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«Die Schule sollte manche Defizite von Schülern einfach akzeptieren»

Er möchte das Selbstvertrauen der Kinder stärken und neue Betreuungsgefässe an der Schnittstelle von Unterricht und Freizeit schaffen:
Der SP-Mann Luca Eberle fühlt sich bereit, in die grossen Fussstapfen von Schulpräsident Thomas Rüegg zu treten.

21.02.19 - 04:30 Uhr
Politik
Fachexperte: Luca Eberle möchte den liberalen Schulpräsidenten Thomas Rüegg beerben.
Fachexperte: Luca Eberle möchte den liberalen Schulpräsidenten Thomas Rüegg beerben.
MANUELA MATT

Luca Eberle ist kein Mensch, der gerne übertreibt. Im Gespräch wirkt der 40-Jährige ruhig und überlegt. Der langjährige Schulleiter kennt sich nicht nur im heutigen Schulwesen bestens aus, sondern entpuppt sich im Interview auch als guter Beobachter einer immer anspruchsvolleren Gesellschaft.
 

Wie viele Schüler gehen in der Stadt zur Schule?
Luca Eberle: Ich würde sagen, insgesamt sind es etwa 2800 Schüler.
 

Fast! Es sind 2714 Schüler. Was befähigt Sie denn für das Amt des Schulpräsidenten?
Ich kenne die Schule Rapperswil-Jona sehr gut. Ich bin vertraut mit den verschiedenen Funktionen, kenne die Lehrpersonen, weiss, womit sich die einzelnen Arbeitsgruppen befassen. Was mich ausserdem für das Amt qualifiziert: Ich wohne seit 40 Jahren in dieser Stadt und bin sehr gut vernetzt, auch über meine Mitgliedschaft in diversen Vereinen.
 

In welchen Vereinen sind Sie aktiv?
Ich habe knapp 20 Jahre in der Feldmusik Jona Waldhorn gespielt und war während sieben Jahren Vizepräsident der Feldmusik. Mit diesem Instrument ist man gefragt, egal, ob man es gut spielt oder nicht (lacht). Ich war auch lange in der Pfadi als Leiter aktiv und präsidierte während Jahren den Lehrerinen- und Lehrersporttreff See.
 

Was hebt Sie von den anderen beiden Kandidaten ab?
Was die Schule anbelangt, habe ich wohl den anderen beiden etwas voraus. Seit einigen Jahren habe ich auch mit diversen Schnittstellen zwischen Schule und Politik zu tun, zum Beispiel in der Schulsozialarbeit oder der Liegenschaftsverwaltung. Diese Schnittstellen waren auch der Auslöser für meine Idee, in die Politik zu gehen. Ich habe gemerkt, dass mir diese Arbeit grosse Freude bereitet. Aber klar: Anders als Tanja Zschokke und Roland Manhart verfüge ich über keine politische Erfahrung.
 

Gibt es ein Erlebnis aus Ihrer eigenen Schulzeit, das Sie nie vergessen haben?
In der vierten oder fünften Klasse haben wir in der Schule Küken ausbrüten lassen. Nachdem sie geschlüpft waren, nahmen wir sie raus auf die Wiese. Plötzlich tauchte ein Hund auf und schnappte sich eines der Küken. Dieser Moment ist mir bis heute geblieben.
 

Was ist der prägnanteste Unterschied von damals zur heutigen Schule?
Anders als damals gibt es heute kaum mehr Lehrer, die nur auf die Richtigkeit der Resultate und den Output fokussiert sind. Heute sind die Lernprozesse und Lösungswege wichtiger, manchmal fast zu sehr. Auch geht die heutige Schule sehr individuell auf jedes Problem ein, es gibt Stützunterricht für Legastheniker, für Kinder mit Migrationshintergrund und vieles mehr. Manchmal frage ich mich, wie man das früher eigentlich gemacht hat.
 

Wird heute fast ein wenig übertrieben mit individueller Betreuung?
Wir müssen sicher aufpassen, nicht ins andere Extrem zu kippen. Ich denke, die Schule sollte manche Defizite von Schülern einfach akzeptieren. Es wäre zum Beispiel denkbar, Schüler von spezifischen Lerninhalten zu dispensieren und derweil ein anderes Talent zu fördern. Hier stellt sich dann aber immer die Frage, wie viel individuelle Förderung kosten soll oder darf.
 

Wo sehen Sie sonst noch Handlungsbedarf?
Die Schule ist immer ein Abbild unserer Gesellschaft. Und heutzutage wird den Kindern teilweise zu wenig zugetraut. Meiner Ansicht nach ist es wichtig, das Selbstvertrauen der Kinder zu fördern und sie nicht zu sehr zu behüten. In meinen ersten Jahren als Sekundarlehrer organisierten wir eine Nachtwanderung von Zürich zurück nach Rapperswil-Jona. Diverse Eltern riefen uns an, um ihre Kinder von der Wanderung zu dispensieren. Sie fürchteten um die Sicherheit ihrer Sprösslinge.
 

Auch die Digitalisierung ist eine gesellschaftliche Erscheinung, welche einige Herausforderungen für die Schule mit sich bringt.
Sicher wertvoll sind die Plattformen, auf denen den Schülern Lösungen zur Verfügung gestellt werden können. Auf diese können sie von zu Hause aus zugreifen. Gleichzeitig birgt der unbedarfte Umgang mit den neuen Kommunikationsmitteln viele Gefahren. Ich bedaure ganz grundsätzlich, dass mit der Digitalisierung in der Kommunikation eine gewisse Unverbindlichkeit Einzug gehalten in der Gesellschaft. Es ist schon fast normal, kurz eine Nachricht zu schicken, weil man sich verspätet. Ich persönlich bin da etwas altmodisch und finde, dass das nicht geht.
 

Thomas Rüegg war über zehn Jahre im Amt. Wie schwierig ist es, in solch grosse Fussstapfen zu treten?
Das ist sicher anspruchsvoll. Ich denke aber, dass die Bevölkerung ein gewisses Verständnis hat, wenn ein neuer Schulpräsident das Amt auf seine Art weiterführt. Ich betrachte es zudem als grossen Vorteil, dass ich mit den Abläufen bestens vertraut bin. Denn nur mit Einlesen in die Dossiers ist es nicht getan.


Sie sind sicher fachlich am nächsten dran an der Schule, wären dafür Neuling im Stadtrat. Welcher Teil am Amt des Schulpräsidenten würde Ihnen schwerfallen?
Die Bereiche Alter und Gesellschaft würden mich sicher fordern, denn auf diesem Gebiet bin ich kein Experte. Entsprechend bräuchte das Einarbeiten sicher Zeit. In diesen Bereichen sind Roland Manhart und Tanja Zschokke sicher näher dran, da diese Geschäfte auch immer wieder Thema im Stadtrat sind.


Sie sind der SP beigetreten, um Schulpräsident zu werden. Wie fest sind Sie von Ihrem Naturell her Politiker? Wie sehr «gluschtet» Sie die Politik an und für sich?
Wie bereits angesprochen, habe ich in den letzten fünf Jahren immer mehr Arbeiten übernommen, die in diese Richtung gehen. Dabei habe ich häufig das Feedback bekommen, dass ich das sehr gut mache, dass ich eigenständig und gleichzeitig fair sei. Ich weiss, dass ich das kann. Die Frage ist vielmehr: Ist Rapperswil-Jona derzeit bereit, einen SP-Politiker als vollamtlichen Stadtrat zu wählen?
 

Während eines Jahrzehnts war das Schulpräsidium in liberaler Hand. Welchen anderen Blickwinkel würden Sie als SP-Politiker einbringen?
Ich halte die politische Färbung nicht für matchentscheidend. Viel wichtiger ist, dass die betreffende Person lösungsorientiert denkt und auch andere Standpunkte einbeziehen kann. Aber klar: Es liegt mir als Politiker sicher näher als anderen, den Preis für Betreuungsangebote den Einkommen angepasst zu gestalten.


Welche Ziele hätten Sie als Schulpräsident?
Ich bin überzeugt, dass die Schule Rapperswil-Jona in vielen Bereichen eine sehr gute Qualität hat. Diese würde ich erhalten wollen. Ziel muss es sein, für Lehrpersonen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Im Bereich Betreuungsangebote gibt es sicher Verbesserungspotenzial. Im Schachen müssen die Schüler im nahen katholischen Kirchgemeindehaus essen. Das klingt jetzt unproblematisch, aber die ganz Kleinen brauchen für diesen Weg Betreuung.


Wie stehen Sie zu den geplanten Oberstufen-Schliessungen?
Ich halte diese für unabdingbar. Nicht zuletzt bringt die Reduktion auf drei Standorte nebst Sportschule auch finanzielle Vorteile. Wir haben mehr Schüler pro Wahlfach und können in der Folge diese immer anbieten. Auch bei Kündigungen von Lehrpersonen ist man in einer grossen Schule flexibler und kann den Abgang personell besser auffangen.


Sie haben einmal angedeutet, dass Sie gerne die Schnittstelle zwischen Schulunterricht und Freizeit stärken würden. Haben Sie dafür konkrete Pläne?
Ich halte es für wichtig, dass Kinder und Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll verbringen. Für ergänzende Betreuungsgefässe könnte man gerade an den Schulen auf viel Fachwissen der Lehrpersonen zurückgreifen und zum Beispiel einen Schachkurs oder ein Malatelier organisieren. Die Schulen könnten auch Vereine entlasten, indem sie beispielsweise zwischen 16 und 18 Uhr Sportkurse anbieten, weil sie in dieser Zeit über freie Turnhallen verfügen. Solche Angebote würden letztendlich auch die Attraktivität der Stadt fördern, gerade in den Augen von Familien. Denn für Jugendliche gibt es in Rapperswil-Jona nicht wahnsinnig viele Angebote.


Wie schätzen Sie Ihre Wahlchancen ein?
Ich denke, meine Chancen sind intakt. Ich würde mich freuen, wenn mir auch Bürgerliche ihre Stimme geben würden.


Weshalb gab es keine Absprache zwischen den beiden linken Parteien bezüglich der Kandidaturen?
Die SP teilte der UGS mit, dass sie einen Kandidaten stellen möchte. Kurz darauf wurde die Kandidatur von Tanja Zschokke publik. Ich bedaure, dass keine Absprache stattgefunden hat. Meiner Ansicht nach gehört die Linke besser vertreten im Stadtrat.


Unter welchen Umständen nehmen Sie an einem zweiten Wahlgang teil?
Das hängt vom Resultat des ersten Wahlganges ab. Ich würde danach mit der UGS zusammensitzen.

 

Zur Person
Luca Eberle hat an der ­Pädagogischen Hochschule St. Gallen studiert und als Lehrer fast zehn Jahre an der Sekundarschule Bollwies in Jona Sprachen unterrichtet. Seit 2012 ist er Schulleiter der Oberstufe Rain und seit 2015 Vorsitzender der Schulleiterkonferenz Rapperswil-Jona. Neben seiner beruflichen Tätigkeit treibt Luca Eberle gerne Sport; unter anderem spielt der Joner Volleyball, joggt und wandert. Während vieler Jahre leitete Eberle ein Sommerlager für Menschen mit geistiger Behinderung und arbeitete in Nepal in einem Projekt für Strassenkinder mit. Der 40-Jährige ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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