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Wie das Bistum Chur sein Antlitz veränderte

Der Churer Diözesenarchivar Albert Fischer hat Band 1 seiner Geschichte des Bistums Chur vorgelegt – ein mehr als überzeugendes Werk, auf das man schon lange gewartet hat.

Christian
Ruch
20.02.18 - 12:00 Uhr
Politik
Einst reichte das Bistum Chur (beige) bis Meran – viel kleiner war der weltliche Herrschaftsbereich des Churer Bischofs (braun).
Einst reichte das Bistum Chur (beige) bis Meran – viel kleiner war der weltliche Herrschaftsbereich des Churer Bischofs (braun).
PRESSEBILD

Es gibt wissenschaftliche Werke, die man nur als Glücksfall bezeichnen kann – sei es, weil sie Forschungslücken schliessen oder das Desiderat eines gelungenen Überblicks erfüllen. Letzteres leistet Band 1 der neuen Geschichte des Bistums Chur, die Diözesanarchivar Albert Fischer verfasst hat und einen solchen Glücksfall darstellt.

Wohltuend an Fischers Darstellung ist, dass er sich mit dem Gesicherten zufriedengibt und sich nicht bei Legenden und Behauptungen aufhält.

Nachdem eine auf fünf Hefte angelegte Geschichte des Bistums grandios gescheitert war (es erschienen lediglich die Hefte 1 und 5), musste man sich mit Fischers Ausführungen im Internet behelfen, die bei den Benutzern den Wunsch nach einer Buchfassung weckten. Fischer hat nun diesen Wunsch zum Glück erhört und mit dem ersten Teil seines auf zwei Bände angelegten Werks eine fundierte, die aktuelle Forschungslage berücksichtigende Überblicksdarstellung zur Geschichte einer der ältesten und wichtigsten Diözesen nördlich der Alpen vorgelegt. Mehr noch: «Das Bistum Chur» liefert auch wichtige Informationen zu bedeutenden Kirchen und Klöstern und widmet sich vertieft jenen Bischöfen, die das Bistum Chur stark geprägt haben.

Heilige Emerita ist kein Thema

Wohltuend an Fischers Darstellung ist, dass er sich mit dem Gesicherten zufriedengibt und sich nicht bei Legenden und Behauptungen aufhält. Dementsprechend knapp fallen die Ausführungen zum Bistumspatron Luzius aus, und seine angebliche Schwester, die heilige Emerita, kommt überhaupt nicht vor.

Schliesslich war das Hochstift Chur nur noch ein aus heutiger Sicht etwas skurriles Miniaturfürstentum, das nicht viel mehr als den Churer Hof umfasste.

Warum Fischer Luzius zeitlich im 6. Jahrhundert und nicht, wie auch schon geschehen, bereits im 5. Jahrhundert verortet, bleibt unklar. Hier und an anderen Stellen wünschte man sich einen Anmerkungsapparat, auf den der Autor leider verzichtet hat. Dieses Manko schmälert den immensen Wert des Buches jedoch kaum.

Erodierende Macht

Fischer zeigt auf sehr anschauliche Weise, wie die weltliche Macht der Churer Bischöfe im Mittelalter immer auch von den jeweiligen geopolitischen Rahmenbedingungen – etwa der mal grösseren, mal geringeren Bedeutung der rätischen Pässe für die jeweiligen Könige und Kaiser – bestimmt war. Ebenso stellt er auf sehr gelungene Weise dar, wie diese weltliche Macht durch das Streben nach genossenschaftlich organisierter Autonomie auf lokaler Ebene, die sich schliesslich in der Gründung der Drei Bünde manifestierte, immer mehr erodierte. Schliesslich war das Hochstift Chur nur noch ein aus heutiger Sicht etwas skurriles Miniaturfürstentum, das nicht viel mehr als den Churer Hof umfasste. Dieser Prozess setzte übrigens schon vor der Reformation ein, wurde durch sie aber zweifellos beschleunigt. Auch die Gegenreformation vermochte daran nichts zu ändern.

Dankenswerterweise bietet das reich illustrierte Buch immer wieder Karten, die es erlauben, sich die nicht immer übersichtliche territoriale Situation zu vergegenwärtigen. Eine Bischofsliste und ausführliche Chronologie erleichtern die Orientierung auf der zeitlichen Ebene.

Gespannt auf Band 2

Da das Churer Bistum über Jahrhunderte auch Teile Tirols und Vorarlbergs umfasste, erfährt man auch viel über die dortige Kirchengeschichte. Der Band endet sinnvollerweise 1816, also jenem Jahr, in dem sich der Bischof auf päpstlichen Erlass von den Gläubigen im Osten seines Bistums verabschieden musste. Diese wurden nun den Diözesen Trient und Brixen zugeteilt.

Mit dem Verschwinden der ebenfalls sehr alten und bedeutenden Diözese Konstanz (1821) bekam das Bistum Chur jedoch neue Gebiete und Aufgaben im Westen zugewiesen, darunter Stadt und Kanton Zürich – und damit eine Region, mit welcher «der Hof» im späten 20. Jahrhundert und im Grunde bis heute immer wieder heftige Konflikte gehabt hat. Man denke nur an die Auseinandersetzungen um und mit Bischof Wolfgang Haas.

Umso mehr darf man auf Band 2 der Bistumsgeschichte von Albert Fischer gespannt sein – möge er möglichst bald erscheinen!

BUCHTIPP
Albert Fischer:
«Das Bistum Chur Band I: Seine Geschichte von den Anfängen bis 1816». UVK-Verlagsgesellschaft. 446 Seiten. 56 Franken.

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