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«Wir halten keine Zahlen unter Verschluss»

In den nächsten Monaten werde kein St. Galler Spital geschlossen, sagt Gesundheitschefin Heidi Hanselmann. Sie kontert Vorwürfe, die mangelnde Qualität der Spitäler monieren und der Regierung Untätigkeit unterstellen.

Südostschweiz
20.07.18 - 04:30 Uhr
Politik
«Es ist noch nichts entschieden. Wir wollen das Ganze sorgfältig, differenziert und sachlich angehen.»
«Es ist noch nichts entschieden. Wir wollen das Ganze sorgfältig, differenziert und sachlich angehen.»
PRESSEBILD

mit Heidi Hanselmann sprachen
Silvan Lüchinger und Regula Weik

Die Zukunft von fünf Regionalspitälern im Kanton ist ungewiss: In Wattwil, Walenstadt, Rorschach, Flawil und Altstätten sorgt sich die Bevölkerung um ihr Spital.

Heidi Hanselmann, der Lenkungsausschuss hat kürzlich informiert. Die Antwort auf die brennendste Frage der Bevölkerung bleibt er schuldig. Werden die fünf gefährdeten Spitäler im Kanton geschlossen?

Heidi Hanselmann  Darauf können wir heute noch keine Antwort geben, da wir auch Alternativen zu Schliessungen erarbeiten wollen. Es gibt viele offene Fragen. Die Projektorganisation steht. Die Antworten werden nun von Teilprojektgruppen erarbeitet.

Wann erfährt die Bevölkerung von Altstätten, Flawil, Rorschach, Walenstadt und Wattwil, ob ihr Spital verschwindet?

Es ist noch nichts entschieden. Wir wollen das Ganze sorgfältig, differenziert und sachlich angehen. Dabei wird die unternehmerische Sichtweise des Verwaltungsrats einfliessen, aber auch die finanz-, wirtschafts-, gesundheits- und regionalpolitischen Überlegungen der Regierung. Die Entscheide müssen für alle nachvollziehbar sein, vor allem auch für die Bevölkerung. Das braucht Zeit – mindestens bis 2020.

Verwaltungsrat und Regierung können ohne Parlament gar keine Spitäler schliessen.

Spitalschliessungen müssten vom Kantonsparlament beschlossen werden. Das ist richtig. Die Regierung muss eine Botschaft fürs Parlament erarbeiten. Die vorberatende Kommission berät diese vorgängig, dann folgt die Debatte im Parlament. Das wird erst 2020 der Fall sein.

Angenommen, das Parlament beschliesst, Spitäler aufzuheben: Kann der Entscheid angefochten werden?

Das ist eine der Fragen, die nun geklärt werden müssen.

Eine Volksabstimmung ist also nicht zwingend?

Ich meine, in einer Demokratie und bei einer derart relevanten Frage muss die Bevölkerung dazu Stellung nehmen können. Das wäre mein Wunsch. Ob eine Volksabstimmung stattfinden kann, hängt aber letztlich von den Beschlüssen des Parlaments ab und davon, ob diese dem Referendum unterstehen.

Die Regierung hat im November von der miserablen Finanzlage der Spitäler erfahren. Weshalb hat sie bis heute nichts unternommen?

Erstens: Wir reden von mittel- bis langfristigen Problemen. Der Verwaltungsrat prognostiziert ab 2023 ein strukturelles Defizit. Zweitens: Es gibt eine klare Aufgabentrennung zwischen Verwaltungsrat und Regierung. Sofortmassnahmen sind Aufgabe des Verwaltungsrats. Das operative Geschäft liegt bei ihm.

Die Regierung hätte doch einen Baustopp erlassen können.

Das kann die Regierung nicht. Es gilt, die verschiedenen Ebenen zu respektieren.

Hat der Verwaltungsrat einen Baustopp in Betracht gezogen?

Das müssen Sie ihn fragen. Die Regierung hat von ihm keine derartige Anfrage erhalten.

Die Vorwürfe aus dem Parlament, die Regierung sei lethargisch unterwegs, treffen also nicht zu?

Die klare Aufgabenteilung zwischen Verwaltungsrat und Regierung war der Wunsch des Parlaments.

Wie viel Geld kann mit Spitalschliessungen gespart werden?

Diese Frage muss sich der Lenkungsausschuss natürlich stellen – und sie auch klären. Wichtig ist, die Auswirkungen allfälliger Spitalschliessungen im Auge zu behalten – auf die Finanzen der Spitalunternehmung, auf den Staatshaushalt, auf die Gesundheitsversorgung, auf die Volkswirtschaft, auf die betroffenen Regionen.

Der Kanton St. Gallen hat nicht nur viele, er hat angeblich auch schlechte Spitäler. Haben die St. Galler Spitäler ein Qualitätsproblem?

Nein. Die St. Galler Spitäler liegen alle im nationalen Benchmark. Kleinere Abweichungen im einen oder anderen Bereich kann es geben. Dann wird alles daran gesetzt, diese zu beheben. Eine hohe Qualität ist im ureigensten Interesse jedes Spitals. Die schweizweit anerkannten Qualitätsdaten sind öffentlich zugänglich unter www.anq.ch. Sie werden vom Nationalen Verein für Qualitätsentwicklung in Spitäler und Kliniken erhoben; die Spitäler sind verpflichtet, mitzumachen. Unter anderem werden Patientenzufriedenheit, Wundinfekte, Rehospitalisationsrate erhoben.

Werden Spitäler, die qualitativ abfallen, sanktioniert?

Nein. Die Daten sind kein Sanktionsinstrument. Die Erfahrung zeigt: Spitäler, die ausserhalb des Benchmark liegen, sind motiviert, den «Tolggen» zu tilgen.

Wie gut sind die Regionalspitäler im Vergleich zum Kantonsspital?

Es gibt innerhalb des Kantons St. Gallen keine signifikanten Abweichungen zwischen kleinem Spital und grossem Spital.

«Eine hohe Qualität ist im ureigensten Interesse jedes Spitals.»

Können die Regionalspitäler wirklich gut sein? Haben sie dafür nicht zu tiefe Fallzahlen?

Ein Spital erhält bestimmte Leistungsaufträge nur dann, wenn es die überkantonal definierten Mindestfallzahlen erfüllt. Das gilt für öffentliche wie für private Spitäler. Wir haben den öffentlichen Spitälern viele gewünschte Leistungsaufträge nicht erteilt, unter anderem weil die Fallzahlen zu tief waren.

Wie schnell kann der Kanton reagieren, wenn ein Spital die Fallzahlen offensichtlich nicht mehr erfüllt?

St. Gallen hat seine Spitalliste auf fünf Jahre befristet. Die aktuelle Liste ist bis 2022 gültig. Spätestens 2021 beginnt die erneute Überprüfung der Leistungen und damit auch der Fallzahlen. Es gibt Kantone, die ihre Spitalplanung alle zehn Jahre anschauen oder in noch grösserer Kadenz.

Der Regierung wurde kürzlich vorgeworfen, sie halte Zahlen zur Qualität der Spitäler unter Verschluss. Welche Daten sind das?

Das würde mich auch interessieren. Ich kenne keine Zahlen, die wir unter Verschluss halten. Auch der Qualitätsbericht des Bundesamts für Gesundheit, ein 1888 Seiten dickes Papier zu allen Schweizer Spitälern, ist öffentlich.

Das Volk hat 2014 805 Millionen für die Sanierung der Spitäler gutgeheissen. Sind diese Millionen nun in den Sand gesetzt?

635 Millionen davon sind in der aktuellen Auslegeordnung des Spitalverwaltungsrats überhaupt nicht bestritten. Was man auch wissen muss: Es sind alles Kredite. Die Spitäler müssen diese zurückzahlen.

Wurde dem Volk damals etwas vorgegaukelt? War die problematische Tarifentwicklung nicht vorhersehbar?

Der Tarifeingriff des Bundesrats war nicht absehbar. Daran glaubte selbst kurz davor noch niemand. Der Spitalverwaltungsrat rechnet allein deswegen mit jährlichen Einkommenseinbussen von 15 bis 20 Millionen. Heute beklagen alle Kantone die tiefen, nicht kostendeckenden Tarife. Der Kanton St. Gallen hat schweizweit den zweittiefsten Tarmed-Wert, umso schmerzhafter sind solche Eingriffe. Dies ist auch der Grund, weshalb kürzlich die Ostschweizer Ärztegesellschaften ihre Verträge mit den Krankenversicherern gekündigt haben.

«Die Millionen-kredite für die Spitalsanierungen müssen die Spitäler zurückzahlen.»

War wirklich nicht absehbar, dass sich die Entwicklung weg von stationären hin zu ambulanten Behandlungen fortsetzen wird?

Das ist nur eine von vielen Komponenten. Ich habe mir natürlich überlegt: Was hätten wir damals anders, besser machen können? Hätten wir aus heutiger Sicht vielleicht noch konsequenter und schneller Leistungen konzentrieren und auf Spezialkliniken setzen müssen?

Eine Konzentration auf weniger Standorte wäre damals also sinnvoll gewesen?

Heute stehen wir an einem andern Punkt als damals. Deshalb müssen wir das Leistungsangebot an den Standorten analysieren.

Es wird künftig keine neun Spitäler im Kanton mehr geben?

Dazu können wir heute noch keine Aussage machen. Wie gesagt: Zunächst braucht es vertiefte Abklärungen.

Hat die bisherige Spitalstrategie der Regierung versagt?

Eine Strategie ist nichts Statisches. Sie muss sich stetig weiterentwickeln können. Die Situation der Spitäler hat sich in den vergangenen vier Jahren stark verändert – und zwar schweizweit.

Wie viele Spitäler gibt es in zehn Jahren im Kanton St. Gallen noch?

In die Glaskugel schauen war nie mein Ding.

Zur Person
Heidi Hanselmann (Jg. 1961) ist Vorsteherin des Gesundheitsdepartements und Mitglied der SP. In die Regierung gewählt wurde sie am 16. Mai 2004. Von 1996 bis 2004 war sie Mitglied des Kantonsrates. Früher war Heidi Hanselmann als dipl. Logopädin HfH und Lehrerin tätig. Sie wohnt in Walenstadt. 

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Im "Statut der Spitalverbunde des Kantons St. Gallen" steht:
"Art. 4a* Eigentümerstrategie und Grundvereinbarung
Das Handeln des Verwaltungsrates richtet sich an der Eigentümerstrategie und der Grundvereinbarung mit dem Kanton St.Gallen je Spitalverbund aus".
Von einer "Eigentümerstrategie" ist in den Aussagen von Frau Hanselmann leider wenig zu erkennen. Man könnte ja direkt meinen, dass der Verwaltungsrat und die Regierung gar nie miteinander reden un sogar völlig aneinander vorbei agieren, auch in diesem strategisch wichtigen Dossier. Mein Eindruck: Der Kanton ist als Eigentümer der Spitäler überfordert. Vielleicht müsste er sich deshalb Gedanken machen über eine Privatisierung.

Mal ganz ehrlich, darf man einer Person hierzu glauben schenken, welche vor geraumer kurzer Zeit vom Stimmvolk ein Milliarden-Budget für die Sanierung/Neubau der genannten Spitäler zur Verfügung bekommen hat und dabei nun aktuell die Existenz genau dieser Spitäler mit Recht (..) hinterfragt wird. Damals war ich ein Nein-Abstimmer, stehe dazu und fühle mich, und das nicht das erste Mal, von dieser Person über den Tisch gezogen.

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