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Die Grünen erringen einen historischen Sieg

Die Grünen haben bei den Nationalratswahlen einen historischen Sieg errungen. Sie gewinnen 17 Sitze und kommen neu auf 28 Mandate. Damit überholen sie die CVP. Grösste Verliererin ist die SVP. Trotzdem bleibt der Nationalrat bürgerlich dominiert.

Agentur
sda
20.10.19 - 23:31 Uhr
Politik
Jubel bei den Grünen: Parteipräsidentin Regula Rytz.
Jubel bei den Grünen: Parteipräsidentin Regula Rytz.
KEYSTONE/PETER SCHNEIDER

Dass die Grünen gewonnen haben, ist keine Überraschung. Der Klimawandel war das dominierende Thema im Wahlkampf. Eine Verschiebung in diesem Ausmass war aber nicht erwartet worden. Für Schweizer Verhältnisse ist sie ungewöhnlich: Die Grünen haben mehr neue Sitze erobert als die SVP bei ihrem Durchmarsch im Jahr 1999.

Mit dem Sieg der Grünen ist das linke Lager stärker geworden. In einigen Kantonen gehen die Gewinne der Grünen allerdings auf Kosten der SP. Diese muss den Verlust von 4 Sitzen hinnehmen und kommt noch auf 39 Sitze. Damit verfügt das linke Lager aus SP und Grünen über rund einen Drittel der Stimmen im 200-köpfigen Nationalrat.

Umweltanliegen lassen sich also nicht ohne bürgerliche Unterstützung durchsetzen. Die Grünliberalen gewinnen zwar 9 Sitze und kommen neu auf 16 Sitze, doch auch damit ist der ökologische Block noch fast 20 Stimmen von einer Mehrheit entfernt. Dennoch dürften es Umweltanliegen nach dieser Klimawahl einfacher haben.

Zünglein an der Waage

Das Zünglein an der Waage wird die CVP bleiben, die 2 Sitze verliert und noch auf 25 Sitze kommt. Diese Rolle könnte vermehrt auch der GLP zukommen.

Die Kräfteverschiebung dürfte sich auf gesellschaftspolitische Anliegen auswirken. Ausserdem könnte die Gleichstellung von Frau und Mann mehr Gewicht erhalten. Dazu dürfte die gewachsene Frauenvertretung beitragen. In der Sozialpolitik dagegen werden es SP und Grüne mit ihren Positionen weiterhin schwer haben.

SVP bleibt stärkste Partei

Mit Abstand stärkste Partei im Land bleibt die SVP. Sie verliert aber ihre 2015 zusätzlich eroberten 12 Mandate und kommt noch auf 53 Mandate. Die FDP hat nach dem Verlust von 4 Sitzen noch 29 Sitze. Ob sie trotz oder wegen ihrer grünen Wende verloren hat, werden die Analysen zeigen. Fest steht, dass die SVP und die FDP im Nationalrat zusammen keine Mehrheit mehr haben.

Ein schwarzer Tag war es auch für die BDP, die 4 Mandate verliert und mit 3 Sitzen keine Fraktionsstärke mehr hat. Die EVP dagegen gewinnt einen Sitz und kommt neu ebenfalls auf drei Sitze.

Zanetti und Bigler abgewählt

Im Kanton Zürich sind die Grünen neu mit 5 Sitzen im Nationalrat vertreten, 3 mehr als bisher. Die Grünliberalen konnten von 3 auf 6 Sitze zulegen. Die SVP verlor 2 Sitze und kommt noch auf 10 Mandate. Die Wiederwahl verpasst haben SVP-Vertreter Claudio Zanetti und Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler (FDP).

Die SP muss 2 Sitze hergeben und kann nur noch 7 Vertreterinnen und Vertreter nach Bern schicken. Nicht mehr gewählt wurden Martin Naef und Thomas Hardegger. Auch die CVP-Vertreterin Kathy Riklin und die BDP-Fraktionschefin Rosmarie Quadranti verlieren ihr Mandat. Die FDP und die EVP konnten ihre Sitze dagegen halten.

Funiciello gewählt

Im Kanton Bern eroberten die Grünen zwei Nationalratssitze, die Grünliberalen und die EDU je einen Sitz. Verlierer sind die SP (-2), die SVP (-2) und die BDP (-1).

Prominente Verluste muss die SP hinnehmen, die noch 4 Sitze in der grossen Kammer hat. Die Gewerkschafter Corrado Pardini und Adrian Wüthrich schafften die Wiederwahl nicht. Neu zieht hingegen die frühere Juso-Chefin Tamara Funiciello in den Nationalrat ein.

Grüne auch in der Westschweiz stark

Im Kanton Waadt gewannen die Grünen zwei Sitze hinzu und können damit ihre Vertretung in Bern auf vier Mandate steigern. Die SVP verliert einen ihrer vier Sitze. Auch CVP-Vertreter Claude Béglé wurde abgewählt. Im Kanton Genf legen die Grünen zwei Sitze zu und halten künftig drei Sitze. Sie sind neu die stärkste Partei im Kanton. Die GLP gewann einen Sitz.

Im Wallis muss die CVP Federn lassen. Sie verlor einen Sitz an die Grünen. Im Kanton Freiburg gewannen die Grünen einen Sitz auf Kosten der SVP: Der bisherige SVP-Nationalrat Jean-François Rime wurde abgewählt. Auch im Kanton Neuenburg gewannen die Grünen einen Sitz auf Kosten der SVP.

Martullo wiedergewählt

Im Kanton Luzern holt die GLP den vor vier Jahren verlorenen Nationalratssitz zurück: Roland Fischer kehrt in den Nationalrat zurück. SVP und FDP müssen je ein Mandat abgeben.

Im Kanton Graubünden holte das links-grüne Lager einen zweiten Sitz. Die FDP ist nach acht Jahren zurück in der grossen Kammer. Heinz Brand (SVP) und Duri Campell (BDP) wurden nicht wiedergewählt. Magdalena Martullo-Blocher schaffte die Wiederwahl hingegen problemlos.

Frehner abgewählt

Im Kanton St. Gallen holten Grüne und Grünliberale je einen Sitz, die SVP und die CVP verloren je einen, die SP und die FDP konnten ihre Sitze halten. Auch im Thurgau ist die Grüne die Wahlsiegerin. Grünen-Präsident Kurt Egger verdrängt FDP-Nationalrat Hansjörg Brunner. Die SVP behält ihre drei Sitze, CVP und SP halten je ein Mandat.

Auch in Basel-Stadt nimmt die GLP der SVP einen Nationalratssitz ab, Sebastian Frehner wurde abgewählt. Daneben behält die SP ihre beiden Sitze und die LDP sowie das Grüne Bündnis je einen. Im Kanton Tessin eroberte die Grüne Partei erstmals in der Geschichte einen Sitz im Nationalrat. Die Lega verlor einen ihrer beiden Sitze: Roberta Pantani schaffte die Wiederwahl nicht.

Erste Nationalrätinnen

Im Kanton Solothurn muss die SP einen ihrer beiden Sitze an die Grünen abgeben. Zudem wurde der Bisherige Philipp Hadorn von SP-Parteipräsidentin Franziska Roth verdrängt. Die SVP konnte ihre beiden Sitze halten, CVP und FDP verteidigen je einen Sitz.

Im Kanton Zug hat die Alternative - die Grünen (ALG) den Nationalratssitz zurückerobert, den die Partei vor acht Jahren an die FDP abtreten musste. Erstmals schickt der Kanton eine Frau nach Bern. Auch der Kanton Obwalden schickt erstmals eine Frau nach Bern, die SVP-Vertreterin Monika Rüegger. Die SVP konnte damit einen verlorenen Sitz zurückerobern. In Uri verliert die SVP hingegen ihren einzigen Nationalratssitz. Der 31-jährige CVP-Landrat Simon Stadler löst den Bisherigen Beat Arnold ab.

Verluste für FDP und SVP

Der Kanton Aargau wurde nicht von der grünen Welle erfasst. Grüne und GLP haben weiterhin je einen Sitz. SP und CVP gewannen je einen Sitz, die FDP und SVP verloren je einen. Die BDP musste ihren einzigen Sitz an die EVP abgeben.

In Appenzell Innerrhoden verteidigt die CVP ihren Sitz mit dem ehemaligen Regierungsrat Thomas Rechsteiner. Glarus schickt auch in den nächsten vier Jahren BDP-Chef Martin Landolt als einzigen Vertreter im Nationalrat nach Bern. Keine Verschiebungen gibt es ausserdem in den Kantonen Basel-Landschaft, Schaffhausen, Schwyz, Nidwalden, Appenzell Ausserrhoden und Jura.

Sitzverluste für die SVP

Zudem kommt es am Ende auf die Sitzverschiebungen an, für welche die Listenverbindungen eine wichtige Rolle spielen. Im äussersten Fall könnten die Grünen ihre heute zwölfköpfige Delegation fast verdoppeln. Als realistischer gilt allerdings ein Gewinn von fünf bis acht Sitzen. Auch die Grünliberalen könnten bis zu sieben zusätzliche Mandate erobern.

Der SVP, die heute 65 Sitze besetzt, droht dagegen der Verlust von 9 Mandaten. Sie könnte damit auf eine ähnliche Sitzzahl kommen wie 2011, als sie ebenfalls Federn lassen musste. Für die BDP mit heute 7 Sitzen geht es um die Frage, ob sie noch auf jene 5 Sitze kommt, die für eine eigene Fraktion nötig sind. Die CVP könnte bis zu 6 Mandate verlieren. Das wäre fast ein Viertel ihrer 27 Sitze. Bei der FDP und der SP sind kleinere Verschiebungen zu erwarten.

Bürgerliche in der Mehrheit

Nach der Stärkung der Mitte im Wahljahr 2011 und dem Rechtsrutsch von 2015 wird dieses Mal also ein Linksrutsch erwartet. Die SVP und die FDP dürften ihre Mehrheit im Nationalrat verlieren. Die bürgerlichen Kräfte mit SVP, FDP, CVP, GLP und BDP werden jedoch weiterhin das Sagen haben.

Ausserdem ist im Ständerat nicht mit einem Linksrutsch zu rechnen: In der kleinen Kammer werden weder der SVP noch der FDP oder der CVP Sitzverluste prognostiziert. Die Grünen, die heute einen Ständeratssitz halten, dürften höchstens auf zwei Sitze kommen, die Grünliberalen auf keinen. Die SP wiederum muss um einzelne Sitze zittern.

Mehr Frauen im Ständerat

Im Ständerat sind aussergewöhnlich viele Sitze neu zu besetzen. Insgesamt 19 von 46 Ständerätinnen und Ständeräten treten nicht zur Wiederwahl an, darunter fünf der sechs Frauen. Vielen Kandidatinnen werden aber gute Chancen eingeräumt. Dass die Zahl der Frauen in der kleinen Kammer sinkt, gilt somit als unwahrscheinlich. Zu rechnen ist viel mehr mit einem Anstieg des Frauenanteils.

In stiller Wahl bereits wiedergewählt wurden der Obwaldner Ständerat Erich Ettlin (CVP) und der Nidwaldner Hans Wicki (FDP). Ebenfalls bereits gewählt ist der Innerrhoder CVP-Vertreter Daniel Fässler. Die Landsgemeinde wählte den früheren Nationalrat bereits im Frühjahr in den Ständerat. Sein Nationalratssitz ist seither vakant.

Mobilisierung dank Klimajugend

Können die ökologischen Kräfte zulegen, haben sie das wohl auch der Mobilisierung durch die Klimademonstrationen zu verdanken. Ähnlich war es vor vier Jahren der SVP ergangen. Damals war im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise die Migration das Topthema gewesen.

Neben dem Klimawandel und der grünen Wende der FDP gaben diesmal im Wahlkampf vor allem Kampagnen zu reden. Die SVP provozierte mit einem Wurmsujet, die CVP erregte mit einer Negativkampagne Aufsehen. Ob es ihnen gelungen ist, damit die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren, werden die Analysen nach den Wahlen zeigen.

Diskussion über Bundesratssitze

Bereits am Abend des Wahlsonntags wird wohl die Gesamterneuerungswahl des Bundesrates im Dezember zum Thema. Die Grünen und die Grünliberalen könnten Anspruch auf einen Bundesratssitz anmelden. Berichte über gemeinsame Pläne bestätigten sie allerdings nicht.

Bisher hat es zudem stets mehr als nur einen Wahlsieg gebraucht, bis die Zauberformel angepasst wurde. So erzielte die SVP 1999 und 2003 zweimal grosse Gewinne, bevor sie auf Kosten der CVP einen zweiten Sitz erkämpfte. Das Rechnen und Taktieren aber wird heute beginnen.

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