerk und einem Festball, denn Erbauer Ferdinand de Lesseps, ein französischer Diplomat, war im kargen Land eine technische Meisterleistung gelungen. Dass Zehntausende ägyptische Zwangsarbeiter unter brutalen Bedingungen schuften mussten und Tausende beim Bau ums Leben kamen, wird heute selten erwähnt.

1956 verstaatlicht und seither Devisenquelle

Für Ägypten beginnt die eigentliche Party erst 1956, als der Kanal verstaatlicht und damit zu einer der wichtigsten Devisenquellen des Landes wird. Durch mehrfache Erweiterungen - zuletzt ein zweispuriger Ausbau auf zusätzlichen Abschnitten - soll der Kanal für Frachter und Container-Riesen attraktiv bleiben, unter anderem wegen kürzerer Wartezeiten.

Im August verkündete die Kanalbehörde einen «Rekordjahresumsatz» von 5,9 Milliarden Dollar, im Februar wurde die höchste Tages-Tonnage seit 150 Jahren gemeldet.

Trotz dieser Jubelmeldungen wirkt das erklärte Ziel, den Umsatz bis 2023 mehr als zu verdoppeln, noch wie eine Seefahrermär. Kritiker werfen Präsident Abdel Fattah al-Sisi ausserdem vor, mit der Erweiterung 2015 nur ein weiteres seiner Prestigeprojekte aus dem Boden gestampft und Staatsgeld verschwendet zu haben - ähnlich wie beim Bau einer neuen Hauptstadt östlich von Kairo.

Ein Drittel bitterarm - zwei Drittel Analphabeten

Ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung lebt in extremer Armut und muss mit umgerechnet etwa einem Franken am Tag auskommen. Zwei Drittel sind Analphabeten.

Vor allem für die Container-Schifffahrt wäre es ein herber Schlag, wenn diese wichtige Route des Welthandels eines Tages gekappt würde. 18'000 Schiffe durchfuhren den Suezkanal vergangenes Jahr, im Durchschnitt etwa 50 am Tag. Von einem «kritischen Engpass» spricht die US-Energiebehörde auch für den Handel mit Öl, Gas und Erdölprodukten.

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