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Frauen folgen dem Ruf Helvetias

Im Kanton St. Gallen treten bei den Nationalratswahlen so viele Frauen an wie noch nie. Schweizweit präsentiert sich das gleiche Bild. Wieso ist das so und welche Themen bringen Frauen ein? Die Antworten liefern fünf Politikerinnen aus See-Gaster.

Fabio
Wyss
04.10.19 - 04:30 Uhr
Politik
Frauen aus der Region rufen zur Damenwahl auf.
Frauen aus der Region rufen zur Damenwahl auf.
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Gerade einmal drei St. Galler Frauen waren in der laufenden Legislatur in Bern vertreten. Ein mickriger Anteil der insgesamt 14 Parlamentarier des Kantons. Das soll sich ändern: Ganze 84 Frauen kandidieren für den Nationalrat – so viele wie noch nie. 

Weil gleichzeitig mehr Männer denn je zur Wahl stehen, hinkt der kantonale Frauenanteil dem Schweizer Rekordschnitt von 40,3 Prozent hinterher. Mitverantwortlich für die vielen Frauen sind die Grünen. Als einzige Partei stellen sie in St. Gallen mehr Frauen als Männer auf. Ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis erreichen die Listen der FDP und der SP. Elisabeth Brunner-Müller, FDP-Nationalratskandidatin aus Schmerikon, sagt dazu: «Mit Petra Gössi und Karin Keller-Suter verfügen wir über gute Vorbilder in der Partei.» Die FDP St. Gallen führt gar eine separate Frauenliste. 
Erfolgsfaktor Vernetzung

Politikerinnen aus See-Gaster verschiedenster Couleur nennen die Vernetzung untereinander als wichtigen Faktor, um Frauen für die Politik zu gewinnen. National findet diese Vernetzung so systematisch statt wie noch nie. Organisationen wie «Helvetia ruft» führen Frauen zusammen und unterstützen sie auf ihrem Weg in die Politik.
Folgt darum 2019 die Damenwahl? Um eine repräsentative Volksvertretung herzustellen, wäre sie notwendig. Fünf Frauen der Region erzählen, welche Themen sie aufs Tapet bringen wollen.

Die Einzige

Yvonne Suter nimmt den prominenten vierten Platz der CVP-Liste Süd-West ein. Die Rapperswil-Jonerin ist die einzige Frau aus See-Gaster, die von der sogenannten Familienpartei aufgestellt wurde. Nur wegen ihres Geschlechts wolle sie aber nicht gewählt werden, stellt Suter gleich klar: «Mich soll man wählen aufgrund meines Engagements, meines Leistungsausweises.» 
Der Leistungsausweis der Kantonsrätin lässt sich sehen. Vor einem Jahr etwa hatte sie als Antragstellerin massgeblichen Anteil daran, dass der Steuerabzug für externe Familienbetreuung erhöht wurde. 25 000 Franken können Erwerbstätige nun pro Kind von den Steuern abziehen.

Taten statt Protest  

Wenn man qualifizierte Frauen im Berufsleben behalten wolle, müsse man die Rahmenbedingungen verbessern, sagt die Bankdirektorin für Nachhaltige Anlagen. Obschon sich Suter für die Frau stark macht, nahm sie beim Frauenstreik keine aktive Rolle ein. «Protest ist weniger mein Stil.» Dennoch sei die Bewegung «eine gute Sache», viele der Anliegen teile sie, für den weitverbreiteten Frust habe sie Verständnis. 

«Es braucht mehr Frauen in der Politik. Unsere Gesellschaft muss angemessen repräsentiert sein.»


Suter protestiert zwar nicht, aber sie fordert: «Es braucht mehr Frauen in der Politik. Unsere Gesellschaft muss in Bern angemessen repräsentiert sein.» Die 42-Jährige erhofft sich von ihrer Kandidatur, einen kleinen Beitrag zu leisten, um andere Frauen für die Politik zu motivieren. Dies aus der tiefen Überzeugung: «Mehr Frauen machen die Politik besser.»

Die Junge

Die jüngste SP-Frau der Region heisst Karin Blöchlinger. Die 29-jährige Uznerin wirkte dieses Jahr beim Rapperswiler Frauenstreik im Organisationskomitee mit. «Rund eine halbe Million Menschen marschierten schweizweit für Frauenrechte. Das war ein starkes Zeichen», sagt die Anwältin.

Damit es nicht beim Zeichen bleibt, führte die SP eine Umfrage durch. Aus den Resultaten formen die Sozialdemokraten eine Initiative. Diese sei notwendig, sagt Blöchlinger, es gebe zwar die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, aber noch immer keine Gleichstellung.

Vaterschaftsurlaub reicht nicht

Für die Gleichstellung braucht es laut der gebürtigen St. Gallerin  mehr Kindertagesstätten, Betreuungsangebote an Schulen und eine gemeinsame Elternzeit. «Die vorgesehenen zwei Wochen Vaterschaftsurlaub reichen nie aus. Ohne eine gemeinsame Elternzeit ist klar, dass die Mutter die Kinderbetreuung übernimmt.» Finanzieren will Blöchlinger die Elternzeit über die Erwerbsersatzordnung.

«Die vorgesehenen zwei Wochen Vaterschaftsurlaub reichen nie aus. Es braucht eine Elternzeit.»

Eine verbindliche Frauenquote im Parlament lehnt Blöchlinger hingegen ab – zumindest momentan: Der Zuwachs an Kandidatinnen sei positiv zu bewerten. Wie sich der Frauenanteil aber tatsächlich verändere, werde ihre Partei beobachten. Das Zünglein an Helvetias Waage könnten die Frauen schon dieses Jahr werden: «Es müsste im Interesse jeder Partei sein, genügend Frauen aufzustellen, um heutzutage keine Wählerstimmen zu verlieren.»

Die Doppelte

FDP-Frau Elisabeth Brunner-Müller führt gleich zwei Wahlkämpfe: Neben dem Nationalrat strebt sie das Ammler Gemeindepräsidium an. Dieses habe allererste Priorität, sagt Brunner-Müller: «Wegen des zweiten Wahlgangs musste ich meine aktuellen Anstellungen kündigen, damit ich im Falle einer Wahl das Amt in Amden annehmen könnte.»

Frauen haben sich gewandelt

Auf die Nationalratswahlen ist Brunner-Müller trotzdem sehr gespannt. Denn sie stellt ein Wandel fest: Als sie vor 13 Jahren bei der FDP einstieg, sei sie als junge Frau «eine von wenigen» gewesen. Heute seien die jungen Frauen anders unterwegs. «Sie kämpfen unter anderem für ihre Werte und weniger für Ferien oder ein Auto.»

«Ich kann nicht von Frauen-förderung sprechen und Männer wählen.Wählt Frauen!»

Über staatliche Intervention zur Gleichstellung sagt die Schmerknerin: Der Mensch müsse lernen, für sich selber einzustehen. Trotzdem sieht Brunner-Müller auch Handlungsbedarf, beispielsweise in der Gesundheitsbranche: «Beim Pflegepersonal wird auf Kosten der Gesundheit gespart. Da braucht es Mut zu Veränderung – und allenfalls Lenkungsmassnahmen.» Aber auch die Frau müsse lernen, zu sagen: «Für dieses Geld arbeite ich nicht, das ist es mir nicht wert.»

Damit der von Brunner-Müller prognostizierte Wandel passiert, ruft sie auf zur Frauenwahl: «Ich kann nicht von Frauenförderung sprechen und Männer wählen. Darum wählt Frauen! Und zwar jene, die Eure Werte am besten vertreten.»

Die Seniorin

Dank 15 Jahren im Kantonsrat zählt die Grüne Silvia Kündig-Schlumpf zu den erfahrensten Politikerinnen der Region. Die 64-Jährige aus Rapperswil----Jona verabschiedete sich vor einem halben Jahr aus dem St. Galler Kantonsratssaal. Nun steht sie auf der «Klimaseniorinnen-Liste» zur Wahl als Nationalrätin.

Kündig verfechtet eine erstaunliche These bezüglich des hohen Frauenanteils der Grünen: Eine Mutter sei näher bei der Familie. Dadurch spüre man besser den Einfluss der Umwelt auf die Kinder. Fazit: «Die Zukunft der Kinder ist untrennbar mit der Klimapolitik.»

«Dass Männer bessere Politik machen, ist ein altes Bild. Davon muss man sich verabschieden.»

Dass sich Männer und Frauen bei den Grünen die Waage halten, ist gewissermassen aber auch systembedingt: Von kommunaler, regionaler, kantonaler bis zur nationalen Ebene werden Frauen gefördert. Ein ausgeglichenes Verhältnis sei schon immer angestrebt worden, sagt Kündig.

Alte Muster aufbrechen

Das sei nicht überall so, erzählt die im Nebenamt tätige Kreisrichterin See-Gaster. Von Frauen aus anderen Parteien habe sie mehrfach erfahren, dass für den Männerwahlkampf mehr Geld in die Hand genommen werde. «Es ist leider in vielen Köpfen eingeprägt, dass Politik nur von Männern gemacht wird.»

Die Zeichen stehen auf Veränderung: Kündig stellt fest, dass die Frauen heutzutage, über mehr Selbstvertrauen verfügten. Dass Männer bessere Politik machen, sei ein altes Bild. «Von diesem muss Abschied genommen werden.»

Die Bisherige

Amtierende Nationalrätin darf sich Barbara Keller-Inhelder nennen. Die  Rapperswil--Jonerin vertrat während der letzten vier Jahre das Linthgebiet in Bern. Ihre Partei – die SVP – führt traditionell wenige Frauen auf den Wahllisten. Vor vier Jahren war Keller-Inhelder die einzige Frau auf der Nationalratsliste. Dieses Jahr seien sie immerhin drei von zwölf, sagt die Unternehmerin.

Gegenwind und Angriffe

Die Vizepräsidentin der SVP St. Gallen kennt die Gründe für den geringen Frauenanteil: «In unserer Partei erfährt man automatisch Gegenwind und ist Angriffen aller Art ausgesetzt – das ist nicht für jede Frau erstrebenswert. Ich habe Verständnis für alle, die sich dem nicht aussetzen wollen.»

Über bald 20 Jahre Legislatur-Erfahrung auf kantonaler und nationaler Ebene verfügt Keller-Inhelder. In dieser Zeit arbeitete sie immer gerne mit Frauen zusammen. Sie kenne grossartige Frauen, die viel Respekt verdienten, sagt die 51-Jährige. Darum freue sie sich über die vermehrte Frauenförderung.

«Ich kenne grossartige Frauen, die viel Respekt verdienen. Mit ihnen arbeite ich gerne zusammen.»

Keller-Inhelder selbst muss um ihren Nationalratssitz bangen. Das sagte ein Wahlbeobachter gegenüber der «Linth-Zeitung» (Ausgabe vom letzten Samstag). Die Stimme der zweifachen Mutter würde verloren gehen. «Ich kämpfe gegen den Machtmissbrauch der KESB und für Korrekturen der rechtlichen Grundlagen. Die Familie muss Vorrang haben, wenn es um die Betreuung von Kindern und Angehörigen geht.»

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