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Kantone bleiben bei Gesundheitswesen-Finanzierung auf der Strecke

Der Nationalrat geht auf Konfrontationskurs mit den Kantonen. Er hat am Donnerstag beschlossen, dass ambulante und stationäre Leistungen künftig aus dem gleichen Topf finanziert werden. Von der Referendumsdrohung der Kantone liess er sich nicht beeindrucken.

Agentur
sda
26.09.19 - 11:39 Uhr
Politik
Der Nationalrat möchte, dass ambulant und stationär erbrachte Leistungen künftig aus einem Topf bezahlt werden. Die Kantone drohen mit dem Referendum. (Symbolbild)
Der Nationalrat möchte, dass ambulant und stationär erbrachte Leistungen künftig aus einem Topf bezahlt werden. Die Kantone drohen mit dem Referendum. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Für Kommissionssprecherin Ruth Humbel (CVP/AG), die die Gesetzgebungsarbeiten mit einer parlamentarischen Initiative angestossen hatte, überwiegen die Vorteile klar. Sie bezifferte das Sparpotenzial des Systemwechsels mit bis zu einer Milliarde Franken pro Jahr. «Es ist ein wichtiger Reformschritt», sagte Humbel.

Heute werden Leistungen im ambulanten Bereich vollständig von den Krankenkassen bezahlt, sie werden also über Prämien finanziert. Leistungen im stationären Bereich werden zu mindestens 55 Prozent von den Kantonen und damit aus Steuergeldern finanziert, den Rest bezahlen die Krankenkassen.

Fehlanreize beseitigen

Das führt unter anderem dazu, dass die Versicherungen kaum Anreize haben, ambulante Behandlungen zu fördern, auch wenn diese günstiger wären. Zudem beeinflusse das heutige System den eigentlich rein medizinischen Entscheid, ob jemand ambulant oder stationär behandelt werde, sagte Humbel. Solche Fehlanreize müssten beseitigt werden.

«Mit der Vorlage ist die Hoffnung verbunden, dass die Kantone das Wettrüsten im ambulanten Bereich endlich drosseln», erklärte SVP-Sprecher Heinz Brand (GR), der den grössten Krankenkassenverband santésuisse präsidiert.

Mit diesen Zielen hatte die Nationalratskommission eine Vorlage ausgearbeitet, die den so genannten Monismus bei der Finanzierung des Gesundheitswesens einführen soll. Die Krankenkassen würden nach dem Systemwechsel alle ambulanten und stationären Behandlungen vergüten. Den Beitrag der Kantone legte der Nationalrat bei 25,5 Prozent der Nettokosten nach Abzug von Selbstbehalt und Franchisen fest.

Die Kantone zahlen also nur, wenn auch den Krankenkassen Kosten entstehen. Bei den 25,5 Prozent handelt es sich um einen Mindestanteil. Dieser wird jeweils so berechnet, dass der Systemwechsel für Kantone und die Versicherer kostenneutral ausfällt.

Handschrift der Krankenkassen

Der Bundesrat wäre mit dem Systemwechsel grundsätzlich einverstanden. «Es bleibt aber viel Arbeit», sagte Gesundheitsminister Alain Berset. Der Nationalrat sei noch weit von einer mehrheitsfähigen Vorlage entfernt.

Die Linke beantragte erfolglos, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten. Auch die SP sei nicht grundsätzlich gegen den Systemwechsel, sagte Barbara Gysi (SG). Die Rolle der Krankenkassen würde aber zu sehr gestärkt. Die Vorlage stamme klar aus der Feder des Krankenkassenverbands Curafutura, kritisierte Gysi.

Streit um Langzeitpflege

Zudem würden die Kantone zu reinen Zahlern degradiert. «Lösungen im Gesundheitswesen können nur mit den Kantonen und nicht gegen sie erarbeitet werden.» Diese drohen mit dem Kantonsreferendum, sollten die Räte die Vorlage nicht nachbessern.

Unter anderem fordern sie, dass auch die Langzeitpflege in den Systemwechsel einbezogen wird. In dem Bereich tragen die Kantone den Kostenanstieg alleine. Die Gesundheitsdirektorenkonferenz warnt vor Steuererhöhungen und Sparpaketen in den Kantonen.

Noch fehlen allerdings die nötigen Grundlagen für den Einbezug von Pflegeheimen und Spitex ins neue Finanzierungssystem. Der Nationalrat hat den Bundesrat zwar beauftragt, diese zu erarbeiten, doch das kann Jahre dauern.

So lange will die Nationalratskommission nicht warten mit der Einführung des Monismus. Mit einer Motion will sie den Bundesrat aber beauftragen, den Einbezug der Langzeitpflege in die einheitliche Finanzierung vorzuschlagen, sobald die nötigen Grundlagen erarbeitet sind.

Casus belli

Die Forderung der Kantone nach Steuerungsmöglichkeiten im ambulanten Bereich erwies sich als zweischneidiges Schwert. Eine entsprechende Vorlage ist in den Räten weit fortgeschritten. Der Nationalrat beschloss, dass diese nur zusammen mit dem Monismus in Kraft treten kann, was den Druck auf die Kantone eher erhöht.

Eine weitere Front eröffnete der Nationalrat, mit den höheren Beiträgen für Privatspitäler, die nicht auf Spitallisten stehen. Statt 45 Prozent sollen diese künftig 75 Prozent der stationären Leistungen vergütet bekommen. Umgekehrt bekämen sie aber nur noch 75 Prozent für ambulante Leistungen, sagte Kommissionssprecherin Humbel. Sie sprach von einer «kleinen Besserstellung», SP-Fraktionschef Roger Nordmann hingegen von einer «Gelddruckmaschine» für Privatspitäler.

Auch Gesundheitsminister Berset warnte vor einer Erhöhung der Beiträge. Dies werde zu höheren Krankenkassenprämien führen und die Spitalplanung der Kantone schwächen. Das könne die ganze Vorlage zu Fall bringen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat der Vorlage mit 121 zu 54 Stimmen bei 8 Enthaltungen an. Die einheitliche Finanzierung geht nun an den Ständerat. Angesichts des Widerstands der Kantone dürfte es die Vorlage bei den Standesvertreterinnen und Standesvertretern schwer haben.

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