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«Die Stadt befindet sich im Aufbruch

Stadtpräsident Martin Stöckling zieht nach zwei Jahren Amtszeit Bilanz. Er erkennt viel Dynamik in Rapperswil-Jona und wünscht sich, dass sich diese auch in der Akzeptanz von Bauprojekten zeigen würde.

29.10.18 - 04:40 Uhr
Politik

Vor zwei Jahren wurde Martin Stöckling zum Stadtpräsidenten von Rapperswil-Jona gewählt. Nach einem gehässigen Wahlkampf hatte sich der FDP-Kandidat deutlich durchgesetzt. Neben Stöckling zogen drei weitere neue Stadträte in die Exekutive ein und sorgten für eine spürbare Verschiebung der politischen Gewichte innerhalb der Stadtregierung. Zu den Veränderungen in der Stadt steht Stöckling Red und Antwort.

Wie fällt Ihre Bilanz als Stadtpräsident nach zwei Jahren aus?

MARTIN STÖCKLING: Ich bin nach wie vor sehr begeistert und motiviert, Stadtpräsident sein zu dürfen, und gehe mit Freude an die Aufgaben heran. Zunächst ist daran zu erinnern, dass der alte Stadtrat in den beiden Jahren vor den Wahlen sehr stark gelähmt war durch die Turbulenzen rund um die Kesb-Geschichte und die Initiative für ein Stadtparlament. Der neue Stadtrat hat Speed und Dynamik in Projekte gebracht, die Abstimmung zum Jona-Center gewonnen, den Tunnel dank einer Bestvariante neu aufgelegt, einen Entscheid zur Finanzierung des Zentrums Schachen gefällt und die politische Diskussion dazu lanciert.

«Der alte Stadtrat war sehr gelähmt durch die Turbulenzen um die Kesb.»

Was ist Ihnen nicht wirklich gelungen in der ersten Legislaturperiodenhälfte?

Wir sind nach wie vor sehr mit der Kesb-Geschichte beschäftigt gewesen, ohne dass dies nun zu einem Mehrwert geführt hätte, ausser dass wir natürlich den Prozess der Stadt gegen die «Obersee-Nachrichten» und die federführenden Autoren gewonnen haben. Zu erwähnen ist zudem die verlorene Abstimmung über das Strassenprojekt im Knoten St. Gallerstrasse/Feldlistrasse: Wir haben nicht genügend die übergeordnete Situation aufgezeigt und es so nicht geschafft, die Bevölkerung abzuholen. Wir haben hier Lehrgeld bezahlt, weil wir nicht überzeugend aufgetreten sind. Auch erwähnen möchte ich die deutliche Ablehnung des Visitor-Center.

Was steht in den kommenden Jahren im Zentrum Ihrer Arbeit?

Wir werden die Ortsplanrevision an die Hand nehmen und den bestehenden Masterplan auf der Grundlage einer Auslegeordnung aktualisieren. Hinzu kommt das Aufgleisen des Verkehrsprojekts auf der St. Gallerstrasse/Neue Jonastrasse und die weitere Begleitung der kantonalen Planung des Stadttunnels Mitte. Was die finanzielle Situation betrifft: Es geht uns gut in Rapperswil-Jona. Nichtsdestotrotz stehen eine nachhaltige Finanzpolitik im Fokus und ebenso die Frage: Was wollen und sollen wir uns leisten?

«Wir haben es nicht geschafft, die Bevölkerung der Stadt abzuholen.»

Was ist der Stand der Dinge bei den Reformen im Stadtrat und im Stadtforum?

Wir werden demnächst im Stadtforum Ideen präsentieren, wie dieses zukünftig ausgerichtet werden soll. Dies geht auf eine entsprechende Anfrage aus dem Forum heraus zurück. Allerdings sind uns hierbei aus juristischen Gründen enge Grenzen gesetzt: Wir haben nicht die Möglichkeit, ein Quasi-Parlament zu schaffen. Bezüglich der Stadtratsreform werden wir im kommenden Jahr einen Wirkungsbericht erarbeiten lassen. Die Ziele der Reform, unter anderem die Miliztauglichkeit des Rates, wurden erreicht: Einem nebenamtlichen Stadtrat ist die Möglichkeit gegeben, neben eines 20-Prozent-Pensums im Rat zu 80 Prozent seinem Beruf nachzugehen.

Immer wieder wird von der Bevölkerung in Rapperswil-Jona gewünscht, dass der Stadtrat günstiges Wohnen fördern soll.

Der Spielraum, wie Städte in der Schweiz mit dieser Frage umgehen, wird unterschiedlich genutzt, die Bandbreite ist hier sehr gross. Während zum Beispiel Zürich günstiges Wohnen sehr unterstützt, machen andere Städte rein gar nichts. Nach Ansicht des Stadtrats ist es nicht die Aufgabe der Stadt Rapperswil-Jona, als Investor aufzutreten. Um aber Familien vermehrt die Möglichkeit anbieten zu können, nach Rapperswil-Jona zu ziehen, wollen wir eine aktivere Rolle als bisher spielen. Im Zentrum steht die Stadt als Drehscheibe auftreten, indem mit verschiedenen Massnahmen Rahmenbedinungen geschaffen werden, die günstige Mietzinsen durch private Anbieter möglich machen. Möglich sind hier entsprechende Vorschriften in Sondernutzungsplänen. Fakt ist: In Rapperswil-Jona leben viele ältere Personen und wenig Familien. Ziel ist es, in unserer Stadt eine gute Mischung, einen bunten Bewohnermix, hinzukriegen, was die Bevölkerungsstruktur anbelangt.

An die Infoveranstaltung zum Tunnel kamen vor allem ältere Leute. Die erleben den Tunnel ja wohl gar nicht mehr. Junge fehlten hingegen komplett...

Die Tatsache, dass die Mehrheit der Leute unter 35 Jahren komplett keine News mehr lesen, bedeutet für uns eine grosse Herausforderung. Junge Leute fehlen an Bürgerversammlungen, Informationsanlässen und an Abstimmungen. Würden irgendwann nur noch zehn Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an die Urne gehen, müsste man sich ernsthaft überlegen, eine repräsentative Demokratie einzuführen, in der ein Parlament den politischen Prozess bestimmt.

«Man müsste eine repräsentative Demokratie einführen, in der ein Parlament den politischen Prozess bestimmt.»

Was sind die Folgen, wenn sich immer mehr Leute aus dem politischen Prozess ausklinken?

Ein direktdemokratisches System kann nur funktionieren, wenn möglichst viele Bürgerinnen und Bürger daran teilnehmen. Eine fehlende Partizipation hat grosse Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft. Das sieht man zum Beispiel konkret auch daran, wenn die Milizfeuerwehr mehr und mehr Mühe bekundet, Nachwuchs zu finden. Der Entwicklung, dass sich Junge aus der Gesellschaft verabschieden, gegenzusteuern, ist eine grosse Herausforderung. Wir organisieren in Rapperswil-Jona etwa Jungbürgerfeiern, immerhin sind diese gut besucht.

Wie sehen Sie Ihre Möglichkeiten, in St. Gallen als Kantons- oder Regierungsrat einzuziehen?

Ich könnte als Ersatzmitglied beim Rücktritt von Thomas Rüegg aus dem Kantonsrat nachrücken. Ich finde es wichtig und wesentlich, dass der Stadtrat von Rapperswil-Jona weiterhin im St. Galler Parlament vertreten ist. Für eine Kandidatur in der St. Galler Regierung stehe ich nach dem Rücktritt von Regierungsrat Martin Klöti im Jahr 2020 nicht zur Verfügung.

«Ich kandidiere nach Klötis Rücktritt nicht für einen Sitz im Regierungrat.»

Wie schätzen Sie die parteipolitische Landschaft in der Stadt Rapperswil-Jona ein?

Wir sind sehr privilegiert hier in der Rosenstadt, was die Ortsparteien betrifft. Während es normalerweise so ist, dass auf dem Land die Parteien stark und in den Städten eher schwach sind, ist es im Linthgebiet erstaunlicherweise genau umgekehrt. Es ist ja nun nicht so, dass die Parteien in Rapperswil-Jona nur so spriessen. Wie überall ist die allgemeine Lage für Parteien nicht einfacher geworden. Aber als Meinungsbildungsmotoren und Katalysatoren im ganzen politischen Prozess funktionieren sie gut. Was auch eminent wichtig ist angesichts dessen, dass wir kein Parlament haben.

Auffällig ist, dass linke Parteien in Rapperswil-Jona schwach aufgestellt sind.

Dass die SP nicht sehr stark ist hier in der Stadt und die Grünliberalen keine Chance haben, einen Sitz im Stadtrat zu ergattern, hat mit der ländlichen Bevölkerungsstruktur in Rapperswil-Jona zu tun. Gegen den Trend in den Schweizer Städten haben es die Linken schwer am Obersee.

Gemeinden wie beispielsweise Schmerikon fordern eine bessere überregionale Zusammenarbeit am Obersee. Wie fällt die Unterstützung der Stadt Rapperswil-Jona aus für das Hallenbad im Seedorf?

Wir haben ja selber fünf Hallenbäder, davon drei öffentliche, in Rapperswil-Jona. Deswegen gibt es auch keine Zusammenarbeit mit Schmerikon, was dessen Hallenbad im Seedorf betrifft. Die überregionale Zusammenarbeit macht Sinn in Projekten, die einmalig sind im Linthgebiet, etwa die Inlinehockeyhalle in Kaltbrunn, die Eishockeyhalle oder das Visitor-Center in Rapperswil. Dort leistet die Region Zürichsee-Linth auch eine finanzielle Unterstützung.

Was hat sich in den letzten beiden Jahren in der Stadt Rapperswil-Jona verändert?

Es ist eine Aufbruchstimmung und Dynamik spürbar in der Stadt, die Paralysierung in der Politik scheint beendet. Der Stadtrat tritt geeint und schlagfertig auf. Auch der Tourismus ist gut unterwegs, auch wenn dieser mit der Ablehnung des Visitor-Center einen Dämpfer erhielt. Im Drohnen-Rennen kommt beispielsweise zum Ausdruck, wie sich die Stadt modern, innovativ, mutig und Experimenten gegenüber offen zeigt.

«Der Stadtrat tritt schlagfertig und geeint auf. Auch der Tourismus ist gut unterwegs.»

Und was wünschen Sie sich für die weitere Zukunft der Stadt Rapperswil-Jona?

Was ich mir wünschen würde: Dass sich die Dynamik, die nun in der Stadt zutage tritt, auch in der Akzeptanz von Bauprojekten zeigen würde. Die Stadt Rapperswil-Jona präsentiert sich äusserlich immer noch weitgehend so, wie sie vor fünf Jahren ausgesehen hat. Dabei zeigt sich, wie aktuell beim Stadthof Süd, erst beim Entstehen eines Projekts, welchen Mehrwert dieses für die Stadt schaffen kann.

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