×

Kranke sollen einen grösseren Teil der Arztrechnung selber zahlen

Kranke sollen sich stärker an den Behandlungskosten beteiligen müssen. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat beschlossen, die Franchisen zu erhöhen - zunächst um 50 Franken. Die ordentliche Franchise beträgt damit 350 Franken.

Agentur
sda
05.03.19 - 21:09 Uhr
Politik
Wer zum Arzt geht, soll einen grösseren Teil der Rechnung selber zahlen müssen. Der Ständerat hat einer Erhöhung der Grundfranchise auf zunächst 350 Franken zugestimmt. (Symbolbild)
Wer zum Arzt geht, soll einen grösseren Teil der Rechnung selber zahlen müssen. Der Ständerat hat einer Erhöhung der Grundfranchise auf zunächst 350 Franken zugestimmt. (Symbolbild)
KEYSTONE/CHRISTIAN BEUTLER

Der Ständerat hat am Dienstag mit 26 zu 13 Stimmen einer Änderung des Krankenversicherungsgesetzes zugestimmt. Diese erlaubt dem Bundesrat, die ordentliche Franchise und die Wahlfranchisen regelmässig an die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen anzupassen.

Vorgesehen ist eine Erhöhung um 50 Franken, sobald die durchschnittlichen Bruttokosten der Leistungen pro versicherte Person mehr als 13-mal höher liegen als die ordentliche Franchise. Eine erste Anpassung der Franchisen ist auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens geplant. Die Franchisen für Kinder sind davon nicht betroffen.

Keine Auswirkung auf die Kosten

Der Bundesrat hatte die ordentliche Franchise bereits mehrmals angepasst. Bei der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes 1996 betrug diese noch 150 Franken - etwa 1/12 der Kosten pro versicherter Person. Auch nach späteren Erhöhungen betrug das Verhältnis Franchise zu Bruttokosten jeweils rund 1:12.

Die Mehrheit stimmte dem vorgeschlagenen Mechanismus zu, um dieses Verhältnis auch in Zukunft wahren zu können. Das sei ein politischer Entscheid, gab Gesundheitsminister Alain Berset zu bedenken. Eine kostendämpfende Wirkung habe sich bei früheren Erhöhungsschritten nicht gezeigt.

Damit werde die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt und der Kostenanstieg gedämpft, sagte Kommissionssprecher Joachim Eder (FDP/ZG). Es sei auch der Kommission bewusst, dass die Prämienlast für viele Haushalte ein echtes Problem sei.

Allerdings würden die Möglichkeiten der Prämienoptimierungen durch einen Wechsel der Kasse oder des Versicherungsmodells nach wie vor zu wenig genutzt. Laut Eder hätten letztes Jahr 1,2 Millionen Versicherte ihre Prämien um 40 Prozent senken können - bei gleicher Deckung. Ivo Bischofberger (CVP/AI) wies darauf hin, dass die Gesundheitskosten auch wegen Arztbesuchen in Bagatellfällen stiegen.

Die Linke wehrte sich gegen die Erhöhung der ordentlichen Franchise. Damit werde das Solidaritätsprinzip geritzt, sagte Hans Stöckli (SP/BE). Immer mehr Menschen verzichteten auf ärztliche Leistungen, weil sie es sich nicht leisten könnten. «Das ist dramatisch». Didier Berberat (SP/NE) warnte, dass verspätete Behandlungen zu Mehrkosten führen könnten.

SP ergreift Referendum

Im Vergleich der OECD-Länder zahlten die Versicherten in der Schweiz schon heute den grössten Teil der Gesundheitskosten aus der eigenen Tasche. «Es droht eine Zweiklassenmedizin.» Vor diesem Hintergrund hat das SP-Präsidium am Montag beschlossen, das Referendum gegen die Franchisenerhöhung zu ergreifen. Die Partei hat ausserdem eine Initiative lanciert, um die Prämien bei 10 Prozent des Haushaltseinkommens zu begrenzen.

Die Stiftung für Konsumentenschutz unterstützt ebenso wie Avivo Schweiz, die Vereinigung zur Verteidigung der Interessen der Rentnerinnen und Rentner, das Referendum gegen die automatische Erhöhung der Franchisen mit ähnlichen Argumenten wie die SP. Durch die höheren Franchisen würden noch mehr Patienten aus finanziellen Gründen auf notwendige medizinische Behandlungen verzichten, was hohe Folgekosten auslösen könne.

Abgelehnt hat der Ständerat verschiedene Motionen aus dem Nationalrat, die höhere Franchisen verlangten. Die Vorstösse, die die ordentlichen Franchisen betrafen, hält die Mehrheit für erfüllt. Eine Motion der FDP, die mit höheren Franchisen zusätzliche Rabatte ermöglichen wollte, ging dem Ständerat zu weit. Kommissionssprecher Eder warnte vor überproportionalen Rabatten und nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf den Risikoausgleich.

Der Ständerat hat am Gesetzestext eine Präzisierung vorgenommen, die Vorlage geht darum noch einmal zurück an den Nationalrat. Vom Tisch ist das Thema danach aber nicht: In der grossen Kammer ist eine Motion der Gesundheitskommission hängig, die eine ordentliche Franchise von 500 Franken verlangt.

Keine mehrjährige Bindung

Die Differenzen zwischen den beiden Kammern gehen noch weiter. Anders als der Nationalrat will der Ständerat Versicherte, die eine höhere Franchise als die Grundfranchise wählen, nicht dazu verpflichten, drei Jahre lang dabei zu bleiben. Er ist nicht auf einen Gesetzesentwurf eingetreten, den die Gesundheitskommission des Nationalrats ausgearbeitet hatte.

Die Mehrheit liess sich von Berset davon überzeugen, dass die Bindung die Eigenverantwortung nicht stärken, sondern im Gegenteil schwächen würde. Der Gesundheitsminister gab zu bedenken, dass die Versicherten eine tiefe Franchise dem Risiko einer mehrjährigen Bindung an eine hohe Franchise vorziehen könnten. Dadurch hätten die tiefen Franchisen Zulauf, was sich auf die Kosten auswirken würde.

Der Nationalrat möchte mit der Regelung verhindern, dass Versicherte ihre Franchise wegen eines absehbaren Leistungsbezugs - beispielsweise einer planbaren Operation - vorübergehend senken und dann wieder erhöhen. Er muss nun entscheiden, ob er an der Vorlage festhalten will.

Kommentieren
Wir bitten um euer Verständnis, dass der Zugang zu den Kommentaren unseren Abonnenten vorbehalten ist. Registriere dich und erhalte Zugriff auf mehr Artikel oder erhalte unlimitierter Zugang zu allen Inhalten, indem du dich für eines unserer digitalen Abos entscheidest.
Mehr zu Politik MEHR