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Urteil enthüllt Fakten zu ON-Artikeln

Die detaillierte Urteilsbegründung des Kreisgerichts gibt Einblick in die einzelnen Kesb-Fälle, über welche die «Obersee Nachrichten» berichtet haben – und zeigt auf, wie die Zeitung mit Informationen umgegangen ist.

Südostschweiz
18.04.18 - 05:20 Uhr
Politik
Mehrere Klienten der Kesb Linth sollen die «Obersee Nachrichten» zu einer persönlichkeitsverletzenden Kampagne ausgewalzt haben.
Mehrere Klienten der Kesb Linth sollen die «Obersee Nachrichten» zu einer persönlichkeitsverletzenden Kampagne ausgewalzt haben.
ARCHIV

Von Chistoph Leiber

Zehn Fälle von Klienten der Kesb Linth sollen die «Obersee Nachrichten» (ON) zu einer persönlichkeitsverletzenden Kampagne ausgewalzt haben. So lautet der Vorwurf, mit dem die Stadt Rapperswil-Jona als Trägergemeinde der Behörde sowie deren Präsident Walter Grob vor dem Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland im Dezember recht bekommen haben.

In seiner ausführlichen Urteilsbegründung nimmt das Gericht nun die Berichterstattung der Zeitung auseinander. Dadurch werden nicht nur Fakten bekannt, zu denen die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde selbst wegen des Amtsgeheimnisses schweigen muss, sondern das Gericht arbeitet auch heraus, wie der damalige ON-Verleger Bruno Hug und sein Redaktor Mario Aldrovandi mit Informationen umgegangen sind. Dazu zwei Beispiele.

Fokus verschiebt sich

Den Auftakt zur Berichterstattung bildete im September 2014 ein Artikel über einen Jugendlichen, der auf einem Therapieschiff untergebracht war. Insgesamt 19 Berichte widmeten die ON diesem Fall. Wie das Gericht aufzeigt, veränderte sich der Fokus im Laufe der Zeit: Lag er zu Beginn auf einer «Luxustherapie», die nicht angebracht sei, so verschob er sich immer mehr auf die Opferrolle, in der Hug den Jugendlichen gegenüber der Kesb sah.

Das Gericht folgert daraus, dass es «den Beklagten nicht primär um eine sachliche Darstellung der Situation ging, sondern um eine Story, welche die Leser anzieht». Dazu passe die Wortwahl, die immer wieder auf Ausdrücke wie «Deportation», «Gefängnis», «Entführung» und «Machtbehörde» zurückgreife.

Täter wird als Opfer dargestellt

Auf «Halbwahrheiten, Ungenauigkeiten und Falschangaben» beruht nach dem Urteil des Gerichts die Berichterstattung über einen Gipsermeister mit 100 Angestellten, den ein Bauriese angeblich mithilfe der Kesb zur Zahlung von Geld zwingen wollte. Was Hug und Aldrovandi verschwiegen oder nicht wissen wollten: Der Mann hatte weder eine abgeschlossene Gipserausbildung noch 100 Angestellte, sondern eine einschlägige kriminelle Vergangenheit.

Der Hintergrund des Falls: Der Baukonzern hatte bei der Kesb eine Gefährdungsmeldung eingereicht, weil der Mann Mitarbeiter bedrohte. Unter Druck hatte die Firma eine Zahlung geleistet, die sie später wieder zurückverlangte. Ein Gericht hat die Forderung inzwischen gutgeheissen.

Das Kreisgericht in Mels kommt zum Schluss, dass der angebliche Gipsermeister völlig zu Unrecht als Opfer dargestellt worden sei: «Entweder wurde die journalistische Sorgfaltspflicht in gravierendem Ausmass durch fehlende Hintergrundrecherchen verletzt, oder es wurden wesentliche Sachverhaltselemente absichtlich weggelassen, um ein Bild zeichnen zu können, welches ins Gesamtbild der bisherigen Kesb-Berichterstattung passte.»

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Beinahe 4 Monate benötigte das Erstellen der Urteilsbegründung zur Klage KESB Linth gegen Bruno Hug, Mario Aldrovandi und die ON.
Das lässt aufmerksame Leser hellhörig werden. All diese Fakten wären doch eigentlich bereits notwendig, um eine Gerichtsverhandlung durch zu führen und ein korrektes Urteil fällen zu können. Von der Gerichtsverhandlung bis zur Urteilsverkündung verging dann eine nur kurze Zeit. Das Alles lässt eigentlich nur eine Folgerung zu: Zuerst wurde verurteilt und danach eine Begründung passend zum Urteil erstellt. Eine rechtsstaatliche Katastrophe. Der Weiterzug an die nächste Instanz ist der einzig richtige Weg.

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